Bis in das 19. Jahrhundert wurde Pflege nicht als Arbeit angesehen, sondern als Privatsache, Dienst an Gott oder Akt der Nächstenliebe. Auch heute unterscheidet sich die Arbeit in sozialen Berufen wesentlich von der im Handel oder in der Produktion. Wer sich für eine Tätigkeit in der Pflege, im medizinischen Bereich oder in der Betreuung und Erziehung entscheidet, übernimmt Verantwortung für andere Menschen. Scheinbar kleine Nachlässigkeiten oder marginale Fehlentscheidungen können den Gesundungsprozess der Anvertrauten stören, zu Schlafstörungen und Traumatisierungen bei Kindergartenkindern oder zu Erkrankungen und zum Tod der Pflegebedürftigen führen.
Während man das Arbeitsergebnis von Bauarbeitern und Bauarbeiterinnen, Angestellten von Handelsunternehmen oder Bäckerinnen und Bäckern in Euro und Cent darstellen kann, ist dies in sozialen Berufen nicht möglich. Oder wie sollte man den buchhalterischen Wert dafür ermitteln, dass die kleine Lisa keine Angst mehr vor Gewitter hat und jetzt weiß, was für tolle Sachen man aus Pappmaschee basteln kann, oder dass eine Seniorin durch besonders freundliche und einfühlsame Pflege neuen Lebensmut schöpft und zwei Jahre länger lebt? Auf das mittelfristige betriebswirtschaftliche Ergebnis der Betreuungs- oder Pflegeeinrichtung haben diese Erfolge keinen Einfluss. Und leider scheinen manche Geschäftsführungen dieser „Sozialbetriebe“ auch nur bis zur nächsten Bilanz zu denken. Und dies geht sowohl zu Lasten der der zu Pflegenden und zu Betreuenden, als auch der Angestellten. Da wird mit minimaler Personalstärke gearbeitet, was Arbeitsverdichtung bedeutet. In manchen Unternehmen gilt es als unsolidarisch, die gesetzlichen Pausen wirklich zu nehmen oder während der Freizeit nicht erreichbar zu sein, um spontan zur Arbeit gerufen werden können. Oft wird die Zeit zum Umziehen nicht bezahlt (Rüstzeiten), Fahrzeiten in der ambulanten Pflege werden als Pausen gebucht, Überstunden werden abverlangt, aber nicht registriert. Gründe sich zu wehren gibt es genug. Aber die Arbeitgeber können meistens davon ausgehen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich leicht moralisch erpressen lassen. Wenn sie nicht außerplanmäßig zur Arbeit erscheinen, auf ihre Pausen bestehen oder gar streiken würden, würden sie doch den Pflegebedürftigen oder Patienten schaden. Leider funktioniert diese Erpressung noch.Für erfolgreiche Streiks in Krankenhäusern gibt es inzwischen einige Beispiele. So wurden 2006 durch ver.di Tariferhöhungen in den Universitätskliniken Leipzig, Dresden und Essen erkämpft. Eine zentrale Rolle spielte die Bestreikung der Lager, was dann nach und nach den Klinikbetrieb lahmlegte. Daneben gab es für das Pflegepersonal Notdienstvereinbarungen, so dass das Argument, man würde die Patienten gefährden, nicht mehr galt. Dennoch beteiligten sich viele Krankenschwestern und Pfleger genau deshalb nicht. In Essen bestand auch der Gärtner darauf, in die Notdienstvereinbarung einbezogen zu werden, da er seine Rosen nicht so lange allein lassen konnte. Beim diesjährigen Streik an der Berliner Charité für mehr Personal war die Streikbereitschaft wesentlich besser, was zu einem recht schnellen Erfolg geführt hat. Dies lag unter anderem auch daran, dass ver.di und die Streikleitung das System der Notdienstvereinbarung besser kommunizieren konnten. Wäre so ein Streik auch an einem Pflegeheim möglich? Theoretisch ja. Voraussetzung wäre, dass die Notdienstvereinbarung so beschaffen ist, dass wirklich nur gepflegt wird, aber die Dokumentation nicht für den Arbeitgeber zugänglich ist. Natürlich müssen die Pflegerinnen und Pfleger so protokollieren, dass sie sich rechtlich absichern. Es darf aber nicht so geschehen, dass das Unternehmen dies zur Abrechnung nutzen kann.Wichtig ist, dass die aufrufenden Gewerkschaften bestimmen, was in der Notdienstvereinbarung steht. Es muss allen klar sein, dass nicht der Arbeitgeber sagt, wer welchen Notdienst versieht, sondern die Streikleitung. Sobald das Unternehmen Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen zum Streikbruch einsetzt, ist die Notdienstvereinbarung zu revidieren.Viele Missstände sind aber nicht durch Streik oder streikähnliche Handlungen zu erreichen, da das Ergebnis eine Vereinbarung darüber wäre, dass der Arbeitgeber sich an das Gesetz hält. Warum sollte sich aber jemand, der jederzeit zum Gesetzesbruch bereit ist, an so eine Vereinbarung halten? Hier kann ein Weg sein, über die Gesetzeslage aufzuklären und einzelne Klagen zu unterstützen. Dies muss von Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Mitglieder der FAU Leipzig tun dies seit November 2014 in Bezug auf die Volkssolidarität Leipzig. Diese reagiert bislang mit Gerichtsprozessen gegen die, welche sie für die Verantwortlichen der Veröffentlichungen hält. Dabei werden auch Anträge auf Haftstrafen gestellt. Auch gibt es teilweise recht lustige Abmahnungen. Zum Beispiel sollte nicht behauptet werden, dass in einem Altenpflegeheim die Sonne nicht mehr aufgeht. Selbst Leute die in Astronomie nicht so gut aufgepasst haben, werden daran sehen, wie groß die Angst beim Arbeitgeber ist. Auch der nicht unerhebliche Einsatz von Geld für Anwälte zeigt, dass man in Leipzig wohl einen wunden Punkt getroffen hat.Inzwischen werden Kindergärten in kommunaler Trägerschaft regelmäßig bestreikt. Dabei nimmt das Verständnis der Eltern während des Streiks nicht unbedingt zu. Ein Problem ist, dass Kommunen die Betreuungsverträge mit den Eltern so gestalten, dass Streik wie eine Naturkatastrophe betrachtet wird. Die Eltern können nicht nur keine Mehrkosten für eine private Kinderbetreuung verlangen, in manchen Kommunen müssen sie sogar die Kitagebühren während des Streiks weiterbezahlen. Hier könnte es sich um einseitige Benachteiligungen handeln, die nach den Bestimmungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen verboten sind. Die Eltern dazu zu mobilisieren, die Büros der Bürgermeister und zuständigen Dezernenten gemeinsam zu besuchen, kann natürlich nie verkehrt sein.