Gegen Staat, Kapital und Militär in Prag

Eine Gruppe meist junger Menschen standen in einem kleinen Park im Prager Stadtteil Zizkow und intonierten Lieder aus der internationalen Arbeiter:innenbewegung. Die Internationale durfte ebenso wenig fehlen wie „A Las Barricadas“, den bekannten Song der Anarchist:innen aus der spanischen Revolution.

Die Songgruppe war Teil der Anarchistischen Buchmesse am 25. und 26. Mai im Gemeindezentrum von Zizkow. Der Stadtteil liegt knapp 3 Kilometer vom touristischen Zentrum Prag und ist doch eine ganz andere Welt. Von den Tourist:innenströmen, die sich rund um die Karlsbrücke stauen, ist dort wenig zu hören und zu sehen. Schon Mitte der 1980er Jahre, also zum Ende der nominal sozialistischen, im
Kern aber staatskapitalistischen Ära, gründeten sich in Zizkwo alternative Gruppen, die gegen den Abriss alter Gebäude teils erfolgreich protestierten. Kein schlechter Ort für die anarchistische Buchmesse, auf der sich Verlage und Initiativen aus verschiedenen tschechischen Städten vorstellten. Aber auch aus anderen osteuropäischen Ländern waren Initiativen und Einzelpersonen vertreten, darunter aus Serbien, Ungarn, Polen und Belarus.

Die auf den Tischen ausgelegten Flugblätter, Bücher und Broschüren deuteten auf einen weiten Anarchismusbegriff der Organisator:innen der Buchmesse hin. Viele Texte behandelten antirassistische Themen. Genderpolitik spielte auch bei vielen der jüngeren Besucher:innen eine große Rolle.

Breiter Anarchismusbegriff

Es gab auch Stände von lins- und rätekommunistischen Gruppen. An einen Stand wurde die tschechische Ausgabe de Zeitung „Straßen aus Zucker“ angeboten, die sich aus einer undogmatisch-marxistischen Perspektive an junge Leute wendet. Themen der Arbeitswelt waren allerdings kaum auf den Büchertischen zu finden. Ein Mitorganisator der Buchmesse erklärte, dass auch bisher auf den anarchistischen Buchmessen, die alle 2 Jahre stattfinden, basisgewerkschaftliche Initiativen mit der Lupe zu suchen waren. Das sei aber kein alleiniges Problem der Buchmesse. Es gäbe auch in der anarchistischen und antiautoritären Linken Tschechiens zu wenige Gruppen, die die Organisierung der Arbeitswelt kümmern.

Einige der Veranstaltungen auf der Buchmesse hatten die staatliche Repression gegen Linke und Anarchist:innen in Russland und anderen osteuropäischen Ländern.

Vorgestellt wurde unter Anderem ein Buch über den russischen Anarchisten Alexei Sutuga, bekannt unter dem Spitznamen Sokrates. Er starb am 1. August 2020 an einer schweren Kopfverletzung, die er sich bei einer Schlägerei wohl ohne politischen Hintergründe zugezogen hat. Alexei Sutuga wird in dem Buch als zentrale Figur der autonomen Bewegung in Russland und als Begründer der autonomen Antifa in Russland vorgestellt. Nach einem längeren Gefängnisaufenthalt wegen seines politischen Engagements, in dieser Zeit bekam er auch internationale Unterstützung. In den letzten Jahren seines kurzen Lebens hatte er sich auf anarchistische Bildungsarbeit und die Herausgabe von Zeitungen konzentriert. An die Buchvorstellung schloss sich auch eine längere Diskussion über die Charakterisierung des russischen Regimes an. Während einige leidenschaftlich vom russischen Faschismus sprachen, verwiesen andere darauf, dass in dem autoritären russischen Regime bestimmte Kennzeichen des Faschismus nicht gegeben ist. So gebe dort keine für den Faschismus charakteristische rechte Massenbewegung.

Prag und Berlin sind nur einige Hundert Kilometer entfernt, aber manche Themen, über die diskutiert wurde, sind sehr verschieden. So ist der Name des russischen Alexei Sutuga auch in Kreisen der antiautoritären Linken in Deutschland nur wenig bekannt. Es wäre sicher wünschenswert, wenn die Treffen länderübergreifend mehr besucht würden. Schließlich war in Prag Englisch die inoffizielle Sprache. Eine kleine Gruppe von Genoss:innen aus Göttingen und Dresden waren Gäste auf der Prager Buchmesse.

Antimilitaristische Aktionswoche

Unabhängig von der anarchistischen Buchmesse war in Prag am letzten Mai-Wochenende noch eine antimilitaristische Aktionswoche, auf der Gruppen aus verschiedenen Ländern darüber diskutieren wollten, wie die Opposition gegen den Krieg  nach Außen und Burgfrieden nach Innen
länderübergreifend unterstützt werden sollte. An der Vorbereitung waren anarchistische und linkskommunistische Gruppen aus vielen Ländern beteiligt. Aufruf und Texte sind auf der Webseite in 13 Sprachen zu finden. Die öffentliche Antikriegskonferenz, der Höhepunkt der Aktionswoche, sollte in einer Schule im Stadtteil Zizkow stattfinden, nur wenige Hundert Meter von dem Stadtteilzentrum, in dem die anarchistische Buchmesse stattfand. Da wären Kontakte und interessante Diskussionen sicher garantiert gewesen. Doch die Repression verhinderte das. Denn die Schulleitung kündigte die bereits im Februar 2024 angemieteten Räume für den Antikriegskongress wenige Stunden vor dem geplanten Auftakt. Nach einiger Verwirrung fanden sich dann neue Räume viele Kilometer entfernt. Manche Teilnehmer:innen wurden über den erzwungenen Ortswechsel des Kongresses zu spät informiert. Etwas erstaunlich war, dass diese massive Einschränkung des Antikriegskongresses und damit einer Veranstaltung der antiautoritären Linken auf den anarchistischen Buchtagen nicht thematisiert und verurteilt wurde. Selbst von einer Protestresolution war nichts zu hören, geschweige von anderen Aktionen.

 

Beitragsbild: https://actionweek.noblogs.org/

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