Arbeitskämpfe führen zu Solidarität, dass ist wohl für die meisten Leser:innen der DA keine Neuigkeit. Doch einige der Besucher:innen des Theaterstücks „Die Optimistinnen“, das aktuell im Maxim Gorki Theater aufgeführt wird, waren im Anschluss beim Publikumsgespräch noch überrascht, wie ein Arbeitskampf die beteiligten Frauen politisierte. Sie konnten knapp 90 Minuten zusehen, wie die Frauen, die aus den unterschiedlichen Ecken der Welt zum Arbeiten in die BRD kamen, kämpferische Kolleginnen wurden. In der letzten Szene skandieren sie die Parole „Eine Mark mehr“, singen kämpferische Lieder und schwenken selbstgemalte Transparente mit einem Selbstbewusstsein, das ansteckend wirkt. Sie tragen Westen, auf denen Worte wie Streik, Brot, Rosen stand.
Es war der furiose Abschluss eines Theaterabends, der den Pierburg-Streik auf die Bühne brachte. Aber die besondere Stärke der Vorführung besteht darin, dass er die Vorgeschichte der Frauen erzählt. Vorlage ist das Buch „Die Optimistinnen“ von Gün Tank, das im Fischer-Verlag erschienen ist. Der Anspruch der Autorin wird am Beginn auf der Bühne noch mal von den Schauspielerinnen vorgetragen. Es ging ihnen darum, die bisher unerzählte Geschichte der migrantischen Frauen zu erzählen, die in Deutschland lange nur Gastarbeiterinnen genannt wurden. „Sie wurden hier als schwach dargestellt und meistens mussten sie auf Fotos ein Kopftuch tragen. Aber diese Frauen waren nicht schwach. Sie haben mit ihrem Gehalt ihre Familien ernährt“, erklärt Sema Poyraz im Publikumsgespräch.
Da hatte die Solidarität unter den Frauen schon Früchte getragen
Auf der Bühne war sie eindeutig die tragende Person des Abends, die in kürzester Zeit in die unterschiedlichen Rollen schlüpfte. Mal spielte sie den Vorarbeiter, der die Arbeiterinnen dazu antrieb, noch schneller zu schuften, dann trat sie in die Rolle des Pierburg-Chefs, der die protestierenden Frauen aus dem Büro schmiß und dann versuchte, eine der Streikenden durch ein individuelles Angebot zu bestechen. Vergeblich, denn da hatte die Solidarität unter den Frauen aus den unterschiedlichen Ländern schon Früchte getragen. Wir sehen im Laufe des Abends auch, wie sich diese Solidarität entwickelt hat.
Da ist Nour, die als 22jährige in Istanbul vom Leben in Paris träumt. Dazu wird der Song Les Champs-Élysées abgespielt. Doch statt im mondänen Paris landet Nour in einem beengten Wohnraum in der Oberpfalz, wo sie mit vielen anderen ihr unbekannten Frauen, deren Sprache sie auch nicht verstand, den engen Raum teilen muss. Zunächst spielt sie auf der Saz Lieder aus ihrer Heimat, der sie nachtrauert. Wenn sie etwas Intimsphäre haben will, geht sie auf den Friedhof. Doch das ändert sich, als sie die anderen Frauen im Wohnheim besser kennenlernt. Da ist Mercedes aus Spanien, deren Eltern im Widerstand gegen das Franco-Regime standen. Gemeinsam mit anderen Frauen haben sie begonnen, die Verhältnisse in der BRD kritisch zu hinterfragen. Die Frauen können sich trotz ihrer unterschiedlichen Sprache schnell verständigen, denn sie arbeiten und wohnen praktisch die ganze Zeit auf engstem Raum zusammen. Sie wollen die Welt verändern und beginnen damit in ihrer unmittelbaren Umgebung, dem Wohnraum. Sie fordern weniger Betten in den Zimmern und mehr Duschen. So lernen sie, wie sie ihre Interessen vertreten und auch gewinnen können.
Deutschkurse für Alle in der Fabrik
In dieser Auseinandersetzung machen sie die Erfahrung, wie wichtig es ist, die deutsche Sprache zu lernen, wenn sie hier gehört werden wollen. Sie machen jetzt aber nicht etwa individuelle Sprachkurse nach der Arbeit auf eigene Kosten. Nein, sie fordern selbstbewußt Deutschkurse für Alle während der Arbeit in der Fabrik. Damit stießen sie bei vielen ihrer Kolleginnen auf offene Ohren. Sie fanden Zustimmung, aber auch Gegenwehr. So hatten die Frauen schon Erfahrungen gesammelt, als sie in Pierburg den Kampf für gleichen Lohn für gleiche Arbeit begannen. Während die Frauen auf der Bühne erzählen, werden an der Wand einige Ausschnitte aus dem Film „Pierburg – ihr Kampf ist unser Kampf“ projiziert. Zu sehen ist auch die Szene, wo der Betriebsratsvorsitze Claus, der von den Frauen immer wieder vehement zur Unterstützung aufgefordert werden musste, nach langen Verhandlungen ein Ergebnis verkündete, das die Streikenden als großen Erfolg bewerteten und entsprechend ausgelassen mit Gesängen und Parolen feierten. So konnte das Publikum den Theaterabend mit dem Gefühl und Wissen verlassen, ein solidarischer Arbeitskampf wäre das beste Mittel gegen Ausbeutung, aber auch gegen Rassismus und Faschismus. Denn, wenn die Kolleg:innen erst einmal gemeinsam kämpfen, spielt es keine Rolle mehr, woher sie kommen.
Brücke zur Gegenwart
Es ist erfreulich, dass im Stück die Brücke zur Gegenwart gezogen wurde. In einer Sequenz kommt Duygu Kaya zu Wort, die Teil des Gorillas Workers Collectivs war, in dem sich ab 2021 Beschäftigte der Berliner Lieferdienste im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen organisiert haben. Sie kamen ebenso wie die Streikenden aus Pierburg aus verschiedenen Ländern, sprachen unterschiedliche Sprachen und verstanden sich doch im Kampf um ihre Interessen. Es ist kein Zufall, wie Kaya erklärt, dass sie bei der Suche nach Vorbildern auch auf den Pierburg-Streik stießen und feststellten, dass die Frauen haben ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.
Es ist zu hoffen, dass auch der Theaterabend mit dem bezeichnenden Titel „Die Optimistinnen“ manche Zuschauer:innen anregt, im eigenen Arbeitsumfeld nach Organisierungsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Das ist schließlich der erste Schritt zum Arbeitskampf. Das Stück zumindest regt gerade dazu an und dass ist schon selten auf Theaterbühnen in Deutschland.
Die nächste Vorführung von „Die Optimistinnen“ findet am 30.03.2024 um 20:30 Uhr im Maxim Gorki Theater statt. Weitere Informationen: https://www.gorki.de/de/die-optimistinnen
Beitragsbild: ©Ute Langkafel MAIFOTO