Steter Tropfen auf heißen Stein

Im März 2010 begannen in der BRD turnusmäßig die Betriebsratswahlen. Die meisten Gewerkschaften sehen darin einen unverzichtbaren Garanten für ihre betriebliche Verankerung – allein die FAU-Syndikate teilen diesen Zweckoptimismus nicht, sondern stehen diesem „Instrument“ kritisch bis ablehnend gegenüber.(1)

Die „Alternative“ wählen … und dann?

Doch auch außerhalb der FAU, in den Reihen des DGB, gibt es kritische GewerkschafterInnen, die sich für eine kämpferische Gewerkschaft einsetzen und intensiv für eine Abkehr vom sozialpartnerschaftlichen Schmusekurs eintreten. Vielfach sind es diese Kritiker, die „den Gewerkschaften“ an der Basis ein Gesicht verleihen. Sie werben für den Eintritt und für Engagement. Exemplarisch dafür stehen die (recht unterschiedlichen) „Alternative“-Gruppen in der IG Metall, die beim zweitgrößten deutschen Autobauer Daimler durch eigene Zeitungen eine Betriebsöffentlichkeit herstellen. Für sie ist die BR-Wahl immer auch ein Gradmesser: Wer für die „Alternative“ stimmt, stimmt für einen anderen Kurs der IG Metall. Das ist ihre Message.

Das Ergebnis ist durchwachsen: In der Alternative-Bastion in Stuttgart-Untertürkheim erhielten die Dissidenten auf der IG-Metall-Liste – die fortan 34 von 43 Betriebsräten stellt – insgesamt neun Sitze. Die IGM-interne Sitzverteilung bleibt damit in etwa gleich. In den Daimler-Werken Hamburg und Berlin legten die Alternativen mit eigenen Listen auf je fünf Betriebsräte zu. Und das, wie Mustafa Efe, Berliner Spitzenkandidat, gegenüber der Direkten Aktion betont, trotz des „Drucks von Unternehmen, Betriebsrat und IG Metall“.(2) In Hamburg verlor der IGM-Mainstream sogar die absolute Mehrheit und wird auf Bündnisse mit der Alternative oder einer der anderen Fraktionen angewiesen sein. Enttäuschend hingegen fielen die Ergebnisse in Kassel und Sindelfingen aus: Hier verlor die IGM-Opposition zwei von sechs Sitzen, dort erreichte sie bei ihrem Debüt nur einen Platz.

In Berlin ist man jedoch „sehr zufrieden“, so Efe. Denn auch hier war die Alternative erstmals als solche angetreten. Obwohl die alte BR-Vorsitzende auch die neue ist, sind 526 Stimmen doch mehr als ein Achtungserfolg. Aber was kommt nach der Wahl? Laut Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) werden die Entscheidungen im Betriebsrat mit einfacher Mehrheit gefällt. Selbst zur Gestaltung der Tagesordnung der Sitzungen wird die IGM-interne Opposition bei Daimler auf Kooperationen angewiesen sein, denn das gesetzliche Quorum eines Viertels des Betriebsrats erreichte sie nicht – auch nicht in Untertürkheim. Was zu tun bleibt, so Efe, ist zweierlei: Die Informierung der Belegschaft über die Vorgänge und Pläne im Unternehmen. Und die Umsetzung einer „politischen Oppositionsstrategie“ in Betriebsrat, IG Metall und Vertrauensleutekörper. Zusammen ergibt das den Versuch, mittelbar auf einen Kurswechsel der Gewerkschaft und die Mobilisierung der Belegschaft hinzuwirken.

Immerhin führte das schon soweit, dass KollegInnen die „freiwillige Mehrarbeit“ am Samstag verweigern, um ihre Forderung nach Aufhebung der Gesamtbetriebsvereinbarung zur „Unternehmensrettung“ (8,75% Lohnsenkung seit Mai 2009) zu unterstreichen.

Sie können nur gewinnen

Die Hauptamtlichen der IG Metall begreifen ein solches Ansinnen der eigenen Mitglieder jedoch als „gewerkschaftsschädigendes Verhalten“. So leitete der Ortsvorstand nun auch in Berlin-Marienfelde ein Ausschlussverfahren gegen alle 31 „Alternative“-KandidatInnen ein, nachdem er im vergangenen Jahr die Anerkennung einer zweiten IGM-Liste verweigert hatte. Hier bestätigt sich also die anarchosyndikalistische Kritik an bezahlten Funktionären, die allein ihre eigenen Interessen als Organisationsinteresse gelten lassen. Dabei, so führt die Opposition in Untertürkheim aus, wurden im Werksteil „Mettingen die besten Wahlergebnisse für die IG Metall erreicht … [Hier] wird seit vielen Jahren mit den KollegInnen offen und kritisch diskutiert. Hier wird auch Kritik an Betriebsrats- und Gewerkschaftsentscheidungen offen vertreten, wenn sie nötig ist“.(3) Untertürkheim war, neben Bremen, der einzige Daimler-Standort mit Alternative-Präsenz, an dem die IG Metall die Opposition – nach einer zähen Schlichtung im Herbst 2009 – auf ihrer Liste duldete.

Ein Kurswechsel oder eine Demokratisierung ist jedoch noch lange nicht erreicht. Überhaupt erscheinen die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschafter als Betriebsräte sehr begrenzt. Das liegt nicht zuletzt an der geltenden restriktiven Gewerkschaftsrechtsprechung und an der trotz aller Unzufriedenheit mangelnden Initiative der übergroßen Mehrzahl der KollegInnen. Wenn die Neugründung einer Gewerkschaft – etwa eines FAU-Syndikats – auch gewagt erscheinen mag, wäre damit zumindest ein Problem gelöst: das der Abhängigkeit von den IGM-Vorständen. Den Wegfall organisationsinterner Auseinandersetzungen könnte man getrost als win-win-Situation bezeichnen, zumindest auf Seiten der Gewerkschaften.

André Eisenstein

Anmerkungen:

  1. Zur Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der BR-Arbeit, siehe Direkte Aktion #185 und #186.
  2. Ausführlicher zur Lage und Geschichte im Berliner Daimler-Werk, siehe Interview mit Mustafa Efe, Direkte Aktion #198
  3. Alternative #81, 31.3.10, online: www.labournet.de

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