Bildungsstreik im Jena

Es waren nur eine Handvoll Leute, die Ende 2011 große Pfändungsmarken in der Friedrich-Schiller-Universität Jena verklebte. Die meisten von ihnen waren schon bei den großen Bildungsstreiks 2009 dabei. Sie waren die Übriggebliebenen und hatten sich inzwischen in der studentischen Selbstverwaltung eingenistet, denn die Bewegung gab es nicht mehr. Und so gaben Sie sich mit einer kleinen Aktion zufrieden. Zumindest ein Zeichen wollten Sie setzten. Gerade hatten die schwarz-rote Landesregierung und die Hochschulen die sogenannte Rahmenvereinbarung III unterschrieben. Darin abgesteckt wurde die Finanzierung der Hochschulen bis Ende 2015, und die systematische Unterfinanzierung fortgesetzt.

Ende 2012 sah die Sache schon etwas anders aus. Nun sollten Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen der Landesregierung und den einzelnen Hochschulen den finanziellen Korridor e nger abstecken. Erstmals wurde klar, an welcher Hochschule in etwa wie viel Stellen gekürzt werden würden. Aufklärende Flugblätter wurde verteilt,
Aktion vom 20. Mai: der Bildungsstreik 2014 ist eröffnet


Unterschriften gesammelt, eine Veranstaltung mit Regierungs- und Oppositionsvertreter_innen, Gewerkschaft und einem linken Professor organisiert. Es war auch nicht mehr nur eine Handvoll Menschen, die das organisierte. Vor allem aus den Fachschaftsräten gab es jetzt mehr Interesse. Ende 2013 hatte sich die Lage verschärft. Die Schuldenbremse zwang nicht nur Thüringen, die Austeritätspolitik unverblümt anzuwenden. Die Kürzungen, über die im Rahmen des Struktur- und Entwicklungsplan verhandelt wurde, waren noch umfangreicher geworden. Und so fanden sich so viele wie seit Jahren nicht mehr zusammen als das Referat für Hochschulpolitik des Studierendenrats der Friedrich-Schiller-Universität zu Beginn des Wintersemester 2013/14 zum Vernetzungstreffen rief. Schnell war klar: Die Phase des Fragens, Zuhörens und Verhandelns ist vorbei. Eskalation ist angesagt. Auf wöchentlichen Treffen wurde versucht zu koordinieren, was wild heranwuchs. Eine neue Protestbewegung bahnte sich ungestüm ihren Weg. In aller Eile wurden über 10.000 Flyer verteilt. Mit der Aktion „Bildungskürzungen ankreiden“ wurden Forderungen und Parolen auf dem Campus für alle sichtbar angebracht. Eine Sensenfrau zog durch Vorlesungen und entführte die Professor_innen, deren Lehrstühle durch Kürzungen wegzufallen drohten. Am Tag an dem die Kürzungen beschlossen werden sollten fanden sich 6.000 Menschen zusammen. An einem Freitagmorgen um 8 Uhr morgens zogen sie zum Tagungsort des Hochschulrats. Während draußen Redebeiträge gehalten wurden verschafften sich 200 Personen Zugang zum Gebäude. Sie besetzten den Senatssaal und trugen eine Erklärung vor. Die Sitzung wurde abgebrochen und die Kürzungen an diesem Tag nicht beschlossen. Dies wurde drei Monate später in der vorlesungsfreien Zeit an einem geheimen Ort nachgeholt, aber ein Zeichen war gesetzt. Inzwischen haben sich die Organisator_innen der Proteste auf die Landes- und Bundesregierung eingeschossen. Ob sie für die grundsätzlicheren Forderungen erneut viele Menschen mobilisieren können, wird der Juni zeigen. So weit so gut. Das Geschilderte klingt nach einer tollen Dynamik, an deren Ende zweifellos nur die Revolution stehen kann. Doch einen Höhepunkt gab es bereits 2009, und 2011 war davon nicht mehr viel zu spüren. Es ist zu befürchten, dass auch 2016 nicht mehr viel von den aktuellen Protesten zu spüren sein wird. Bereit jetzt kann man feststellen, dass die Fluktuation in der Bewegung hoch ist. Viele der Organisator_innen bringen sich nur wenige Monate aber dafür extrem intensiv in die Bewegung ein. Kontakte zu anderen Gruppen, Erfahrung in der politischen Arbeit und das Fachwissen liegen nur bei wenigen. Ohne die Information über den Inhalt noch nicht veröffentlichter Papiere gäbe es keine Bewegung. Die Menschen blieben uninformiert und handlungsunfähig ohne die Anleitung jener, die dauerhaft aktiv sind – egal ob gerade ein Protestzyklus ansteht oder nicht. Doch kommt es auch zu Spannungen zwischen jenen, die die Gelegenheit zur Eskalation gesellschaftlicher Missverhältnisse nutzen wollen und jenen, die sich schon daran gewöhnt haben, dass diese Bewegungen die meiste Zeit abwesend sind. Die Erfolge in Zahlen auf der Straße dürfen uns nicht darüber hinweg täuschen, dass wir die richtige Mischung aus Reform und Revolution auch diesmal wieder nicht gefunden haben und der Mix aus langem Atem und ungestümem Agieren auch diesmal nicht so recht stimmen mag.

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