Die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf

„Denn in der Familie stecken die Frauen. Sie sollen wirken für das öffentliche Leben, aber man soll ihrer dabei nicht ansichtig werden, denn sie sollen zu Hause bleiben“. Das ist eine eindeutige Ansage und sie stammt vom ersten Familiensoziologen – jedenfalls wird er so bezeichnet – Wilhelm Heinrich Riehl, aus seinem Buch: „Die Familie“ von 1855. Riehl bezog klare Positionen; die Vereinbarkeit war einfach, die Frau gehört in die Familie, der Mann geht hinaus ins feindliche Leben. Die Großfamilie, das viel zitierte „ganze Haus“ bröckelte gerade und war in der Krise. Aus der Krise entstand die Kleinfamilie, wie sie noch heute an die Plakatwände geklebt wird: Vater, Mutter und ein oder mehrere Kinder. Das Verständnis für die Notwendigkeit der Teilhabe der Frauen an der Erwerbsarbeit musste sich in zähem Ringen gegen die hatnäckige Einstellung von der natur- und gottgebotenen Stellung der Frau und des Mannes in Familie und Beruf durchsetzen. Dieser Kampf mus
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ste von den Arbeiterinnen ebenso geführt werden, wie von den Bürgerinnen. Denn auch die (meisten) Männer der im Zuge der Industrialisierung neu entstandenen Arbeiterbewegung wollten ihre Frauen nach dem Vorbild der bürgerlichen Männer im eigenen Haushalt sehen.

Selbstständigkeit durch Erwerbsarbeit…

Die sich seit 1865 formierende bürgerliche Frauenbewegung kämpfte leidenschaftlich um das Recht der Frauen auf Bildung und auf Erwerb. „Wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave“, stellte Louise Otto in ihrer Schrift „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ 1866 fest. Sie sah die Versklavung der Frauen durch eine menschenunwürdige Abhängigkeit vom Hausherrn. Ihr ging es nicht um irgendeine Arbeit, sondern die Erwerbsarbeit sollte die Selbständigkeit der Frauen ermöglichen: „Selbständig kann schon dem Sprachgebrauch nach nur sein, wer selbst zu stehen vermag, d.h., wer sich selbst auf seinen eigenen Füßen ohne fremde Beihülfe erhalten kann.“ Louise Otto verwies auf die positiven Auswirkungen der ökonomischen Selbständigkeit der Frauen auf das Geschlechterverhältnis. Sie forderte allerdings schon damals nicht nur eine materielle Teilung der Familienpflichten, sondern auch eine immaterielle. Ohne diese, also ohne die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit, sah sie ihr Emanzipationskonzept verfehlt.

Von den Vertreterinnen der sozialistischen Frauenbewegung wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung ohne die Arbeit der Frauen nicht bestehen kann. Die Möglichkeit der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit der Frauen war seit Beginn der Industrialisierung eng mit der wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklung der Industriegesellschaft verbunden. Immer dann, wenn die Wirtschaft die Arbeitskraft der Frauen benötigte, stand ihrer Erwerbstätigkeit nichts im Wege. Es waren Frauen der Arbeiterklasse, die darauf verwiesen, dass die tragende Grundlage für die soziale Gleichberechtigung des „weiblichen Geschlechts“ die Berufsarbeit bildet, weil „ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit des Weibes vom Manne, von der Familie, die Emanzipation unmöglich wird“, wie Clara Zetkin hervorhob. In ihrem Text „Die neue Familie“ forderte sie 1906 eine die Familie ergänzende öffentliche Erziehung und eine Aufteilung der Erziehungsarbeit zwischen den Eheleuten.Sieht man sich die Konzepte, sowohl die der bürgerlichen als auch die der sozialistischen Frauenbewegungen an, so wird deutlich, dass die Frauen zwar in die Berufsarbeit „eindringen“ wollten, ergänzende Infrastruktur forderten, die Familie aber – abgesehen von vereinzelten Appellen an Männer – blieb, wie sie war, nämlich die „kleine in sich geschlossene Familiendreieinigkeit – Mann, Weib und Kinder“ (Lily Braun) und letztendlich das Refugium der Frauen. Zwar wird die Frau, auch wenn sie verheiratet ist und Kinder hat, durch die Einbeziehung in die Erwerbsarbeit stundenweise dem „Bannkreis des Hauses entzogen“, die alte Form der Familie wird jedoch nicht wirklich untergraben. Frauen schleppen nun die doppelte Last wie ihre männlichen Arbeitsgenossen. Ihnen bleibt die Haus- und Sorgearbeit neben der Erwerbsarbeit. Anders als die Bürgerinnen konnten sie die Haus- und Sorgearbeiten nicht an Dienstbotinnen delegieren. Durch die Dienstbotinnenfrage trat der Klassencharakter der Frauenbewegungen deutlich hervor. Als die häuslichen Dienstbotinnen um die Wende zum 20. Jahrhundert anfingen, sich auf ihre Menschenrechte zu besinnen, kam auch dieses Modell ins Wanken.

…oder Aufbruch zu neuen Familienstrukturen?

Es waren lediglich einige weitsichtige SozialistInnen wie August Bebel und Lily Braun, die den „genossenschaftlichen Haushalt oder die zentralisierte Wirtschaftsführung“ vorschlugen, mit dem Endziel der politischen Herrschaft des Proletariats und der Herbeiführung der sozialistischen Gesellschaft. Die Konzepte haben nichts an Aktualität verloren. In Form von alternativen Konzepten, Wohn- und Hausgemeinschaften treten sie gerade in den letzten Jahren immer wieder in Erscheinung, allerdings ohne wirkliche Breitenwirkung; schon gar nicht für die unteren sozialen Klassen. Heute leben wir in einer laut Grundgesetz gleichberechtigten Gesellschaft. Die neuen Frauenbewegungen der 1970er Jahre (in der Alt-BRD) problematisierten die geschlechtshierarchische Arbeitsverteilung. Konzepte zur Einbeziehung der Männer in die Hausarbeit standen weiterhin aus. Auch die Kritik an der kleinfamilialen Lebensform zu Gunsten von Wohn- und Lebensgemeinschaften erreichte keine breite Basis. Die ständig steigende Quote der Erwerbsbeteiligung von Frauen in der BRD und der Wunsch „beides“ zu vereinbaren, führte zur Flexibilisierung der Frauenarbeit im Beruf durch Minijobs und nicht existenzsichernde Teilzeitarbeitsverhältnisse. Die Frau muss nicht mehr (ausschließlich) zu Hause bleiben, dennoch bleibt die Abhängigkeit vom „Haupternährer“. Rollentausch ist möglich, wird aber selten praktiziert und ist eine schlechte Lösung des Problems, denn er lässt die Strukturen der Familie weiterhin unangetastet.Väter und Mütter wünschen sich eine gleichmäßige oder zumindest gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit, so geht es aus zahlreichen Untersuchungen hervor, aber nur wenige leben tatsächlich danach. Der Soziologe Ulrich Beck sprach 1986 von „verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ bei seinen Geschlechtsgenossen. Das Wissen, dass weder Familie noch Beruf in ihrer jetzigen Form geeignet sind, „beides“ zu vereinbaren, liegt seit langem vor, und potenziert sich durch die Zunahme von pflegebedürftigen Alten und anderen Hilfsbedürftigen. „Reformmaßnahmen“ gehen weiter vom „Haupternährermodell“ aus und versuchen, dieses zu festigen. Wenn sich Beruf und Familie, so wie sie heute sind nicht vereinbaren lassen, brauchen wir nicht nur Veränderungen im Erwerbsleben, die nicht auf Kosten der Existenzsicherung der Frauen gehen, sondern wir brauchen auch Veränderungen in der Struktur der Kleinfamilie.

Tatsächlich entfernt sich die soziale Realität immer mehr vom ideologischen Gemälde. Im Jahre 2011 lebten laut Mikrozensus 49 Prozent der Bevölkerung als Familienmitglieder. Als solche gelten Mütter und Väter – darunter auch Stief-, Pflege- oder Adoptiveltern – sowie die mit ihnen im Haushalt lebenden Kinder. Von den Familien, in denen Kinder leben, sind 71,2 Prozent Ehepaare, 9,2 Prozent Lebensgemeinschaften und 19,7 Prozent Alleinerziehende (davon 82 Prozent Frauen). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass wir es mit einer weit größeren Vielfalt von Lebensformen zu tun haben, als dies aus der Statistik ersichtlich ist. Acht Millionen Menschen in der BRD leben ohnehin als Singles. Sie werden für den „Geburtenrückgang“ verantwortlich gemacht, der Ruf nach einer (zusätzlichen) Besteuerung von Kinderlosen wird laut, anstatt die Vergünstigungen, die alleine der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung dienen, wie Ehegattensplitting, Witwenrente, Herdprämie etc. abzuschaffen. Es kann auch nicht darum gehen, sich häufende „neue Lebensformen“, die sich der bürgerlichen Familienform anpassen wollen, zu „normalisieren“ und damit wiederum andere daran zu messen und auszugrenzen. Es geht darum, dass keine Lebensform bevorzugt und keine benachteiligt wird. Es gilt, an Modellen zu arbeiten, die eine Gleichverteilung der sinnvollen existenzsichernden Erwerbsarbeit und der Haus- und Sorgearbeiten (heute Care-Arbeiten genannt) zum Ziel haben und zwar individuell, im Kollektiv und in der Gesellschaft. Es geht um die Utopie von freien Zusammenschlüssen unter freien Menschen.

Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, langjährige Redakteurin der Zeitschrift beiträge zur feministischen theorie und praxis, jetzt Redaktion LunaPark21. Lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin.

Letzte Buchveröffentlichungen: Theorien alternativen Wirtschaftens, Stuttgart 2012; Feminismus, Köln 2011 und „Freiwilligendienste“ für alle, Neu-Ulm 2012. Herausgeberin des Wandkalenders Wegbereiterinnen, der seit 2003 jährlich erscheint.

Zahlen, bitte!

Im Jahre 2012 waren 71,6% aller Frauen im Alter von 24 bis 64 Jahren
erwerbstätig. In Kontrast dazu waren 2001 noch 62% der Frauen
lohnabhängig beschäftigt.

Von insgesamt 40,6 Millionen ArbeiterInnen sind knapp 7,5 Millionen im
Niedriglohnsektor tätig, was gegenüber 2003 eine Erhöhung von 2
Millionen ausmacht. Von den 7,5 Millionen GeringverdienerInnen sind 65%
Frauen, obwohl sie im gesamten Arbeitsmarkt nur ca. 46% ausmachen.
(Statistik der Arbeitsagentur, 2013)
Die Teilzeitbeschäftigungsquote in
der BRD lag bei lohnabhängigen Frauen im Jahr 2012 bei knapp 46%. Dies
ist die zweithöchste Quote in der EU. Gründe dazu sind unter anderem:
Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen (51,3%) Aus oder
Weiterbildung (5,5%), Krankheit oder Unfallfolgen (1,9%).
(Pressemitteilung Nr.86 vom 07.03.2013)

Ende 2012 konnten 465.000 Menschen in Deutschland nicht von ihrer Altersrente leben und mussten zusätzlich Leistungen aus der Grundsicherung beantragen. Im Vergleich zu 2005 liegt der Anstieg bei 35,6%. Aktuell sind demnach 2,7% der über 65-jährigen auf das Sozialamt angewiesen, Tendenz: schnell steigend. (Statistik Niedriglohn und Teilzeitsektor)

 

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