Nicht nur religiöse Einrichtungen oder der Sozialdemokratie nahestehende Wohlfahrtverbände prägen den Pflegemarkt. So spielt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als unabhängiger Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege mit etwa 150.000 Beschäftigten im Blutspendedienst, der Sozialarbeit, im Gesundheitswesen, aber auch im Pflegebereich eine gewichtige Rolle. Offiziell unparteilich und weltanschaulich neutral, ist dennoch auffallend, dass viele Funktionäre das Parteibuch der CDU besitzen, wie auch der jetzige DRK-Präsident Seiters. Im ARD-Morgenmagazin Ende August redete sich der damalige Innenminister noch mal seinen Asylkompromiss von 1992/93 schön. Noch perfider wirken solche Statements von Vertretern einer Hilfsorganisation unter Berücksichtigung des Kooperationsvertrags, den das DRK und die Bundeswehr Anfang des Jahres geschlossen haben. Dadurch drohen die Grenzen zwischen militärischen und humanitären Zielen zu verschwimmen. Ebenso wird die schleichende Militarisierung der Gesellschaft vorangetrieben. Lang ist es her, als Peter Kropotkin das Rote Kreuz als herausragende freie Vereinbarung in seinen dezentralen und internationalen Strukturen als Gegenentwurf zum etatistischen Nationalstaat pries.
Gerade die noch heute stark föderale Struktur wird immer wieder als sehr skandalanfällig in den Untergliederungen angesehen. So kam vor einigen Jahren heraus, dass Führungskräfte im Blutspendedienst bestochen wurden, teurere Medizinprodukte zu beziehen, oder im Rettungsdienst schwarzgearbeitet wurde. Mit der Masche der Vereinsmitgliedschaft anstatt direkter arbeitsvertraglicher Bindung an das Uniklinikum Essen will die Vereinsführung der lokalen DRK-Schwesternschaft Arbeitnehmerrechte umgehen: So würden das Streikrecht, die Teilnahme an Betriebsratswahlen und Möglichkeiten, gegen das Klinikum vor das Arbeitsgericht zu ziehen, ausgehebelt. Die Frage, ob Vereinsmitglieder im Pflegedienst auf diese Weise dauerhaft an das Krankenhaus verliehen werden dürfen, wurde vom Bundesarbeitsgericht im März dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Es geht darum, ob das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, welches gemäß der europäischen Leiharbeitsrichtlinie nur noch die vorübergehende Überlassung zulässt, ebenso für diese Konstruktion der Vereinsmitgliedschaft gilt.
Von Mehr- zur Überlastung
Ebenso zeigt der Alltag im Pflegedienst Missstände auf, welche der DA von einem Kollegen aus einem DRK Senioren- und Pflegeheim geschildert wurden. Die Zustände können teilweise aber als beispielhaft für die Gesamtbranche gelten, ebenso kann es von Haus zu Haus unterschiedlich aussehen. Der Beruf des Altenpflegers geht mit viel Verantwortung und Belastung einher, dies soll anhand von persönlichen Schilderungen aus der Altenpflege wiedergeben werden:
„Was soll aus uns werden, wenn wir erst alt und pflegebedürftig sind – bei den Bildern, welche zu Altenpflegeheimen und deren Zustand aufkeimen?“ Da kommen einem gleich die großen Themen wie ‚Pflegenotstand‘ und die daraus resultierende ‚Gewalt in der Pflege‘ in den Kopf geschossen.“ Doch dies sind Konsequenzen der jahrelangen Missachtung vonseiten der Politik für die Ursachen, wie etwa der „Demografische Wandel“ oder die Defizite bei der Begutachtung bezüglich Pflegestufen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zugunsten der Pflegekassen sowie zum Nachteil der Pflegebedürftigen.
„In den letzten zwei bis drei Jahren wurde der Personalschlüssel im lokalen Seniorenheim durchschnittlich um mindestens zwei Pflegekräfte gekürzt. So müssen die KollegInnen in jeder Schicht eine Pflegekraft ersetzen und trotzdem versuchen den Pflegestandard, den man als Beschäftigter an sich selbst und den Betrieb anlegt, zu halten. Insbesondere macht sich diese Personalsituation an den Dienstplänen bemerkbar, welche die Pflegekräfte zu spüren bekommen, indem sie teilweise 10 bis 14 Tage am Stück arbeiten müssen“. (10 Tage bei Vollzeit, 14 Tage bei Teilzeit). Dies ist so auch vom Gesetzgeber laut Arbeitszeitgesetz in der Pflege gestattet. Das bedeutet automatisch Mehr- oder Überstunden, sowie weniger IST- als SOLL-Freizeit. Daraus resultiert eine Mehr- und später auch Überlastung, welche sich nicht nur auf die Pflegekräfte, sondern auch auf deren zu Pflegende überträgt. Logische Folgen können Pflegemängel sein: Pflegebedürftigen, welche sich weder Nahrung und Getränke selbst zubereiten noch verabreichen können, droht Unterernährung sowie Dehydratation. Ebenso Wundliegen immobiler Menschen, Infektionen aufgrund von verschiedenen Inkontinenzformen oder sonstigen Selbstversorgungsdefiziten können gefährliche Folgen von defizitärer Pflege sein.In diesen Situationen werden die Pflegenden von Politik, Arbeitgeber und Gesellschaft allein gelassen, müssen jedoch ihr Handeln im Anschluss plausibel rechtfertigen. Diesen Zustand kann ein Mensch über einen gewissen Zeitraum kompensieren. Und hier spart der Arbeitgeber bewusst auf Kosten der Gesundheit des Arbeitnehmers und des pflegebedürftigen Menschen. Ist dieser Zeitraum überschritten, wird der Beschäftigte krank. Diese Krankheit bekommt dann der Pflegebedürftige am eigenen Leibe zu spüren. Es ist einfachste Gesund- und Krankheitslehre gemixt mit Psychologie. Jeder Mensch weiß das, der einen Gesundheitsberuf erlernt hat. Aber diesen Kreis können Pflegekräfte nicht ohne Unterstützung brechen.
Christliche Tarifpolitik in der Pflege
Betriebsräte in Senioren- und Pflegeheimen kämpfen meistens auf verlorenem Posten, aufgrund von Zeitmangel, da diese selbst in der Pflege tätig sind, und hinterlistiger Methoden seitens des Arbeitgebers. Ebenso in tariflicher Hinsicht werden durch Abschlüsse mit der christlichen Gewerkschaft „DHV – Die Berufsgewerkschaft“ die Löhne gedrückt. Report Mainz berichtete schon 2008 von DHV-Haustarifverträgen, welche Dumpinglöhne für die Beschäftigten bedeuteten. Erst im Juni dieses Jahres erklärte das Arbeitsgericht Hamburg die DHV für nicht tariffähig. Beim DRK wird der DHV als tarifliches Feigenblatt genutzt, um ja nicht mit den Beschäftigten ansatzweise ernsthaft zu verhandeln oder um nur ver.di sowie deren konventionelle Tarifpolitik zu meiden. Auch mit der AWO Thüringen hat der DHV schon Tarifverträge abgeschlossen. Ob konfessionell oder nicht – in der Pflege müssen stellenweise elementare Gewerkschaftsrechte erkämpft werden.
Die Leidtragenden in dieser gesamten Misere sind in erster Linie die pflegebedürftigen Menschen und die Personen, die ihnen zur Pflege zugeteilt sind, sowie anschließend auch die Angehörigen beider Gruppen.