Asyltziale Selbstorganisation

Es ist Markttag am Sylter Rathausplatz. Die Sonne scheint, die Möwen kreischen, ein Imker bietet frischen Honig an, die Kaffeepreise vom Laden an der Ecke sind hoch und ein Punk rennt durch die einkaufenden Flaneur:innen mit dem Schild „Ich bin ein Punk, holt mich hier raus. Habe mein 9-Euro-Ticket verloren“. Seine Haare sind bunt wie ein Regenbogen, die Menschen freundlich und spendabel. Könnte es schöneren Urlaub, beziehungsweise Aktivismus geben?

Gelebte Basisdemokratie auf Sylt

Die Zeit der Reibereien in der Shoppingstraße vorm Rossmann auf Westerland scheinen vorbei zu sein. Seit Ende Juli hat sich das angemeldete Protestcamp „Asyltziale Antiarmeefraktion“ auf dem Kurpark, einer kleinen Grünfläche direkt am Sylter Rathausplatz, gebildet mit zusätzlichem FLINTA-Zeltbereich ein paar Straßen weiter. Natürlich kommen diese Punks mit ihren bunten Haaren, Tattoos und auch noch Piercings (!) nicht bei allen Sylter:innen gut an. Eine ältere Dame bleibt entsetzt stehen mit ein paar Metern Abstand und verschränkt ihre Armee vor der Brust. „Und wir müssen jetzt auch noch bezahlen für die zerstörten Pflanzen.“ Leider hat sie nicht so laut gesprochen, dass sie von mehr Leuten gehört wurde. Sonst hätte ihr vermutlich jemensch erklärt, dass bereits auf dem Plenum besprochen wurde, dass das Protestcamp zugesagt hat, nach Abreise für neues Saatgut aufzukommen.

Eigentlich wollte ich nur nach Sylt fahren, um ganz viel Dosenbier zu trinken. Doch genau wie Dutzende weitere Punks bin ich überrascht und begeistert von der aktivistischen Stimmung und gut funktionierende Selbstorganisation. Direkt an meinem ersten Abend spricht mich ein Punk im Elefantenkostüm an und erklärt mir ausführlich und begeistert die Campregeln: keine Gewalt, kein Sexismus, keine Heringe wegen der Verletzungsgefahr, Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr, Müll in die Mülleimer, Pfand in die Einkaufswagen. Wenn ich will, darf ich gerne am offenen Plenum teilnehmen, beim Wasserholen helfen und morgens gibt es auf Spendenbasis Frühstück, denn auch Punks brauchen eine Frühstücksgrundlage. Elefant ist Fundsachen-, Wasser- und Eddingbeauftragter. Seit Anfang Juni ist er auf Sylt mit dabei und überlegt auch nach der Zeit des 9-Euro-Tickets dort zu bleiben.

Das Camp hat weiterhin mehrere Mandate aufgestellt für die Security, Öffentlichkeitsarbeit und Kunst. Auch die KüFA funktioniert gut und jeden Tag ungefähr zur Mittagszeit wird pleniert. Dabei wird darauf geachtet sich dorthin zu setzen, wo mensch die Bürger:innen nicht zu sehr stört. Das Camp bietet eine Begegnungsstätte zwischen Altpunks und Aktivist:innen – zum Beispiel von Fridays for Future, deren eigene Campanmeldung leider nicht durchkam und die bei den Punks willkommen sind. Die gelebte Anarchie der vielleicht doch gar nicht so verschiedenen Gruppen kommt in ihrem basisdemokratischen Verständnis zusammen.

Für bessere Arbeitsbedingungen, steuerliche Gerechtigkeit und Wikinger

Eine Laterne auf dem Rathausvorplatz ziert ein gemeinsam erstelltes Pappschild mit gebrainstormten Forderungen. Die ersten drei sind „mehr Spielplätze, autofrei, Freibier“ und geben einen passenden Eindruck vor der menschenfreundlichen, klimaaktivistischen und heiteren Atmosphäre auf dem Protestcamp. Mittlerweile scheinen sich die Punks einig zu sein, dass mensch nicht einfach nur so zum Urlaub-machen da ist. Einer ihrer Hauptforderungen sind bessere Bedingungen für die Arbeiter:innen auf Sylt, zum Beispiel durch eine gesetzlich festgelegte Bonuszahlungspauschale, um die hohen Lebenserhaltungskosten auf Sylt auszugleichen. Nicht nur für die Arbeiter:innen bedeuten die hohen Mieten und der Leerstand die größte Senkung des Lebensstandards auf Sylt. Eine der mandatierten Personen für die Öffentlichkeitsarbeit berichtet mir:

Das meiste auf Sylt existiert hier nur wegen den Arbeitnehmern und das kann nicht angehen, dass sie teilweise in umgebauten Garagen wohnen, die extrem viel kosten und es sind teilweise nicht einmal sanitäre Anlagen vorhanden. Wir haben da schon viele Einwohner kennengelernt. So wie sie leben … das würde auf dem Festland niemals so passieren.

Eine Möglichkeit dies zu erreichen, wäre eine höhere Steuerzahlungsleistung für Haushalte, die ihren zweiten Wohnsitz auf Sylt haben. Weiterhin kritisieren die Zeltenden die Kosten der Kurtaxe für Anwohner:innen und Obdachlose, die Privatisierung eigentlich öffentlicher Bereiche wie der Müllabfuhr und dem Krankenhaus, das nicht einmal mit einem Kreissaal ausgestattet ist.

Zudem wäre es von großem Vorteil für Sylt, dreimal täglich ein großes Feuerwerk zu veranstalten, um die zahlreichen Möwen zu verscheuchen. Durch das Aufheben des Zeltverbots könnten viele 5-Sternegäste aus sportlichem und kulturellem Bereich angelockt werden. Zur interessanten Lebensraumgestaltung sollten auf Sylt Museumshöfe eingerichtet werden mit den Themen: „Vikinger [sic], Friesen, Mittelalter“, verkündet der Forderungskatalog der Asyltzialen Antiarmeefraktion, der in seiner großartigen Unterhaltsamkeit durch seine über 50 Rechtschreibfehler verstärkt wird. „Sobald jemand lächelt, hat man ja sein Ziel schon erreicht“, erzählt mir die öffentlichkeitsmandatierte Person.

Zwar haben die Punks auf den Ratssitzungen noch kein Rederecht, doch eine Person im Rathaus, die ihre Forderungen vertritt. Mittlerweile konnte bereits die Aufstellung von mehreren Dixiklos erreicht werden und wer weiß, welche politischen Forderungen für Sylt noch umgesetzt werden. Erste politische Erfolge konnten durch spontane Proteste gegen die Querdenker:innendemos erreicht werden.

Mit so viel Engagement scheint das Camp abgesehen von wenigen leicht verbitterten Kommentaren wegen zerknitterten Tulpen sehr gut anzukommen. Bei den Arbeiter:innen sowieso und auch Anwohner:innen bleiben immer wieder stehen und loben das Dasein der Punks.

 

Beitragsbild: Rechte bei der DA, Lizenz: CC0

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2 Kommentare zu «Asyltziale Selbstorganisation»

  1. Das kann doch nicht euer ernst sein…
    Kaum setzen sich drei Besoffene für ein Plenum zusammen, schon wird irgendein emanzipatorischer Gehalt reinprojeziert.
    Natürlich sind politische Erfolge dann ganz linksliberal angepasst „Proteste gegen Querdenker“.
    Natürlich wird ganz paternalistisch für die Arbeiter*innen von Sylt gesprochen, um sich selbst nen klassenkämpferischen Anstrich zu geben.
    So ein Artikel ist peinlich. Wenn das der Stand in der FAU ist, ist die FAU am Arsch.

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