Plattformarbeit - Ausbeutung in der Cloud

Plattformarbeit – Ausbeutung in der Cloud

Scheinselbstständigkeit, Intransparenz und Isolation im Homeoffice – die Arbeitsbedingungen für Plattformarbeiter:innen sind häufig prekär. Die Technologieunternehmen nutzen das arbeitsrechtliche Neuland aus, um Profite zu machen. Gewerkschaften wie die Freie Arbeiter:innen Union (FAU) nehmen sich des Problems an. Wie wird der digitale Arbeitskampf in Zukunft aussehen?

Die digitale Plattformarbeit stellt die gewerkschaftliche Organisation vor neue Herausforderungen. Cloud-Arbeiterin Susanne* weiß das. Ihre Arbeit findet nur noch im Internet statt. Als eine von rund 150 Freiberufler:innen unterrichtet sie Deutsch als Fremdsprache auf der Sprachlernplattform Learnship. Der gleichnamige Plattformbetreiber vermittelt ihr die Aufträge, legt aber auch die Honorare, die Konditionen und sogar die Lehrmethoden fest. Er wirbt mit mehr als 2000 Firmenkunden in 75 Ländern – darunter führende Marken wie Amazon, Bertelsmann und Nestlé, deren Belegschaft Susanne und ihre Kolleg:innen weltweit schulen.

Plattformbetreiber profitieren von niedrigen Honoraren

„Anfangs hatte die Arbeit noch Spaß gemacht“, sagt Susanne. Die Anonymität ihres digitalen Arbeitsplatzes schätzte sie sehr – den Chef muss sie unter anderem nicht sehen. Dann kam das Jahr 2018, in dem das Arbeitsverhältnis für Susanne und ihre Kolleg:innen einen ersten Tiefpunkt erreichte. Seitdem bezahlt Learnship ausgefallene Unterrichtsstunden nur noch zu einem Drittel. „Nach Unterrichtsbeginn müssen wir noch 20 Minuten warten“, erklärt Susanne. Sie werde quasi fürs Warten bezahlt.

Die auf der Plattform Learnship gebuchten Stunden fielen häufig aus. „Manche Schüler:innen sagen ständig ab, vor allem in stressigen Zeiten mit vielen Meetings oder zum Jahresabschluss“, sagt Susanne. Den finanziellen Ausfall tragen die Freiberufler:innen. Für Susanne und ihre Familie wäre die finanzielle Situation ohne die Aufstockung durch das Jobcenter nicht zu bewältigen.

Die Isolation im Homeoffice erschwert den organisierten Arbeitskampf

Bei wachsender Unzufriedenheit entwickelte sich die Anonymität zum Problem. Wie sollten sich die Lehrkräfte organisieren, um für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten? „Beschäftigte in der Plattformökonomie arbeiten meist sehr isoliert“, erklärt Paula*, die sich bei der Freien Arbeiter:innen Union Berlin (FAU Berlin) auf das Thema spezialisiert hat. Die Plattformbetreiber seien sich dem durchaus bewusst. Häufig schirmen diese die Plattformarbeiter:innen voneinander ab und profitieren davon, dass sich diese nicht vernetzen können.

So können sie zum Beispiel Einzelverträge verhandeln, die bei gleicher Arbeit zu ungleicher Bezahlung führen. Dass die Beschäftigen auf vielen Plattformen – wie auch die Lehrkräfte von Learnship – über alle Kontinente verstreut sind, erschwert den organisierten Arbeitskampf zusätzlich.

„Gewerkschaften müssen hier Kommunikationsräume und Taktiken anbieten, mit denen wir diese Intransparenz durchbrechen können“, fordert Paula. Sie ist Übersetzerin und arbeitet wie auch Susanne in der Cloud.

Paula und ihre Kolleg:innen haben sich erfolgreich vernetzt. Zusammen sind sie dabei ihre Arbeitssituation zu verbessern. „Wir haben uns intern auf Mindesthonorare geeinigt, unter denen wir nicht arbeiten“, erzählt Paula. „In der Corona-Zeit haben wir informell Aufträge unter uns weitergegeben, damit alle abgedeckt sind.“

Gegen die Totalüberwachung – Datenrechte sind Arbeiter:innenrechte

Auch in Bezug auf den Datenschutz unterstützen und beraten die Übersetzer:innen einander. Denn in der Cloud werden die Beschäftigten rund um die Uhr überwacht. Ihre Arbeit findet ausschließlich in der digitalen Arbeitsumgebung statt.

Ihre Produktivität wird dabei genau kalkuliert. Intransparente Algorithmen und Bewertungsmethoden können sich so zum Beispiel auf die Verteilung der Arbeitsaufträge auswirken. „Wir arbeiten in so etwas wie einem digitalen Panoptikum“, beschreibt Paula die Situation. „Dass wir Datenrechte als Arbeiter:innenrechte verstehen, ist besonders in diesem Zusammenhang sehr wichtig.“

Die Gewerkschaften müssen hier Aufklärungsarbeit leisten. Die seit 2018 anzuwendende Datenschutzverordnung der EU bietet eine erste Grundlage dafür.

Honorarkürzungen sind Anlass zum Arbeitskampf

In der FAU Berlin bildet die Plattformökonomie mittlerweile einen Arbeitsschwerpunkt. Den Beschäftigten auf der Sprachlernplattform Learnship kommt das zugute. Denn inmitten der Corona-Pandemie sollte ihr Arbeitsverhältnis einen weiteren Tiefpunkt erreichen. Per E-Mail drohte der Plattformbetreiber mit einer Honorarkürzung von 25 Prozent.

Dazu stellte das Unternehmen den freiberuflichen Lehrkräften ein Ultimatum. Sie sollten den neuen Vertrag unterschreiben und die Kürzungen akzeptieren oder keine Aufträge mehr erhalten. „Das war zu viel“, sagt Susanne. In der Betriebsgruppe entschieden sich die Deutschlehrer:innen einen gemeinsamen Brief aufzusetzen. Diesen hat die FAU Köln auf ihren Kanälen anonym veröffentlicht, um möglichen Repressionen gegen die Lehrkräfte vorzubeugen. Die direkte Aktion hat sich gelohnt – schon zwei Tage später ruderte das Unternehmen zurück.

Der Organisation des Arbeitskampfes bei Learnship gehen lange Abstimmungsprozesse zwischen verschiedenen Syndikaten der FAU voraus. Der Unternehmenssitz, der über die Zuständigkeit des Syndikats entscheidet, liegt in Köln. Die Lehrkräfte sind aber über ganz Deutschland verteilt und teils lokal organisiert.

„Die Syndikate müssten sich dieser Realität öffnen und überlegen, auch ortsfremde Arbeiter:innen aufzunehmen“, meint Paula. Überdies bräuchte es eine bundesweite Absprache, damit die Arbeitsverteilung nicht immer neu festgelegt werden muss.

„Mir schwebt eine zwar lokal gestützte, aber nicht ortsgebundene Organisationsstruktur von Arbeitnehmer:innen vor“, sagt Paula. „Wenn wir hier einen funktionierenden Ansatz finden, könnte dies ein Modell für andere Organisationen werden.“ Zurzeit arbeite die Gewerkschaft Industrial Workers of the World Großbritanniens an einem solchen Netzwerk, in dem sich schon bald Englischlehrer:innen weltweit organisieren könnten.

Plattformbetreiber nutzen das arbeitsrechtliche Neuland aus

Denn während transnationale Konzerne sich seit Jahrzehnten über Ländergrenzen hinwegsetzen, tun sich Gewerkschaften immer noch schwer, passende Antworten zu finden. Erst 2016 initiierte die IG Metall ein länderübergreifendes Treffen zur Plattformarbeit.

„Mit der Frankfurter Erklärung ist es erstmals gelungen, viele internationale Beteiligte an einen Tisch zu bekommen“, sagte damals Christiane Benner von der IG Metall. Forderungen sind unter anderem eine für den Verdienst des Lebensunterhalts durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 35–40 Stunden, der bezahlbare Zugang zum Gesundheitswesen und die Integration in die sozialen Sicherungssysteme. Die Plattformbetreiber sollen arbeitsbedingte Erkrankungen und Arbeitsunfälle entschädigen. Zudem sollen Arbeiter:innen ein Rechtsschutz auf unrechtmäßige Kündigung bekommen. Schließlich fordern die Beteiligten ein Recht für die Beschäftigen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Noch heute ist all das nicht selbstverständlich in der Plattformökonomie.

Im digitalen Arbeitskampf hat die Basisgewerkschaft FAU bereits Erfahrung

Während Gig-Arbeiter:innen – wie zum Beispiel die Fahrer:innen bei Lieferando – bereits erste Erfolge erzielen, hat sich für Solo-Selbstständige wie Cloud-Arbeiter:innen oder Klick-Arbeiter:innen wenig verbessert. Wegen dem Status der Solo-Selbstständigkeit fällt es den meisten Gewerkschaften immer noch schwer, passende Lösungen anzubieten.

Genau hier bieten Basisgewerkschaften wie die FAU eine gute Alternative. „Wir müssen nicht erst auf ein Gesetz warten, um aktiv zu werden“, sagt Paula. Die kämpferische Basisgewerkschaft arbeitet auf Einzelfallbasis. Branchenunabhängig kann sie in Plattformbetrieben sogar die gesamte Belegschaft schützen. Und weil sich in der FAU bereits viele Freiberufler:innen – wie auch Cloud-Arbeiter:innen – erfolgreich organisieren, verfügen die Mitglieder bereits über Erfahrung. Denn das Feld darf nicht den Konzernen überlassen werden. Diese wissen, dass sie sich auf arbeitsrechtlichen Neuland bewegen und nutzen dies aus.

Wie können Plattformen in Zukunft kollektiviert werden?

Auch deswegen ist es wichtig, ein Ziel besonders im Auge zu behalten – die Kollektivierung. Dabei gibt es im Bereich der Plattformarbeit bereits erste Vorbilder wie lokale Lieferkollektive.

Für Cloud-Arbeiter:innen sieht Paula hier großes Potenzial. „Es gibt bereits Übersetzungskollektive, es gibt Sprachschulen, die kollektiv geführt werden – warum also nicht auch eine Cloud?“ Auch hier könne die Arbeit selbständig organisiert und effektiver ausgeführt werden. „Die Arbeiter:innen kennen sich damit ja besser aus als irgendwelche Manager:innen“, sagt Paula. Rational mache es einfach mehr Sinn, im Kollektiv zu arbeiten. „Wozu brauchen wir Chefs?“, wirft Paula die Frage auf. Es bräuchte nur Menschen, die die Arbeit zum Beispiel auf der Basis eines Mandats koordinieren. Den Lohn könnten die Arbeiter:innen dann weitgehend behalten.

Aber wie würde die Kollektivierung bestehender Plattformbetriebe aussehen? Wäre es vielleicht einfacher, sie zu verlassen und im Kollektiv neu zu gründen? Hier ist Kreativität gefragt – eine spannende Aufgabe, der sich Basisgewerkschaften und Syndikalist:innen stellen sollten.

*Die Namen der Interviewpartnerinnen wurden von der Redaktion geändert, um ihre Anonymität zu wahren.

 

Titelbild © Findus

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