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Friedrich-Schiller-Universität JenaSeit Anfang November kämpft die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion Erfurt/Jena (FAU) mit einem FAU- und GEW-Mitglied gegen die Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) für dessen tarifliche Bezahlung. Der Kollege hat im Sommer 2016 auf der Versuchsfläche des „Jena Experiments“ für die biologisch-pharmazeutische Fakultät Unkraut gejätet und als studentische Hilfskraft (SHK) den Mindestlohn erhalten.

 
Nach Meinung der FAU ständen ihm allderdings 9,70 Euro aus dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) zu. (https://www.fau.org/ortsgruppen/erfurt-jena/art_161122-200721). Da die Universität auf ein Verhandlungsangebot nicht eingegangen ist, schlägt die FAU nun den Rechtsweg ein.
 
Lohndumping an der Universität hat System
 
Es ist nicht der erste Konflikt, den die FAU mit der Universität führt. Schon mehrfach mahnte sie legale Bezahlungen und Arbeitsverträge an, zuletzt im vom Soziologieinstitut betriebenen Callcenter, genannt CATI-Labor. (https://www.fau.org/ortsgruppen/erfurt-jena/art_160720-062217)  Das Vorgehen der biologisch-pharmazeutischen Fakultät scheint kein Einzelfall zu sein und Lohndumping System zu haben. Dabei betreffen prekäre Arbeitsverhältnisse nicht nur Studierende, sondern Angestellte der gesamten Universität. So erhalten Lehrbeauftragte pro Lehrveranstaltung und Semester lediglich 600 Euro. Ohne Widerstand durch alle Ebenen wird sich daran auch so schnell nichts ändern. Im Gegenteil werden sich die die Arbeitsverhältnisse wegen der Unterfinanzierung der Hochschulen weiter verschlechtern.
 
Neben der geringen Bezahlung bekommen Studierende in der Regel auch keinen Urlaub, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und keine Bezahlung für geleistete Überstunden. Dennoch ist gerade bei ausländischen Studierenden, die dringend auf Geld angewiesen sind, um die teuren Mieten in der „Lichtstadt“ Jena zu zahlen, diese einfache aber sehr anstrengende Arbeit beliebt. Die Anzahl der Betroffenen dieser unrechtmäßigen Bezahlung ist sehr hoch: Allein auf den Feldern des „Jena Experiments“ arbeiten mindestens drei Mal im Jahr über 100 Studierende.  
 
Güteverhandlung öffnet Weg zu gerichtlicher Grundsatzentscheidung
 
Am 16.11.2016 fand vor dem Arbeitsgericht in Gera die Güteverhandlung zwischen der FAU und der FSU statt. Es kam zu keiner Einigung, sodass im Mai 2017 ein Kammertermin erfolgt. Während es für den Kollegen um nicht einmal hundert Euro geht, steht für die Universität ein Beschäftigungsmodell für mehrere hundert Studierende auf dem Spiel. Das Gericht hat zu klären, wann von einer wissenschaftlichen Tätigkeit gesprochen werden kann und somit eine Anstellung als SHK gerechtfertigt ist.
 
Feldarbeit als wissenschaftliche Tätigkeit?
 
Entscheidend für die Einstufung als wissenschaftliche Dienstleistung ist, welche Nähe der Mitarbeiter zur wissenschaftlichen Tätigkeit hat.
Dass diese Nähe bei der Feldarbeit des „Jena-Experiemts“ gegeben ist, scheint mehr als fraglich: Es werden keinerlei spezifische Kenntnisse benötigt und es arbeiten Studierende sämtlicher Fachrichtungen, sowie Nichtstudierende in einem normalen Minijob. Außerdem ist den meisten Arbeitenden der wissenschaftliche Hintergrund ihrer Tätigkeit unbekannt.
Es scheint sich nicht um eine wissenschaftliche Hilfstätigkeit zu handeln, sondern um monotone Zuarbeit in einem prekären Arbeitsverhältnis. Selbiges gilt für die vielen Studierenden, welche in der EDV oder Bibliothek arbeiten und dort nicht mehr als Verwaltungsarbeit machen.
 
Versuch der Spaltung?
 
Es geht also um nicht wenig im Mai, da eine für Thüringen grundsätzliche Entscheidung ansteht – welche anderswo schon längst entschieden ist. 
Vor diesem Hintergrund ist die Verlautbarung der Rechtsvertretung der Universität zu betrachten. Sie deutete an, dass die FSU im Falle einer Niederlage auf den Versuchsflächen keine Studierenden mehr anstellen könne, sondern höchstens „normale Arbeitskräfte“.
Die Universität scheint also eine Drohkulisse aufzubauen zu wollen. Angesichts der brisanten Lage und der drohenden Mehrkosten liegt es nahe, dass dies einen Versuch darstellt, Studierendenschaft und FAU zu spalten.
Wenn tatsächlich keine Studierenden mehr angestellt werden würden, fiele damit für viele ausländischen Studierenden eine relativ leicht anzugehende Finanzierungsquelle weg. Schließlich herrscht neben Deutsch auf den Feldern auch Englisch als Umgangssprache und die 49 möglichen Arbeitsstunden können flexibel eingeteilt werden. 
Allerdings ist der Ausschluss der SHK aus dem TV-L und die daraus folgenden prekären Arbeitsbedingungen Ausdruck des Machtverhältnisses zwischen den Studierenden und Universitäten.
Im Ergebnis bedient sich die FSU eines klassischen Arguments der Kapitalseite: Prekäre Arbeitsverhältnisse werden damit gerechtfertigt, dass dadurch überhaupt erst Jobs geschaffen werden (Stellungnahme der Soziologie).
Den Studierenden kann also nur empfohlen werden, auf die Spaltungsversuche seitens der Universität nicht einzusteigen. Schließlich ist die mangelnde Organisierung Studierender der Grund für die schlechten Arbeitsbedingungen.
 
Verhandlung am 17. Mai in Gera
 
Egal wie die Verhandlung ausgehen wird, bemerkenswert ist schon jetzt, dass es der FAU trotz ihrer relativ geringen Größe wieder gelungen ist, für Wirbel im universitären Betrieb zu sorgen und schlussendlich Arbeitsbedingungen der Studierenden im großen Stil zu verbessern. Möglich macht dies eine Bissigkeit, welche sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften teilweise verloren gegangen zu sein scheint. Letztlich setzt sie lediglich den DGB-Tarifvertrag durch. Zu hoffen bleibt, dass sich die Studierenden ihrer Macht bewusst werden und sich organisieren. Damit sie nicht nur mehr wollen, sondern auch mehr bekommen.

Marcel Goldbach

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