Solidarisch, hierarchiefrei, gleichberechtigt – so stellen sich die meisten von uns einen Kollektivbetrieb vor. Ein bisschen richtiges Leben im Falschen, eine Mikro-Utopie im Kapitalismus. Doch wer schon einmal näher mit Kollektivbetrieben zu tun hatte, weiß auch: Das stimmt so nicht ganz. Denn auch Betriebe, die Gleichheit und Transparenz zu ihren höchsten Zielen erklären, erreichen diese natürlich nicht immer. Deshalb organisieren sich manche Kollektivbetriebe in der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter:innen Union (FAU) und schließen sich in der Union Coop Föderation, kurz UCF, zusammen.
Das sind die Prinzipien der Kollektivbetriebe
Die Idee der UCF ist es, zu gewährleisten, dass Kollektivbetriebe auch tatsächlich das sind, was sie sein wollen. Nämlich Betriebe, die zum einen im Besitz ihrer Belegschaft, also der Kollektivist:innen sind; und in denen zum anderen alle Kollektivist:innen gleichberechtigt sind in Bezug auf Löhne und Entscheidungen.
Um das zu erreichen, hat die Union Coop sieben Prinzipien für ihre Mitgliedsbetriebe erarbeitet: Die Betriebe sind in Belegschaftshand, basisdemokratisch organisiert, verpflichten sich zur Transparenz, zu Gleichbehandlung in der Entlohnung, sind solidarisch mit der arbeitenden Klasse, wirtschaften möglichst solidarisch und ihre Belegschaften sind mehrheitlich in der FAU organisiert.
Weniger als Ideale denn als Mindeststandards gedacht, sollen die Prinzipien den Mitgliederbetrieben Orientierung bieten und sind, soweit in der Praxis umsetzbar, Voraussetzungen für die Mitgliedschaft.
Fine von Educat, einem Kollektiv von Bildungsreferent:innen, das seit seiner Gründung 2019 in der Union Coop organisiert ist, schätzt genau das: „Die Union Coop hilft uns perspektivisch, einen noch faireren Betrieb zu bilden, der nicht auf Selbstausbeutung basiert.“ Denn auch dafür stehen die Prinzipien der UCF: Für eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen.
Für ihre Mitgliederbetriebe ist die UCF aber noch mehr als ein Instrument der Selbstkontrolle, nämlich ein solidarisches Netzwerk. Die Betriebe beraten und schulen sich gegenseitig, kaufen und verkaufen Waren gesammelt und profitieren von einem gemeinsamen Auftritt in der Öffentlichkeit.
Vor allem der Austausch mit anderen Kollektivbetrieben war für das Educat-Kollektiv ein Grund, sich der Union Coop anzuschließen, wie Fine verrät. Auch heute profitiert Educat von der UCF vor allem als eine Art Plattform, die neben der Vernetzung eine höhere Bekanntheit insgesamt ermöglicht.
Die Union Coop entwickelte sich vom Siegel zur Föderation
Die Initiative zur UCF, erinnert sich Hansi Oostinga, begann 2012 in der FAU Berlin. Hansi, der seit etwa 25 Jahren Mitglied der Berliner Gewerkschaft ist, wollte mit der Union Coop vor allem eine Antwort auf die Frage geben, was ein FAU-Kollektivbetrieb ist. Die ursprüngliche Idee war es sogar, eine Art Siegel zu schaffen, um die Einhaltung bestimmter Prinzipien transparent zu machen, aber auch um einen Anreiz hierfür zu schaffen.
Als 2016 die Webseite union-coop.org online ging, war die Föderation noch auf Berlin beschränkt, bevor nach und nach Mitgliederbetriebe aus ganz Deutschland dazukamen. Aktuell sind rund zehn Betriebe in der Union Coop organisiert, darunter die Kaffeerösterei Flying Roasters aus Berlin, das BauKo Baukollektiv aus Marburg und der Berliner Veganladen Dr. Pogo. Darüber hinaus sei die Union Coop recht bekannt in der Szene der Kollektivbetriebe, schätzt Hansi. Es gebe zumindest „einen Haufen Anfragen.“
Warum konnte die UCF trotzdem bisher nicht mehr Betriebe von ihrem Konzept überzeugen? „Vor allem ältere Betriebe haben oft wenig Lust, ihre Autonomie aufzugeben und betrachten – auch aus eigener Erfahrung – solche Vernetzungsversuche mit einer gewissen Skepsis“, erklärt Hansi die Situation. Viele können oder wollen die Prinzipien auch nicht erfüllen.
Neue Betriebe haben hingegen in der Aufbauphase häufig wenig Zeit und Kapital. Dies führt dazu, dass sie sich nicht wirklich über den Betrieb hinaus engagieren können und selbst oft unter Bedingungen arbeiten, die mit den Prinzipien der UCF nicht zusammengehen.
Es gab ein Startkapital der anderen Art
Dabei kann die Union Coop gerade in der Gründungsphase eine große Hilfe sein, wie Robin, Sandra und Till vom ACS Copy Service erfahren haben. Das Copyshop-Kollektiv hat sich Anfang 2021 in Bonn gegründet und ist der jüngste Zuwachs der Union Coop Föderation. „Ohne die Union Coop wäre die Gründung, glaube ich, ganz anders gelaufen“, meint Robin.
Für die drei war von Anfang an klar, dass sie ihren Betrieb kollektiv verwalten wollen – aber nicht, wie das rechtlich überhaupt funktioniert. Deshalb war vor allem die Frage nach der Gesellschaftsform zentral. Hier sowie bei weiteren bürokratischen Baustellen – etwa Versicherungen, Verträge oder das Betriebsstatut – konnten die anderen Union Coop-Betriebe weiterhelfen oder vermitteln.
Auch aus finanzieller Sicht war die Mitgliedschaft schon im Gründungsprozess hilfreich. Denn mit der Föderation als Back-Up konnten die drei Neu-Kollektivist:innen Vertrauen bei privaten Kreditgebern schaffen. So war klar, dass sie es mit der Selbstbezeichnung Kollektivbetrieb ernst meinen, was einigen Geldgebern sehr wichtig war. Für ACS ist die Mitgliedschaft „wie eine Absicherung, dass der Betrieb wirklich kollektiv geführt wird.“
FAU und Union Coop arbeiten zusammen
Geht es um die Absicherung, kommt die Basisgewerkschaft FAU wieder ins Spiel. Bei der Aufnahme eines neuen Betriebs wendet sich dieser an das örtliche Syndikat – im Falle von ACS die FAU Bonn –, das die Aufnahme bestätigt.
Dabei können die Betriebe als Organisation aus rechtlichen Gründen kein Mitglied in der Gewerkschaft sein, die einzelnen Mitarbeiter:nnen hingegen schon. Um die gewerkschaftliche Organisation, einer der Grundgedanken der Union Coop, zu gewährleisten, besagt ein Prinzip der Föderation, dass mindestens 50 Prozent der Belegschaft Mitglied der FAU sein muss.*
Zudem ist ein Sekretariat in der UCF für den Austausch mit der FAU zuständig. Doch trotz der Zusammenarbeit ist die Union Coop weder eine offizielle Sektion der Gewerkschaft, noch wendet sie sich ausschließlich an FAU-Mitglieder. Sie profitiert aber vom Netzwerk der FAU und teilt nicht zuletzt auch deren ideelle Wertevorstellungen und Ziele.
Durch die Kooperation mit der FAU ist die Union Coop wenigstens in Deutschland einzigartig: Sie vereint die Kollektivwirtschaft mit der gewerkschaftlichen Organisation – und veranschaulicht diese Zweigleisigkeit im besten Sinne auch im Namen: Union für Gewerkschaft, Coop für Kooperative.
„Zeit heißt nun mal Geld“
Neben dem FAU-Sekretariat gibt es ein Kassen- und ein Koordinierungs-Mandat, alle ehrenamtlich und von den Mitarbeiter:innen der Betriebe besetzt. Zudem trifft sich monatlich der Föderationsrat mit jeweils einem:r Delegierten pro Betrieb; jährlich findet das Föderationstreffen mit allen Mitgliedern statt.
Genauso wie in den Kollektiven, ist die Struktur der UCF föderalistisch und basisdemokratisch. Das Problem dabei: „Es fehlt immer an Ressourcen, an Zeit und an Leuten, die was machen“, erklärt Hansi, der aktuell für die Koordinierung zuständig ist.
Deshalb arbeitet die UCF an Konzepten, um zumindest die Arbeit der Sekretariate zukünftig bezahlen zu können. Der Idee von Basisdemokratie stehen die bezahlten Posten dabei nicht entgegen, die Betriebe „arbeiten ja auch nicht ehrenamtlich“ und die Vernetzung bringt ihnen schließlich einen wirtschaftlichen Vorteil, findet Hansi.
Fine vom Educat Kollektiv sieht das ähnlich. Es sei vor allem die zeitliche Belastung, die die Mitgliedschaft manchmal erschwert – und im Betrieb „heißt Zeit nun mal Geld.“
Von Patenschaften, Fonds und Recyclingpapier
Deshalb wünscht sich Fine auch neue Kollektive, die der UCF beitreten und Aufgaben übernehmen. Denn die Liste an Ideen für sinnvolle Projekte ist lang: Gemeinsames Marketing wie etwa auf Messen; Kollektiv-Patenschaften für noch bessere Betreuung neuer Betriebe; oder auch Fonds, die den Betrieben durch finanziell schwierige Phasen helfen.
Einen großen Schritt in Richtung solidarische Ökonomie – das langfristige Ziel, das wohl alle Kollektivbetriebe eint – würde die Union Coop mit interner Wirtschaft, also gegenseitigen Aufträgen und Kooperationen, machen. Im Kleinen wird das bereits umgesetzt, wenn etwa den Druck für eine FAU-Broschüre der ACS Copy Service erledigt. Die GenossInnen aus Bonn denken aber noch weiter, zum Beispiel an einen UCF-Betrieb, der Recyclingpapier herstellt und den Copyshop direkt beliefert – „Das wäre mega geil!“, malt sich Robin aus.
Ein Ansatz für solidarisches Wirtschaften ist auch der Webshop, den die UCF nach viel Vorbereitung mittlerweile betreibt. Darin finden sich neben Merchandising sowohl Produkte der Mitgliederbetriebe – zum Beispiel Kaffee der Flying Roasters – als auch befreundeter Initiativen aus Deutschland oder dem Ausland. Etwa die Reinigungsmittel von Vio.Me aus Griechenland oder den Tee von Scop Ti aus Frankreich, beides von der Belegschaft übernommene Betriebe, findet man im Shop.
Beim Vertrieb der Produkte schließt sich übrigens der Kreis, den übernimmt nämlich der Kollektivbetrieb Dr. Pogo. Auch das Projekt Kollektivbörse wird – noch im kleinen Rahmen – bereits umgesetzt. Hier können die Betriebe und (angehende) Kollektivist:nnen einander finden oder Gesuche und Angebote von Räumlichkeiten veröffentlichen.
Die Union Coop ist Teil einer Bewegung
Und wenn all diese Projekte mal umgesetzt sind, hat die Union Coop dann ihr Ziel erreicht? Nein, stellt Hansi entschlossen fest. Es sei gar nicht ihr Ansatz, dass jede:r einen Kollektivbetrieb gründet. Die UCF sieht sich vielmehr als Teil einer breiteren Bewegung.
Das langfristige Ziel, eine solidarische Wirtschaft, könne nur das Ergebnis von Zusammenarbeit sein und hier sei auch die Übernahme von Großbetrieben ein wichtiger Schritt – für den es dann wiederum eine basisdemokratische Gewerkschaft wie die FAU braucht.
*Wobei aktuell darüber diskutiert wird, diese Voraussetzung etwas zu entschärfen und auch FAU-Betriebsgruppen oder andere Basisgewerkschaften geltend zu machen.
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