Es hilft nur Selbstorganisation

„Fast 2000 Menschen drängen sich am Osterwochenende 2020 dicht an dicht im Wartebereich des Flughafens im rumänischen Cluj. Der Grund für den Zustrom auf das Flughafengebäude sind drei Sondermaschinen, die in Richtung Deutschland abheben. Wenige Tage zuvor hatte die deutsche Bundesregierung den Weg dafür geebnet, Erntehelfer:innen mit Charterflügen ins Land zu bringen.“

Mit dieser Szene, die vor einem Jahr mediale Aufregung auslöste, beginnt ein Buch, das die beiden Verdi-Gewerkschafter:innen Kathrin Birner und Stefan Dietl kürzlich im Unrast-Verlag unter dem Titel „Die modernen Wanderarbeiter*innen“ veröffentlicht haben.

Die Anfangsepisode ist gut gewählt. Schließlich haben solche Szenen große Teile der Gesellschaft daran erinnert, welch große Bedeutung migrantische Arbeitskräfte in Deutschland haben. Doch meistens ist sie unsichtbar. Auch die Empörung im letzten Jahr war vor allem moralisch fundiert. Die betroffenen Arbeiter:innen wurden selten gefragt und oft wie unmündige Kinder behandelt, die vor der Einreise nach Deutschland geschützt werden sollen. Was das für die Beschäftigten aus Osteuropa bedeutet, die den Lohn ihrer Arbeit oft schon in ihre Lebensplanungen einkalkuliert hatten, wurde selten thematisiert. Dietl und Birner hingegen gehen in ihrem informativen Buch von den Interessen dieser migrantischen Beschäftigten aus, auch wenn sie nicht für sie sprechen können, wie sie schon im Vorwort betonen.

Die beiden Autor:innen benennen die Politiker:innen, die den gesetzlichen Rahmen für ihre Ausbeutung geschaffen haben. Es war die rot-grüne Regierung Schröder-Fischer, die mit der Durchsetzung der Hartz IV-Gesetze einen Niedriglohnsektor geschaffen hat, der auf EU-Ebene einen Dumpingwettbewerb nach unten bei den Löhnen und Gehältern einkalkulierte. Die vor allem von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik auf EU-Ebene sorge dann dafür, dass eine große Zahl von Arbeitskräften, vor allem aus den Ländern der europäischen Peripherie, selbst schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse in Deutschland in Kauf nahmen. In ihren Ländern konnten sie oft keine Lohnarbeit mehr finden, von der sie leben konnten. So gab es neben der Landwirtschaft und der Fleischindustrie auch in der häuslichen Pflege und der Bauwirtschaft einen massiven Import von Arbeitskräften, wie die beiden Autor:innen in kurzen Kapiteln zeigen.

Sie werden oft über Sub- und Subsubunternehmen angeworben. Oft sind es nur Briefkastenfirmen, die Konkurs anmelden, wenn sich migrantische Beschäftigte wehren und den ihnen vorenthaltenen Lohn einklagen. In einen Kapitel gehen Birner und Dietl auf die oft ausgrenzende Politik der DGB-Gewerkschaften gegenüber migrantischen Beschäftigten ein. In unrühmlicher Erinnerung ist noch, wie Mitte der 1990er aus einer Demonstration der IG-Bau am Potsdamer Platz in Berlin die Container der osteuropäischen Bauarbeiter angegriffen wurden. Darin hatten sich auch Männer mit Gewerkschaftsfahnen beteiligt. Allerdings werden im Buch die kritischen Diskussionen in verschiedenen DGB-Gewerkschaften dargestellt, die zur Gründung des Projekts Faire Mobilität und dem Europäischen Verein für Wanderarbeiter:innen führte.

„Arbeitskampf in der Schattenwelt“

Besonders verdienstvoll ist, dass Berner und Dietl an die wenig wahrgenommenen Arbeitskämpfe migrantischer Arbeiter:innen in Deutschland in den letzten Jahren erinnern. Da besetzten rumänische Bauarbeiter im Dezember 2017 in Düsseldorf einen Kran, um erfolgreich die Auszahlung ausstehender Löhne durchzusetzen. Sie hatten zuvor sechs Wochen für verschiedene Subunternehmen geschuftet und sollten um ihren Lohn geprellt werden. Auch der Arbeitskampf der osteuropäischen Bauarbeiter, die auf einer Großbaustelle im Europaviertel in Frankfurt/Main schufteten, deren Generalunternehmen der Offenbacher Konzern Kaczor war, ist wenig bekannt. Sie bekamen Unterstützung von der IG-Bau.

© Unrast Verlag

Die nicht nur arbeits- sondern auch, nach dem Ende der Beschäftigung, wohnungslosen Arbeiter wurden im Frühjahr 2015 zunächst in einem gewerkschaftlichen Bildungsheim untergebracht. In Berlin war das FAU-Büro die temporäre Bleibe für 8 rumänische Bauarbeiter der Mall of Berlin, die es als Mall of Shame bald zu einiger Bekanntheit brachte. Auch dieser Arbeitskampf wurde von Dietl und Birner in einem eigenen Kapitel als „Symbol für den Widerstand migrantischer Beschäftigter“ gewürdigt. Dass sie am Ende mehrere Prozesse gewonnen, aber ihren Lohn nicht bekommen haben, zeigt auch, wie schwer es ist, die Gesetze des Kapitals zu durchbrechen, die im Fall der Mall of Shame dafür sorgten, dass der Generalunternehmer nicht in Haftung genommen werden konnte. Da muss es noch mehr Druck der Betroffenen und auch mehr Bezugnahme der Kämpfe geben. So wurde im Kampf an der Mall of Berlin kein Bezug zum zeitgleich laufenden Kampf der Arbeiter von Kaczor genommen.

Wenn Birner und Dietl am Schluss fast jedes Kapitels betonen, dass migrantische Arbeiter:innen Verbesserungen ihrer Arbeitsverhältnisse nur durchsetzen können, wenn sie sich organisieren, ist dem völlig zuzustimmen.

Birner Kathrin, Dietl Stefan. Die modernen Wanderarbeiter*innen, Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte, Unrast-Verlag, 139 Seiten, ISBN: 978-3-89771-299-7, 12,90 Euro

Titelbild: © Unrast Verlag

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