Frühlingstöne

Die aktuelle Streikwelle und die Unterstützung, die der ÖPNV-Streik seitens der Klimabewegung erhält, lassen mich unweigerlich an Schellhagens Film „Der laute Frühling“ denken. Dieser wurde letzten Sommer von Peter Nowak für uns in der DA rezensiert. Der Filmtitel knüpft an das 1962 erschienene Buch „Silent Spring“ von Rachel Carson an, das als Ausgangspunkt für das Erstarken der Umweltbewegung gilt. Es löste in den USA heftige Debatten aus und führte schließlich zum Verbot von DDT, eines Insektizids. Entgegen der Vorstellung Carsons’ eines durch Vogel- und Insektensterben stumm gewordenen Frühlings, entwirft Schellhagens Film ein Bild vom Aufstand, in dem Klima- und Betriebsaktivist:innen gemeinsame Sache machen.

Der Frühling 2023, den wir gerade erleben, ist zweifellos lauter als die drei vorherigen, was nicht nur am Abflauen der Covid-Pandemie liegt. Am 3. März fand der ÖPNV-Streik gleichzeitig und in Verbindung zum FFF-Klimastreik statt. Der branchenübergreifende Streik am 27. März war laut Ver.di der größte Streiktag seit 31 Jahren!
Als Anarchosyndikalist:innen, als Graswurzelgewerkschaftsbewegung ist unsere Stimme in diesem Geschehen auffällig stumm. Dabei haben wir doch was zu sagen! Dieser Text stellt daher ein erstes Zirpen aus unseren Reihen dar, auf das hoffentlich weitere Meinungsäußerungen folgen werden.

Die Aufmerksamkeit, die durch die Kampagne „#wirfahrenzusammen“ entstanden ist, nützt in erster Linie der Ver.di, die sich über wahnsinnige Mitgliederzuwächse freut. Es fehlen meines Erachtens zwei Aspekte in der aktuellen Debatte, die meine persönliche Euphorie darüber bislang schmälern:

Erstens fällt auf, dass der klimapolitischen Forderung von höheren Investitionen in den ÖPNV im Verlauf des Arbeitskampfes eine immer geringer werdende Bedeutung zukommt. Medial ist es dem Bündnis meines Wissens nach (noch) nicht gelungen, nötige Schritte zur Erreichung einer gerechten Mobilitätswende aufzuzeigen. Auf den ersten Blick scheint es – zumindest aus der Leipziger Perspektive auf die Streiks – als ob die Zusammenarbeit zwischen Klimaaktivist:innen und ÖPNV-Beschäftigten noch einseitig zugunsten Letzterer verläuft. Statt mediale Gegenmacht zu erzeugen und verstärkt das restriktive Streikrecht anzugreifen, wird das gemäßigte Ziel von 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro im Monat mehr von den Klimaaktivist:innen unhinterfragt unterstützt.

Zweitens kann meiner Ansicht nach nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass die Zusammenarbeit zwischen DGB-Gewerkschaften und Ökobewegung in der Vergangenheit besonders an der Blockadehaltung Ersterer gescheitert ist (Hier sei an die Anti-AKW-Bewegung erinnert). Während Teile der Klimabewegung und ÖPNV-Beschäftigte in diesem Frühjahr gemeinsam kämpfen, gelingt es in anderen Teilkämpfen der Klimabewegung grundsätzlich kaum, gemeinsame Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Dort, wo es weniger um den Ausbau einer Technologie bzw. einer Branche geht, sondern um ihren sozialverträglichen Rückbau, scheitert die Zusammenarbeit mit den DGB-Gewerkschaften nach wie vor – bis auf die Ausnahme der Arbeiter:innen bei Bosch München[1]https://www.labournet.de/branchen/auto/auto-zulieferer/rueckkehr-der-konversionsbewegung-potenziale-und-grenzen-der-konversionsbestrebungen-sozial-oekologischer-buendnisse-rund-um-autozuliefererwerke/. Der geplante Ausbau des Flughafen Leipzig-Halle hat Geschichten hervorgebracht, die von diesem Scheitern erzählen. Ver.di war hier trotz vielfacher Anfragen des Aktionsbündnis gegen den Flughafenausbau[2]https://www.buendnislej.com/, des Klimacamps Leipziger Land und einiger Einzelpersonen der LINKEN zu keinen Gesprächen bereit. Lange vor der nächtlichen Blockade des Frachtflughafens[3]https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2021/07/kurzer-auftritt-grosse-wirkung-besetzung-bei-dhl-mit-angeblichem-millionenschaden-400108 am 9. Juli 2021 haben sich Klimaaktivist:innen und Anwohner:innen vergeblich um eine Annäherung bemüht. Als eine, die den Protest gegen den Ausbau aktiv unterstützt hat, sehe ich hier zur Zeit keine Chance auf eine Zusammenarbeit mit Ver.di.
Dieses Beispiel illustriert: Dort, wo das Wachstum und die Beschleunigung des internationalen Warenverkehrs infrage gestellt werden, wo es also um das pochende Herz des Kapitalismus geht, knickt die Tarifgewerkschaft ein, während sie sich zu Fragen der Verkehrswende mit systemkonformen Lösungsvorschlägen (Stichwort: Investitionen in den ÖPNV) zum grünen Image verhilft.

Als Graswurzelgewerkschafter:innen könnten wir auf diese Schieflage in der Debatte hinweisen und uns als Alternative zu den Tarifgewerkschaften anbieten. Sicher haftet an uns ein Widerspruch, den wir nicht auflösen können: Die Dringlichkeit einer Schrumpfung klimaschädlicher Wirtschaftszweige auf der einen Seite und die Langsamkeit unserer Selbstorganisation auf der anderen Seite. Doch wir könnten viel mehr als bisher geschehen unsere gestiegene Diskursmacht nutzen, die durch das öffentliche Interesse an unseren originellen Aktionen der letzten Jahre entstanden ist. Dabei gilt es, unser Alleinstellungsmerkmal, den Selbstvertretungsanspruch der Beschäftigten gegenüber potenziellen Versuchen ihrer Instrumentalisierung von außen zu verteidigen.
Zumindest für jene Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung, die selbst basisdemokratisch organisiert sind, müsste eine Mitgliedschaft in der FAU näher liegen als eine in der Ver.di. Schließlich geht mit der Basisdemokratie eine enorme Selbstermächtigung jede:s Einzelnen einher, der oder die an Entscheidungen, an der Planung Direkter Aktionen und an Strategiebildung teil hat. In der Gewerkschaftssoziologie wird längst anerkannt, dass die „Entfernung der großen Gewerkschaften vom Grundprinzip der Alltagssolidarität, von der Hilfe zur Selbsthilfe“ (Dörre: Die Utopie des Sozialismus. Kompass einer Nachhaltigkeitsrevolution, 2022) ein wesentlicher Grund für ihre schwindende Attraktivität in den letzten Jahrzehnten war. An dieser Stelle können wir selbstbewusst auftreten und einwerfen: Moment mal. Für all das stehen WIR doch eigentlich schon immer!

Es geht mir dabei aber nicht nur darum, dass wir vom aktuellen „Labour Turn“ innerhalb der Klimabewegung durch Mitgliederzuwächse profitieren. Sondern ich glaube viel mehr, dass unsere Kritik an der Sozialpartnerschaft nötig ist für eine Strategiediskussion zu Allianzen von Klimabewegung und Belegschaften.
Die Notwendigkeit, den „gläsernen Boden“ zu zerschlagen, der die Kämpfe innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes trennt, wurde zum Beispiel hier überzeugend dargelegt und sollte auch von uns ideell vertreten werden. Die Verzahnung mit sozialen Bewegungen entspricht schließlich bis heute unserem Wesen und unseren Prinzipien (FAU Kongress 2015). Hier könnten wir einen Ausblick, eine Vision anbieten, die mehr verspricht als 10,5 Prozent mehr Lohn. Von der Bereitschaft, über bloße Tarifauseinandersetzungen hinauszugehen und politische Streiks zu normalisieren, hängt schließlich die Frage ab, ob es zu einem lauten Frühling, wie ihn sich Schellhagen vorstellt, kommen wird.

Was den Flughafenausbau Halle-Leipzig anbelangt, kommt es in unbestimmter Zeit zur Entscheidung der Landesdirektion Sachsen über die Baugenehmigung und es bleibt uns als Ausbaugegner:innen nicht viel mehr übrig, als weiterhin Druck aufzubauen, und zwar über die Straße – und nicht den Betrieb. Sobald gegen die Baugenehmigung geklagt wird, sollten die Kläger durch Aktionen und Demonstrationen Unterstützung erhalten, damit nicht in wenigen Jahren der Flughafen die Region dermaßen verlärmt, dass – dieses Mal buchstäblich – auch kein leiser Frühling mehr zu hören sein wird.

Titelbild von Stay Grounded Network

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Ein Kommentar zu «Frühlingstöne»

  1. Sehr gut! Endlich mal wieder ein Artikel, der aus konkreten Organisierungserfahrungen schreibt und zugleich strategisch aufs Ganze geht!

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