Klassenkampf im Gerichtssaal

Die Kündigungen von drei Beschäftigten des Essenslieferanten Gorillas wegen Beteiligung an einem sogenannten „wilden Streik“ sind wirksam. Die Klage der Betroffenen dagegen vor dem Berliner Arbeitsgericht ist gescheitert. Wer am 6. April die 90-minütige Verhandlung vor dem Berliner Arbeitsgericht verfolgte, wusste schon, dass die Beschäftigten dort mit ihrer Klage keinen Erfolg haben werden.

Es war vielmehr eine Klassenkampfatmosphäre im Gerichtssaal zu spüren. Arbeitsrichter Kühn drohte sogar mit Räumung des Saals, weil ein Besucher einem nichtdeutschsprachigen Rider die Dialoge im Gerichtssaal übersetzte. Da konnte schon von einer Diskriminierung gesprochen werden, denn die Mehrzahl

© Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (Baga)

der migrantischen Gorillas-Beschäftigten kommuniziert untereinander auf Englisch. Kolleg*innen wurden also sanktioniert, weil sie sich in Eigeninitiative um eine Übersetzung kümmerten, damit alle Beschäftigten dem Prozess folgen können. Der Richter beschuldigte den Anwalt der Beschäftigten Benedikt Hopmann, auf Kosten der Beschäftigten Politik betreiben zu wollen. Das zeigte sich für Kühn schon daran, dass über 50 Menschen den Prozess verfolgten, der dafür extra in einen größeren Saal umziehen musste. Dass das Interesse deshalb so groß war, weil die Gorillas-Workers ihre entlassenen Kolleg*innen unterstützten wollten, kann ein Richter nicht verstehen, der mehrmals betonte, ihn interessiere hier nur deutsches Arbeitsrecht.

Hoffnung auf EU-Recht?

Damit reagierte er auf die Einlassungen des Anwalts Benedikt Hopmann, dass das Streikrecht in Deutschland in mehreren Punkten gegen die Sozial-Charta der EU verstößt. Sie stärke ausdrücklich das Recht auf Streiks ohne Gewerkschaften sowie politische Streiks, was Hopmann in diesem Online-Vortrag ausführlich darlegt. Dass das Streikrecht in Deutschland im EU-Maßstab besonders regressiv ist, wie Jurist Hopmann mehrmals betonte, ist unstrittig. Ob es durch den Europäischen Gerichtshof gekippt wird, ist dennoch nicht sicher. Schließlich hat dieser sich bisher auch in anderen Streitfällen nicht besonders gewerkschaftsfreundlich gezeigt. Dennoch ist die aktuelle Auseinandersetzung wichtig.

Neue Welle von Arbeitskämpfen in Deutschland

Der Grund, warum überhaupt das regressive deutsche Streikrecht diskutiert wird, ist eine neue Welle von Arbeitskämpfen, die durch die Rider verschiedener Essenslieferanten initiiert wurden, die lange als schwer organisierbar galten. Daran hatte auch die FAU von Anfang an ihren Anteil. Die Gründung der Deliverunion war ein erster bundesweit wahrnehmbare Idealisierungsschritt der Rider, wie der Soziologe und FAU-Kollege Robin De Greef in dem Buch Riders Unite!  nachgewiesen hat.

Im letzten Jahr haben sich die Kämpfe bei Gorillas fortgesetzt. Sie drehen sich um mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, aber auch um überdachte Pausenräume. Durch diese Kämpfe haben die Beschäftigten die Diskussion um das regressive deutsche Streikrecht auf die Agenda gesetzt. Das wurde in dem Redebeitrag von Duygu Kaya deutlich. Die Akademikerin aus der Türkei beschrieb gut, dass sie als Migrantin auch in Deutschland in prekäre Arbeitsverhältnisse wie bei Gorillas gezwungen ist. Eigentlich wollte Kaya den Beitrag vor Gericht halten, um dort zu begründen, warum sie in den Arbeitskampf trat. Doch das lehnte Richter Kühn mit der Begründung ab, er könne keine Schmähkritik zulassen. Vielleicht störte ihn, dass Kaya auch auf den NS-Hintergrund deutschen Streikrechts hingewiesen hat. 1934 hatte Hans-Carl Nipperday am Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit wesentlich mitgearbeitet. In der BRD gehörte er zu den einflussreichen Richtern am Bundesverfassungsgericht, die dafür verantwortlich sind, dass das Streikrecht so repressiv ist. ´

Solidarität mit den Gorillas-Workern vor Gericht und im Stadtteil

Kaya konnte ihre Rede nur vor dem Berliner Arbeitsgericht halten, wo die Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht zu einer Solidaritäts-Kundgebung mit den Gorillas-Workern aufgerufen hat. Dort haben verschiedene Gruppen, unter Anderem die AG Taxi bei der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, sich mit den Gorillas-Ridern solidarisiert. Auch Kolleg*innen der FAU waren mit einem Transparent vertreten. Doch nicht nur vor Gericht bekommen die Gorillas-Beschäftigten Unterstützung. Schon am 30. März zeigten Nachbarinnen in der Rungestraße in Berlin-Mitte ihre Solidarität mit den Ridern, als dort eine Gorillas-Filiale geschlossen wurde. Vorher hatten einige Anwohner*innen gegen das „migrantische Unternehmen“ mobilisiert, das angeblich nicht in die bürgerliche Wohngegend passe. Auf der Kundgebung am 30. März setzte ein Mitarbeiter des Roten Antiquariat, das in der Straße seine Filiale hat, andere Akzente.

„Statt die Arbeitsbedingungen und die Kapitalstrategien zu kritisieren, werden die oftmals migrantischen Beschäftigten selber zu Sündenböcken erklärt. Es wird sich über die hohe Geschwindigkeit der Fahrradkuriere oder die blockierten Straßen mokiert aber nicht gesehen, dass die Beschäftigten im Zustellungsbereich einen gewaltigen Druck erleben und sie es sind, die die bestellten Waren transportieren aber nicht konsumieren. Die Logik ist klar, man will beliefert werden, aber der Lieferverkehr und die Arbeitskräfte sollen nicht stören. Die Kuriere sind jedoch die modernen Dienstboten unserer Zeit“,

so seine Kritik. Die vollständige Rede ist hier dokumentiert.

Beitragsbild: © Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (Baga)

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