Romane über den Alltag von Wanderarbeiter:innen in Schweden

Pelle Sunvisson ist Mitglied des Stockholms LS, dem lokalen Ableger der syndikalistischen Gewerkschaft SAC Syndikalisterna. In Verhandlungen dolmetscht er Schwedisch und Russisch. Seit einem Jahr lebt er unter einer falschen Identität und arbeitet als ukrainischer Wanderarbeiter in Schweden. Mit der Wallraff-Methode schafft er es, das Leben von Wanderarbeiter:innen in neuer Form darzustellen. Bislang sind dazu zwei Bücher erschienen.

Sunvissons erster Roman dazu heißt “Schwarze Beeren” (Svarta bär, Verbal Verlag 2021), in dem die Hauptfiguren zu zwei Gruppen von Beerenpflücker:innen gehören, die zunächst in Nordschweden Beeren pflücken und später in der Saison dieselbe Tätigkeit in der südlicheren Region Dalarna ausüben.

“Die Literatur hat eine Art, Unbekanntes zu thematisieren, Menschen zu sehen, die in keinster Weise schweigende Subjekte sind und von denen einige in der Gesellschaft überhaupt keinen Platz haben. Das ist es, womit ich in der Fiktion arbeiten wollte”, sagt der Autor.

Pelle Sunvisson habe in Moldawien gelebt und sei auch viel in der Ukraine unterwegs gewesen. Er spricht fließend Russisch, hat eine Ausbildung als Lehrer und hat bereits Kinderbücher geschrieben. Nun wollte er sich den Menschen, die auswandern, annähern und darstellen, was sie dazu bringt, den Schritt zu wagen, fern ihres Zuhauses zu arbeiten.

Die Webseite “Schwedische Palmen” vermittelt Arbeit

Ein zweiter Roman über undokumentierte Arbeit mit dem Titel “Schwedische Palmen” (Svenska Palmen, Verbal Verlag) erschien im November 2021 . Es geht um einen jungen Mann, der Jobangebote – darunter Maler- und Dachdeckerarbeiten – in Stockholm annimmt.

Das Logo der Webseite “Svenska Palmen”

“Schwedische Palmen” ist auch der Name der russischsprachigen Website, auf der Arbeitskräfte in Schweden gesucht werden. Pelle Sunvisson liest ein paar Beispiele von der Website vor:

“Arbeit für eine Person, die mit einer Bohrmaschine, Atlas-Copco Cobra, arbeitet. Wir brauchen einen verantwortungsvollen und körperlich starken Mann. Sie werden 15-24 Löcher von 34 Millimetern in Granit bohren.”

Der Job ist von 9 Uhr morgens bis abends, ein Tageslohn, sagt Pelle Sunvisson. Und hier ist einer, bei dem man als LKW-Fahrer arbeiten und einen Kleinlaster fahren muss. Es gibt unglaublich viele solcher Anzeigen.

Einige Inserenten weisen darauf hin, dass alle Genehmigungen und Papiere für die Bewerber:innen vorliegen müssen. Für viele ist es aber in Ordnung, wenn sie einfach erscheinen und nur den Vornamen angeben. So arbeitet Pelle seit mehr als sechs Monaten in verschiedenen Berufen: als Tischler, Maler, Fensterputzer, Reinigungskraft und Dachdecker.

Eine Zeit lang tat er das, was die meisten anderen Wanderarbeiter tun. Er mietete ein Bett in einer Wohnung in einem Vorort von Stockholm. Es handelte sich um eine Vier-Zimmer-Wohnung, in der die Vermieter, eine Familie und insgesamt acht weitere Personen lebten. Die Kosten betrugen 300€ pro Monat und Bett.

“Derjenige, der den Mietvertrag abgeschlossen hat, macht viel Geld. Aber als ich ein Bett gemietet habe, wurde es mir zu viel, und ich musste das Spiel sowohl bei der Arbeit als auch abends spielen. Ich musste auch bei der Arbeit Fähigkeiten vortäuschen, die ich nicht habe. Es war eine Art geistige Erschöpfung, die zu schwer wurde.”

Beim Beerenpflücken war das mit der Arbeit etwas anders. Pelle lebte mit den anderen Pflücker:innen aus der Ukraine zusammen. Dabei konnte er mit seiner Partnerin zu Hause telefonieren und seine Gedanken und Ideen für den kommenden Roman notieren. Die Arbeitsbedingungen für Beerenpflücker:innen sind hart, und Pelle Sunvisson sagt, dass selbst erfahrene Arbeiter:innen nach der Arbeit im Wald starke Schmerzen in den Händen bekommen. Für ihn dauerte ein Arbeitstag etwa 14 Stunden und er konnte 70 Kilo Beeren einbringen.

Als Mitglied der Stockholmer LS der SAC-Syndikalisten hat Pelle Sunvisson als Beerenpflücker und Arbeiter ohne Vertrag für die Verhandlungskommission ins Russische gedolmetscht. Bei dem Ausschuss handelt es sich um eine Gruppe von Freiwilligen, die sich durch ihre mehrsprachige Arbeit in Gewerkschaftsangelegenheiten und die Vertretung von Wanderarbeiter:innen einen Namen gemacht hat.

Wanderarbeiter:innen haben Rechte!

“Was jetzt in Stockholm passiert, ist unglaublich hoffnungsvoll! Es spricht sich unter den Wanderarbeiter:innen herum, und viele haben erkannt, dass man Rechte hat, auch wenn man illegal und ohne Papiere arbeitet. Sie haben immer Anspruch auf ihr Gehalt”, sagt Pelle Sunvisson und fährt fort: “Wir haben 200.000€ von unseriösen Arbeitskäufer:innen an die Arbeitnehmer:innen überwiesen. Das ist ein echter Augenöffner.”

Es kommt vor, dass jeden Tag Leute anrufen und mehr über die Gewerkschaft von Pelle wissen wollen. Wenn er auf der Arbeit ist, ist er manchmal auf die Toilette gegangen, um sich hinzusetzen und über eine Gewerkschaftsangelegenheit zu dolmetschen.

Er ist auch mit seiner ukrainischen Identität zur Arbeit gekommen und hat Kolleg:innen getroffen, für die er vorher gedolmetscht hat. Es war wichtig, ihnen schnell und diskret zu vermitteln, dass er in einer völlig anderen Rolle am Arbeitsplatz ist. Bislang hat ihn niemand enttarnt, so dass der fiktive Wanderarbeiter weiterhin Aufträge annehmen kann.

Diejenigen, die in Schweden als saisonale Beerenpflücker:innen arbeiten, kommen hauptsächlich aus anderen Ländern. Pflücker:innen aus Thailand werden zum Beispiel oft von Zeitarbeitsfirmen angeheuert. Menschen aus der EU arbeiten hingegen meist als sogenannte “freie Pflückerinnen”.

“Aber sie kommen für kein freies Arbeitsleben, sondern sind im Gegenteil sehr stark an eine:n einzige:n Arbeitskäufer:in gebunden”, sagt Pelle.

“Sie sind nicht nur wegen ihres Lohns vom Arbeitsvermittler abhängig, sondern auch, weil sie dort wohnen, der Arbeitsvermittler Autos repariert und man weit draußen in einem Dorf lebt, wo man keinen Kontakt zur Umwelt hat. Als Pflücker:innen müssen sie an ihren Arbeitsvermittler verkaufen, sonst fliegen sie raus.”

Pelle Sunvisson sagt, dass es schwierig sein kann, jene zu organisieren, deren Arbeit nicht als Arbeit anerkannt wird. Es würde nämlich so gesehen werden, dass es den Pflücker:innen freisteht, die Wildbeeren selbst zu verkaufen, die sie im Wald finden. Er fragt sich, ob es vielleicht Möglichkeiten gibt, das zu umgehen.

“Der Pflücker, mit dem ich zusammen war, hat wahrscheinlich gegen das Gesetz verstoßen, weil er arbeitsähnliche Bedingungen hatte. Denn wenn alles wie ein Arbeitsverhältnis ist, sollte man auch wie ein Arbeitsverhältnis bezahlt werden. Sicherlich könnte ein Akteur wie der SAC einen solchen Fall verfolgen.”

Abschließend hofft Pelle Sunvisson, dass die Situation der Beerenpflücker:innen und Wanderarbeiter:innen mehr Aufmerksamkeit bekommt, als dies bisher der Fall ist. Vielleicht können seine Bücher dazu beitragen. Die gewerkschaftliche Arbeit zur Durchsetzung von Arbeitslöhnen wird bei Stockholms LS fortgesetzt:

“Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Mitglieder vor Freude ohnmächtig werden, wenn wir eine Einigung erzielen. Sie sind so erschüttert und es war eine große Belastung für sie. Sie sagen: Wir sind wie Hunde behandelt worden, und jetzt bekommen wir eine Wiedergutmachung”, sagt Pelle Sunvisson.

Der Stockholmer LS steht nun vor der Aufgabe, seine Position so zu verändern, dass er nicht mehr nur eine Hilfsorganisation ist, die im Fall einer Krise zur Stelle ist, sondern eine, die das präventive Organisieren leistet.

“Wenn wir anfangen, russischsprachige Arbeitsmigrant:innen dazu zu bringen, für andere Mitglieder gewerkschaftliche Aktionen zu planen, dann wird sich wirklich was bewegen.”

Der Text erschien im Original in der Mitgliedszeitung der SAC Syndikalisterna “Syndikalisten”. Für die Veröffentlichung in der DA übersetzt und redaktionell bearbeitet.

Text und Bilder: Anna Morin.

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