Vor einigen Jahren (2012) hast Du ein Interview mit einem Mitglied der SAC über die Zukunft der Organisation für die DA geführt. Damals ging es vor allem um Veränderungen nach einem Kongress 2002, der eine „Rückkehr zu den Wurzeln der SAC“ gebracht hat. Es stand vorrangig die stärkere Ausrichtung an syndikalistischer Gewerkschaftsarbeit zur Diskussion. Wie sieht es heute damit aus? Wie viele Mitglieder hat die SAC heute und wie hat sich die Arbeit innerhalb der Betriebsgruppen entwickelt?
Die SAC hat heute knapp 3000 Mitglieder. Die Mitgliedszahl ist seit einigen Jahren rückläufig, was aber auch mit einer Erneuerung des Mitgliedsregisters zu tun hat. Es gab viele reine Karteimitglieder, die schon lange keine Beiträge mehr zahlten und nicht mehr aktiv waren. Die jetzigen Zahlen vermitteln wenigstens einen realistischen Eindruck der Stärke der Organisation.
Beim Kongress 2012 wurde ein ambitioniertes Ziel verabschiedet, dem zufolge die Organisation innerhalb von fünfzehn Jahren (also bis zum Jahr 2027) 40.000 Mitglieder haben sollte. Offensichtlich ist man davon noch weit entfernt, aber die Kampagne wurde noch nicht aufgegeben. Mitglieder des sogenannten Zentralkomitees werden beim Kongress im Herbst neue Vorschläge präsentieren, um die Mitgliedschaften wesentlich zu steigern.
Das Zentralkomitee ist das Verwaltungsorgan der SAC. Die Mitglieder, die für dreijährige Kongressperioden gewählt werden, sind für die Öffentlichkeitsarbeit, die interne Kommunikation, die Finanzen und die Umsetzung der Kongressbeschlüsse zuständig. In der täglichen Arbeit sind die Ortsgruppen, genannt LS, sehr unabhängig.
Die viel beschworene Rückkehr zu den syndikalistischen Wurzeln hat zumindest zum Teil stattgefunden. Aber die starke Unabhängigkeit der LS führt zu großen Unterschieden von Ort zu Ort. Das Zentralkomitee kann letztlich nur Empfehlungen aussprechen, aber die inhaltliche Arbeit der LS nicht direkt beeinflussen. Es gibt weiterhin LS, die sich stark mit Themen beschäftigen, die nicht in erster Linie auf Arbeitskämpfe fokussieren: Geschlechtsidentität, Antifa, Migration.
In meiner persönlichen Einschätzung setzt sich die Mitgliedschaft der SAC aus drei Hauptgruppen zusammen: Zunächst gibt es Arbeiter*innen, die in ihren Kämpfen am Arbeitsplatz die Unterstützung einer Gewerkschaft haben wollen, die das direkte Engagement der Arbeiter*innen ins Zentrum stellt. Dann gibt es Aktivist*innen, die die Infrastruktur der SAC für ihre breitgefächerten linken Projekte nutzen wollen. Und schließlich gibt es jene, die ideologisch mit dem Syndikalismus sympathisieren, aber wenig mehr tun, als ihre Mitgliedsbeiträge zu zahlen.
Was Betriebsgruppen betrifft, besteht eine starke Fluktuation. Viele bilden sich, nur um bald wieder zu verschwinden. Selbst Mitglieder, die in erster Linie Gewerkschaftsarbeit machen, sind oft mit anderen Problemen beschäftigt: Organisationsfragen innerhalb der SAC oder allgemeinen Arbeitsfragen wie der Bedrohung von Streikrecht und Tarifverträgen, wozu es auch in Schweden kommt. Eine der in den letzten Jahren aktivsten Betriebsgruppen war jene der Stockholmer Angestellten von Systembolaget, dem staatlichen Unternehmen, das das Alkoholmonopol verwaltet. Auch die im öffentlichen Verkehr angestellten Genoss*innen in Stockholm sowie Pflegepersonal in Göteborg und Malmö sind seit langem schlagkräftig.
Es soll, durch die Reduzierung von Ombudsleuten in den Distrikten, eine starke Entbürokratisierung gegeben haben. Diese führte gerade in den ländlichen Gebieten zu einigen Problemen. Wie wurde damit umgegangen und wie sieht es heute aus?
Die Änderung bestand darin, bezahlte Angestellte zu streichen. Bis vor zehn Jahren hatten viele Regionen SAC-Angestellte, die die dortigen LS betreuten, das heißt, bei bürokratischem Kram halfen, Ausbildung betrieben und Arbeitskämpfe unterstützten. Diese Stellen wurden zum Teil aus Kostengründen abgebaut, vor allem aber deshalb, weil immer mehr Aktivität in der SAC von diesen Funktionären ausging, anstatt von den Arbeiter*innen selbst.
In den Großstädten gab es genug Ressourcen, um diesen Verlust zu kompensieren. Außerdem haben manche LS genug Mitglieder, um eigene Angestellte zu finanzieren. Auf dem Land und in kleineren Städten führten die Änderungen jedoch zu Schwierigkeiten und einige LS lösten sich sogar auf. Allzu viel wurde dagegen, ehrlich gesagt, nicht unternommen. Es gibt hier innerhalb der Organisation auch geteilte Meinungen. Einerseits wird der Verlust von LS natürlich bedauert. Andererseits gibt es Stimmen, die meinen, dass viele nur noch künstlich von den Funktionären am Leben gehalten wurden. In jenem Fall fehlen sowohl die Ressourcen als auch das Engagement, um diesem Trend entgegenzuwirken. Vor hundert Jahren war die SAC stark in den Bergbauregionen und der Holzindustrie des Landes verankert. Heute liegt das Zentrum der Organisation in den größeren Städten des Landes, die ein relativ starkes aktivistisches Milieu haben. Da hat sich viel verändert.
Es gab auch Probleme innerhalb der Kommunikationsstruktur in der SAC. Hat sich die Kommunikation zwischen den lokalen Gruppen seither gewandelt?
Das ist besser geworden, nicht zuletzt als Resultat des neuen Mitgliedsregisters. Heute sind die Mitglieder zumindest alle an Kommunikation interessiert. Gerade im Großraum Stockholm funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen LS recht gut.
Etwas anders stellt sich die Situation hinsichtlich der Kommunikation zwischen LS und Zentralorganisation dar. Nicht alle Mitglieder des Zentralkomitees, die eigentlich dafür verantwortlich sind, nehmen sich die entsprechende Zeit. Umgekehrt geben viele LS auch nicht die Informationen weiter, die für das Zentralkomitee von Relevanz sind. Hier müssen sich wohl alle an der Nase nehmen.
Auch die Zukunft der Zeitschrift Arbetaren wurde erwähnt. Dabei ging es vordergründig darum, welche Inhalte publiziert werden und wer diese bestimmt. Zu welchen Entscheidungen kam es in dieser Richtung? Wie ist die Ausrichtung der Arbetaren heute?
Arbetaren erscheint mittlerweile zweimal wöchentlich online und es gibt eine monatliche Printausgabe mit ausgewählten Artikeln für Abonnent*innen. Als ich vor zehn Jahren nach Schweden kam, erschien die Zeitung noch wöchentlich in Papierform. Ich weiß nicht, ob sie langfristig überleben wird. Wie ihr selber wisst, beinhaltet die heutige Medienlandschaft enorme Herausforderungen für linke, nicht kommerziell orientierte Publikationsprojekte. Zudem kostet der Betrieb der Zeitung auch in seiner jetzigen Form viel Geld. Der größte Teil kommt von Mitgliedsbeiträgen. Das begeistert nicht alle.
Die inhaltliche Ausrichtung ist heute ein bisschen breiter als sie es vor einigen Jahren war, als man sich aufgrund eines Kongressbeschlusses sehr stark auf Arbeitskämpfe konzentrierte. Die jetzigen Redakteure versuchen, eine attraktive Zeitung zu gestalten. Sie leisten sehr gute Arbeit, aber, wie gesagt, die Umstände machen es ihnen nicht leicht.
Welche Arbeitskämpfe führt ihr momentan, bzw. wo liegt der Schwerpunkt eurer Arbeit?
Arbeitskämpfe werden primär von den Betriebsgruppen geführt. Nur manchmal werden Aktionen zentral koordiniert, zum Beispiel der Streik von Arbeiterinnen am 8. März. Der letzte Arbeitskampf, der wirklich große Aufmerksamkeit erregte, liegt schon mehrere Jahre zurück. Das war 2007/2008, als vor dem Stockholmer Szenelokal Berns ein Jahr lang an jedem Wochenende demonstriert wurde, um bessere Arbeitsbedingungen für migrantische Arbeitskräfte durchzusetzen. Seither ist die SAC medial nur beschränkt präsent. Etwas an Aufmerksamkeit erregte 2016 die Weigerung von in der SAC organisierten Buschauffeur*innen, während des Wahlkampfs mit Bussen zu fahren, deren Werbeflächen von den rechtsextremen Sverigedemokraterna eingenommen wurden.
In Deutschland kündigen sich momentan die Betriebsratswahlen an. Auch die nationalistischen Kräfte mobilisieren verstärkt zur Aufstellung rechter Betriebsräte in den Unternehmen. Zudem machen vor allem Identitäre Bewegungen ihren Meinungen Platz. Wie ist die Situation in Schweden?
Natürlich versuchen auch hier, rechte Kräfte in der Gewerkschaftsbewegung Fuß zu fassen. Das wird ihnen allerdings nicht so leicht gemacht. Viele schwedische Gewerkschaftsorganisationen erlauben Mitgliedern der Sverigedemokraterna oder anderer rechtsextremer Gruppierungen nicht, gewerkschaftliche Aufgaben zu übernehmen oder sich der Gewerkschaft überhaupt anzuschließen. Allerdings ist es schwierig, das in jedem Einzelfall zu kontrollieren.
Im Jahr 1999 machte das SAC-Mitglied Björn Söderberg öffentlich, dass an seinem Arbeitsplatz ein organisierter Neonazi im Betriebsrat saß. Söderberg wurde daraufhin im Treppenaufgang seines Wohnhauses ermordet. Drei Neonazis wurden für die Tat verurteilt. Die SAC verleiht seither jährlich einen „Preis für Zivilcourage“ in Söderbergs Namen.
Im Allgemeinen ist die gewerkschaftliche Front gegen die Rechte in Schweden noch stark. 2013 gründeten die Sverigedemokraterna eine eigene Gewerkschaft, das Projekt missglückte jedoch völlig und wurde nach einem Jahr wieder aufgegeben. Aber die Versuche, auf die Gewerkschaftsbewegung Einfluss zu nehmen, werden nicht enden. Es gilt, wachsam zu sein.
In der FAU beschäftigen sich einige intensiv mit der Vorbereitung einer neuen Internationale, unter anderem mit den Schwestergewerkschaften IP, USI, ESE, FORA und der spanischen CNT. Die Intensivierung internationaler Kontakte war auch eine der Kernaussagen des Interviews von damals. Was ist in dieser Richtung passiert? Welche Kontakte hegt die SAC? Und ist die neue Internationale ein Thema bei euch?
Hier ist sehr wenig passiert. Es gibt momentan kein internationales Sekretariat oder Komitee. Die Kontakte, die bestehen, sind großteils informell und beruhen auf persönlicher Bekanntschaft. Einige reichen zurück in die Zeit, als es noch stärkere Verbindungen zu anderen syndikalistischen Organisationen gab. So reisen auch heute wieder Genoss*innen zum Kongress der CGT nach Spanien. Sie werden dort aber wenig mehr tun, als eine Grußbotschaft zu übermitteln und Wein zu trinken.
In den 1950er Jahren kam es zu einem Konflikt zwischen der SAC und der IAA, was dazu führte, dass die SAC die Internationale verließ. Danach intensivierten sich die Kontakte zu anderen syndikalistischen Organisationen, die nicht Teil der IAA waren. Die Beziehungen zur CGT sind ein Beispiel, jene zur IWW ein anderes. Aber auch mit der FAU gab es immer wieder Kontakte, was nicht alle in der IAA gerne sahen.
Als die sogenannte Rot-Schwarze Koordination, die jetzt versucht, eine neue Internationale aufzubauen, mit ihren Treffen begann, war die SAC regelmäßig dabei. Mittlerweile ist das aber nicht mehr der Fall. Das hat keine ideologischen Gründe, sondern liegt einzig daran, dass es keine Priorität hat. Die meisten Mitglieder interessieren sich kaum für Fragen internationaler Organisierung. Nur wenige kennen die Geschichte der IAA. Die Geschehnisse der 1950er Jahren werden zwar von einigen der ältesten Mitgliedern diskutiert – wie man das heute so macht, in einer Facebook-Gruppe –, aber von den jüngeren hat kaum wer je davon gehört.
Es gibt jedoch ein sehr positives Beispiel, was internationale Solidarität betrifft. Die Betriebsgruppe der Systembolaget-Angestellten initiierte 2010 eine Kampagne mit dem Namen Rättvis vinhandel, auf Deutsch „Gerechter Weinhandel“. Es ging darum, Systembolaget – und damit, als Eigentümer, den schwedischen Staat – zu zwingen, sich für die Rechte der Arbeiter*innen in den Weingärten Chiles, Argentiniens und Südafrikas einzusetzen, aus denen Systembolaget Produkte importiert. Es wurden enge Kontakte zu Basisgewerkschaften in den betroffenen Ländern aufgebaut und einige Erfolge erzielt. Diese waren schließlich so groß, dass sich auch Unionen, der größte Gewerkschaftsverband schwedischer Angestellter, gezwungen sah, aktiv zu werden. Ähnliches geschah Anfang der 2000er Jahre, als das Engagement der SAC für undokumentierte Arbeitskräfte dazu führte, dass sich auch der schwedische Gewerkschaftsbund LO der Frage annahm. Das mag bescheiden erscheinen, aber für die betroffenen Arbeiter*innen macht es enorme Unterschiede. Die Systembolaget-Angestellten erhielten im vorigen Jahr den Solidaritätspreis der Afrikagrupperna, die sich seit langem für die Kooperation mit afrikanischen Basisbewegungen einsetzen. Das Beispiel zeigt, wozu Betriebsgruppen der SAC bei entsprechendem Einsatz imstande sind.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg.
*Gabriel Kuhn wuchs in Österreich auf und lebt seit 2007 in Schweden. Er ist Mitglied von Stockholms LS und Autor. Sein neuestes Buch Anarchismus und Revolution erschien im Unrast Verlag.*
Weiteres zu: Geschichte und Gegenwart der SAC in der DA von G. Kuhn
Weitere Informationen über die SAC gibt es auf der Hompage hier.
Titelbild von syndikalismus.wordpress.com