„Weder Macron noch Le Pen“

Der „republikanische Damm“ hätte gegen den Rechtsextremismus gehalten, erfreuten sich alle Gegner*innen des Rassemblement National nach den Ergebnissen des zweiten Wahlganges. Macron selbst erhielt 58%, Marine Le Pen 41,5%. Indem Macron mit fast 17% Vorsprung den Wahlgang gewann, sei die Demokratie gerettet, meinten viele. Was passiert aber, wenn der Damm sich nur dank des Stroms des Faschismus aufrecht erhält? Denn Emmanuel Macron brauchte Marine Le Pen, um an der Macht zu bleiben. Er wurde nicht gegen sie, oder trotz ihr gewählt, sondern dank ihr.

„Wiederholter Wahlraub“

Ein wenig Arithmetik hilft, diese Tatsche zu verstehen. Macron bekam fast 19 Millionen Stimmen, davon waren aber die Hälfte gegen Marine Le Pen gerichtet, nicht für ihn. In derselben Art entschieden sich viele Wähler*innen für die rechtsextreme Kandidatin, nur um gegen Macron zu protestieren. Dazu kamen 28% Enthaltung, die stärkste seit 50 Jahren, und knapp 8,6% ungültige Stimmen. Macron wurde also nur mit 20% der Stimmen aus Überzeugung gewählt – „Der König ist nackt-gestellt“, kommentierte das linke Medium Nantes Révoltée mit Ironie. Ohne Marine Le Pen als Gegnerin hätte er es vielleicht nicht geschafft, wieder ans Amt zu kommen, obwohl ein breiter Teil der Bevölkerung ihn zutiefst hasst. Auch vernichtete er seine linken und rechten Konkurrenten, der Parti Socialiste und Les Républicains, vollkommen, um seine Macht zu festigen. Sein Sieg erscheint also eher als antidemokratischer Wahlraub, als ein Triumph der Demokratie.

„Ni Macron ni Le Pen“ (Weder Macron noch Le Pen), so lautete der Wahlspruch der Mehrheit der französischen Bevölkerung. Mindestens 52-60% der Stimmen richteten sich gegen Le Pen oder Macron. Schon vor dem ersten Wahlgang lehnten 84% der Franzos*innen das versprochene Macron-Le Pen-Duell ab. Denn sie verstanden, dass sie nur zwei Seiten der selben Münze sind. „Zwischen dem autoritären Neoliberalismus des Präsidenten und dem Faschismus der [gescheiterten] Kandidatin ist für uns nur Gewalt versprochen“, schrieb Nantes Révoltée, eine anarchistische Zeitschrift.

Im Klassenkrieg sind der autoritäre Neoliberalismus und der Faschismus verbündet

Beide Politiker*innen stammen aus der Bourgeoisie, und es ist sogar in Deutschland weitgehend bekannt, dass Macron ein Elite-Gymnasium, dann einige Elite-Unis, und dann noch die Rotschild-Bank besuchte, bevor er unter Francois Hollande zum Finanzminister ernannt wurde. Seinen Umgang mit Protestbewegungen, von den Gelbwesten hin zu der Rebellion in Mayotte, ist äußerst gewaltsam (mehr als 25 000 Verwundete von November 2018 bis März 2020), sowie auch seine Politik in Richtung der unterdrückten Bevölkerungsschichten (5 französische Milliardäre besitzen jetzt so viel wie die 40% der ärmsten Franzos*innen, laut Oxfam). Die Umwelt und Frauen sollten zur „Große Sache“ seines Amtes werden, doch sind sich alle feministischen und Klimagerechtigkeitsbewegungen einig, dass es „fünf verlorene Jahre“ waren.

In Deutschland ist jedoch kaum bekannt, dass Marine Le Pen auch zu den reichsten 10% des Landes gehört: ihre Familie besitzt 2 Schlösser und eine Villa und sie war eine der reichsten Kandidatinnen der Wahlen. Sie, sowie ihr noch faschistischer Wettbewerber, Eric Zemmour, versprachen ebenfalls eine gewaltvolle Politik gegen das Proletariat: Staatscoup gegen das Parlament und die Verfassung, Verbot der Burka, Abbau vieler Frauen- und LGBTQIA*-Rechte, noch mehr polizeiliche Gewalt, als unter Macron… Es darf auch nicht vergessen werden, dass der amtierende Präsident in diesen Bereichen den Weg der Faschisten vorbereitet hat: Durch die Schwächung der Rolle des Premierministers und des Parlaments, oder das Gesetz gegen den „islamischen Separatismus“, die polizeilichen Gesetze und Beschränkung des Rechts auf Demonstration, oder die Gewalt gegen Pressemenschen, die Repression gegen Vereine und NGOs, die zu linksradikal oder islamistisch seien… Auch die antifaschistische Gruppe GALE, in Lyon, wurde am 30. März verboten, und die revolutionäre Zeitung „Nantes Révoltée“ ist als nächstes dran.

Die heutige Regierung ist also tief im Rechtsextremismus verankert. Der amtierende Innenminister, Gérald Darmanin, war als Jugendlicher der royalistischen Action Française nahe und heute wird in zwei Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung gegen ihn ermittelt. Der Justizminister, Eric Dupont-Moretti, ist bekanntlich antifeministisch und rassistisch und benutzt die Justiz zu seinen Gunsten. Und auch der Bildungsminister, Jean-Michel Blanquer, will alle „woken“ Lehrkräfte und „islamogauchiste“ aus den Unis und Schulen ausschließen.

Faschisierung der Gesellschaft

Die klassenfeindliche Rhetorik und Politik unter Macron erscheint also nicht als Alternative zu Le Pen und Zemmour, sondern als Kontinuität zum Faschismus. Beide sind Ausdruck eines erbitterten Klassenkampfes, der sich gegen FLINTA- und Bipoc-Menschen sowie gegen die unterdrückten Schichten des Landes richtet. Indem es nur eine Wahl zwischen den Formen einer gewaltsamen Bourgeoisie gab, wurden die Wahlen weitestgehend abgelehnt.

Tatsächlich bestätigten die Urnen nur, was seit Jahren, Monaten und Wochen schon im Gange war: Die Faschisierung der französischen Gesellschaft dank dem Einfluss der Medien. Rechtsextreme Politiker*innen und Themen bekamen doppelt so viel Publikumszeit, als Klimaschutz und FLINTA-Rechte. Das liegt daran, dass einige Milliardäre fast die gesamte Medienlandschaft besitzen – und sie sind natürlich alle Teilnehmer des Klassenkrieges. Der Fall von Eric Bolloré ist am bekanntesten: Er führte 2017 den TV-Sender C-News ein und kaufte im Juni 2021 das Radio „Europe 1“, die er beide zu rechtsextremen Relay-Antennen umgestaltete. Nur dank dieses mächtigen Einflussnetzwerkes konnten Marine Le Pen und Zemmour quasi 50% der Wähler*innen verführen: Während der Wahlkampagne bekamen sie doppelt so viel Sendezeit, wie linke Kandidat*innen.

(K)eine Zukunft in Frankreich

Der Wahlkampf dient also nur als Stichprobe, er zeigt einen erstarrten Querschnitt der französischen Gesellschaft. Doch diese faschistische Tendenz wird wohl noch zunehmen, außer Macron entdeckt auf einmal sein linkes Herz – oder wenn linke Parteien es schaffen, in den Parlamentswahlen genügend Plätze zu ergattern. Jean-Luch Mélenchon, linker Verlierer der Präsidentschaftswahlen (23% im ersten Wahlgang), träumt davon, als Premierminister ernannt zu werden. Er rief deswegen einen „sozialen dritten Wahlgang“ (troisième tour social) aus, um seine Machtstrategie in Gange zu setzen.

Doch sind sich anarchistischen Gruppen im Lande einig, dass diese Tendenzen vor allem in der Gesellschaft bekämpft werden müssen. „Veränderung gelingt durch den Kampf, nicht durch die Urnen“, schrieb das antifaschistische Kollektiv La Horde in einer Mitteilung zwischen den zwei Wahlgängen. Der Titel ihres Beitrages ist eindeutig: „Serrez les dents, serrez les rangs“ (Die Zähne zusammenbeißen, die Reihen schließen). Alle bereiten sich für fünf weitere Jahre eines erbitterten Kampfes gegen die Regierung und den Faschismus vor. Fast acht von zehn Franzosen (77%) rechnen laut einer Umfrage bereits jetzt mit “Unruhen und Spannungen im Land in den nächsten Monaten”.

Wenn Solidarität keine Grenzen hat, dann hört auf, Macron zu verherrlichen

Es ist Zeit aufzuhören, Macron als „coolen“, jungen, pro-europäischen, liberalen Präsidenten zu loben. Stattdessen könnten sich Deutsche Menschen mit seiner rassistischen Politik auseinandersetzen, mit der Gewalt seiner Polizei, mit seinen leeren Versprechen gegenüber den Frauen und dem Klima. Wir sollten die Aktivist*innen der Zones á Défendre unterstützen, die in fast jeder Region für eine bessere Welt kämpfen. Unterstütze wir die Street Medics, die antifaschistische und anarchistische Organisationen, die von der Repression betroffen sind. Und wir sollten alternative Medien wie Politis, Basta, Reporterre, Nantes Révoltée oder Mouais lesen, die jeden Tag kämpfen müssen, um finanziell zu überleben. Wir müssen verstehen, wie sehr Frankreich heute noch koloniale Gewalt gegen die „Überseeterritorien“, oder gegen Bipoc-Menschen in den sogenannten „Banlieues“ und gegen Ex-Kolonien wie Mali, Algerien oder Libanon ausübt. Und wir müssen auch verstehen, was das Europa von Macron und Merkel-Scholz anderen Menschen und Ländern antut. Die libertär-kommunistische Union (UCL) schrieb: „Wir müssen die Kontrolle über unsere Leben zurückgewinnen“, um ein ganzes Jahrzehnt unter Macrons Herrschaft zu überleben.

Alle Bilder: Während einer Gelbwestendemonstration, am 8. Dezember 2018 in Paris. © Philippe Pernot

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