What would Jean-Luc do?

Unter dem Titel „What would Picard do?“ ist der erste Teil dieser Reihe über den Einfluss der Star Trek-Serien auf die sozialen Bewegungen in der Sommer-Beilage der Zeitungen SoZ und express erschienen. Im ersten Teil ging es um die Frage, wie in den Serien mit Pandemien umgegangen wird. Im hier nun vorliegenden zweiten Teil diskutiert Torsten Bewernitz das Verhältnis von Star Trek und den aktuellen antirassistischen Bewegungen. Die Reihe wird in loser Folge fortgesetzt.

Der Beitrag soll hervorheben, wie eng die Macher*innen, die Figuren und die ganze Idee von Star Trek mit der sozio-politischen Bewegung Black Lives Matter (BLM) verwoben ist.

Deutlich wurde das, als sich nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd umgehend neun verschiedene Star Trek-Fan-Initiativen ganz dezidiert der BLM-Bewegung anschlossen und auch die offizielle Homepage Star Trek.com umgehend ihre Solidarität bekundete. Hintergrund dessen war nicht nur die stets hochgehaltene humanistisch-aufklärerische Botschaft der Serien, sondern auch die konkrete Betroffenheit eines Mitglieds der Star Trek-Community: Die in den (digitalen) Medien stark rezipierte rassistische Panikattacke einschließlich Alarmierung der Polizei einer „Karen“ (so der US-amerikanische Slang für einen bestimmten Schlag Frauen der weißen Mittelschicht), als der schwarze Vogelbeobachter Christian Cooper sie bat, ihren Hund anzuleinen, ging schnell viral und wurde vor allem unter Trekkies beobachtet und kommentiert. Denn Christian Cooper ist hauptberuflich eben nicht Vogelbeobachter, sondern Comicautor und hat als solcher in den späten 1990er Jahren für die Marvel-Comicreihe „Starfleet Academy“ geschrieben. Er gilt gar als Erfinder des ersten Star Trek-Charakters, der offiziell ein Coming-Out hatte, dem schwulen Sternenflottenkadetten Yoshi Mishima.

Die Äußerungen aus der Star Trek-Kulturindustrie sind allerdings ganz offensichtlich nicht nur Solidarität mit – nun ja, Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen. Star Trek.com wies insbesondere auf verschiedene Folgen der Serie Deep Space Nine hin, die sich deutlich zum Thema äußern. Die Raumstation Deep Space Nine, im Orbit des lange von den faschistischen Cardassianern besetzten Planeten Bajor (dessen Religion entsprechend nicht zufällig Parallelen zur jüdischen Kaballa aufweist) war die erste, die von einem schwarzen Commander bzw. später Captain, Benjamin Sisko, kommandiert wurde. In der Folge „Das Gesicht im Sand“ (DS9, Staffel 7, Episode 151) erlebt Sisko eine Vision, in der er ein schwarzer Science Fiction-Schriftsteller der 1960er Jahre ist, in der Zeit also, als Star Trek ursprünglich entstand, und die Geschichte der Serie schreibt. Sein Manuskript wird abgelehnt – nicht weil er schwarz ist, sondern weil der Captain der doppelt fiktiven Geschichte schwarz ist und der Autor sich weigert, das zu ändern.

Nicht ganz so historisch, aber nahezu prophetisch gestaltet sich die Doppelfolge „Gefangen in der Vergangenheit“ (DS9, Staffel3, Episode 57/58), in der ein Teil der Crew der Raumstation auf der Erde des Jahres 2024 (!) landet – natürlich in den USA. Nicht weiter überraschend finden sich die Sternenflotten-Angehörigen in einem Aufstand wieder, der von dem Farbigen Gabriel Bell angeführt wird – die Vorlage für die nahezu unfassbar aktuelle Doppelfolge ist der „Battle of Los Angeles“, wie es Rage Against the Machine einst genannt haben, aus Anlass des Polizeimords an dem Schwarzen Rodney King (wer sich an Bodycounts „Copkiller“ erinnert, weiß, wie Ice-T singt „For Rodney King“ und kann heute vielleicht nachvollziehen, wie man auf solch martialische Lyrics kommt). Es gibt allerdings ein paar entscheidende Unterschiede: Zum einen ist die US-amerikanische Segregation des Jahres 2024 bei Star Trek in erster Linie eine Klassensegregation, wobei den Macher*innen der Serie natürlich völlig klar ist, dass diese mit einem entsprechenden Rassismus einhergeht. Zum Zweiten kommt der fiktional-historische Riot-Anführer durch die ungeplante Intervention aus der Zukunft um und Benjamin Sisko muss seinen Platz einnehmen. Sisko spielt seine Rolle als Aufstandsleader so, wie es die Star Trek-Tradition gebietet: Als humanistischer Diplomat, der aus dem gewalttätigen Aufstand eine gewaltfreie Verhandlung macht und den Weg öffnet zu einer Welt ohne Rassismus und Klassen-Rassismus (wie unsere französischen Kolleg*innen sagen) – kurz, zu der im 24. Jahrhundert realisierten Utopie.

Vor dem Hintergrund der BLM-Proteste und der unglaublichen Bewegung, den der Polizeimord an George Floyd ausgelöst hat, ist „Gefangen in der Vergangenheit“ unabdingbare Guck-Empfehlung. Dennoch ist „Das Gesicht im Sand“ subtiler, denn es reflektiert die Entstehungsgeschichte von Star Trek. Darum noch mal zurück in die Vergangenheit, also ins 23. Jahrhundert, in die Welt von TOS. TOS wurde erfunden vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegungen, die NCC 1701 war das erste Schiff mit einem Asiaten (Sulu, gespielt von George Takei, der kürzlich eine autobiografische Graphic Novel “They called us Enemy” über die Internierung von Japaner*innen in den USA während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht hat) und einem Russen an Bord, in Star Trek fand der erste ‘interethnische’ Kuss zwischen Captain Kirk und der suahelischen Kommunikationsoffizierin Nyota Uhura (deren Name auf Suaheli „Freiheit“ bedeutet) statt (TOS, „Platons Steifkinder“, Staffel 3, Episode 67), zumal dieser ohne Liebe in Manipulation der Charaktere stattfindet. Das war dennoch Skandal genug, um von mehreren Sendern in den Südstaaten der USA nicht ausgestrahlt zu werden – darauf weist Andreas Rauscher in seiner ausführlichen Star Trek-Studie „Das Phänomen Star Trek“ hin (Mainz 2003, S. 297). Der produzierende Sender NBC hatte in Voraussicht dieses Problems verschiedene Versionen drehen wollen, aber, so weiß die Redaktion der iz3w (380, Sept./Okt. 2020, S.17) zu berichten, die Darsteller*innen Nichelle Nichols und William Shatner

„verhunzten in voller Absicht alle Szenen ohne Kuss, so dass dem Sender keine andere Wahl blieb, als den Knutscher zu senden“.

Im zweiten Teil der Paralleluniversums-Adaption von J.J. Abrams, „Star Trek Beyond“, fällt dieser Kuss, verbunden mit tatsächlichen Emotionen, zwischen dem Vulkanier Spock und Uhura statt und wird damit wirklich „interracial“ (denn Vulkanier*innen und Menschen ließen sich tatsächlich als „Menschenrassen“ beschreiben, warum, erklärt die TNG-Folge „Das fehlende Fragment“ (Staffel 6, Episode 146), in der sich dann auch Klingonen und Cardassianer empört über ihre genetische Verwandtschaft zeigen). Uhura-Darstellerin Nichelle Nichols wird nicht müde zu betonen, dass Martin Luther King Trekkie gewesen sei. Vermutlich war ihm eher der kulturelle Einfluss bewusst, den eine schwarze Offizierin auf einem Raumschiff ausüben konnte, als er Nichols überredete, nicht zugunsten einer Broadway-Karriere aus TOS auszusteigen – ein Klassiker der Filmgeschichte. Allerdings, so berichtet Nichols, habe ihr Martin Luther King berichtet, Star Trek sei die einzige Serie, die seine Kinder schauen dürften. Es war also wohl nicht nur Kalkül. „Das erste Mal können Schwarze Menschen im Fernsehen einen Blick in eine besser Zukunft werfen“ soll King zu Nichols gesagt haben (iz3w 380).

Ein weiterer Klassiker ist die oben erwähnte TOS-Folge „Bele jagt Lokai“. Bele behauptet, Lokai sei auf seinem Planeten ein schwer Krimineller. Im Laufe der Folge stellt sich heraus, dass sein Verbrechen seine Hautfarbe ist. Den Unterschied in der Farbigkeit sieht die Crew der NCC-1701 nicht: der eine ist schwarz-weiß, während der andere weiß-schwarz ist. TNG hat das Thema noch einmal aufgenommen in der Episode „Wer ist John?“ (Staffel 3, Episode 73), wo der Verfolgte gerade in ein Lichtwesen mutiert.

Also mal wieder alles toll im Star Trek-Universum? Das Gejubel, das in diesem Beitrag angestimmt wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Star Trek ein wesentlicher Bestandteil der Kulturindustrie ist. „Sozialistische Utopie als Ware“ nennt Andreas Rauscher das zutreffend. Auch wenn – darauf wird in einer späteren Episode dieser Serie noch zu kommen sein – Star Trek durchaus antikapitalistisch ist, finden wir hier den Antirassismus der Reichen und Kulturbeflissenen, den von Nancy Fraser so genannten „progressiven Neoliberalismus“ vor, der aus einer heilen und damit einfachen Warte (der Zukunft oder des akademischen Milieus) Rassismus kritisiert. Um so mehr muss noch einmal das Relevante der DS9-Doppelfolge „Gefangen in der Vergangenheit“ hervorgehoben werden: Es ist ein ethnisierter Klassenkonflikt, der hier thematisiert wird, kein – wie es Ice-T mal nannte – „Race War“.

Titelbild: © Findus

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