In Landwirtschaft und Gartenbau am Niederrhein, im äußersten Westen der Republik, geht kaum etwas ohne ArbeiterInnen aus Polen. Tausende erledigen in Ernte und Pflanzenaufzucht Arbeiten, die so schlecht entlohnt werden, dass die Betriebe vor Ort kaum Leute finden. Selbst diejenigen, die sich zum arbeiten in die Gewächshäuser der Kreise Kleve und Borken hineinwagen können sich nicht immer darauf verlassen, dass der Lohn auch pünktlich ausgezahlt wird. Dies zeigt etwa das Beispiel der Firma „Grenzland Produktions und Handels GmbH“ mit Sitz in Straelen am Niederrhein.
ArbeiterInnen dieser Firma hatten sich Anfang des Jahres mit der Bitte um Unterstützung an die FAU gewandt, weil sie seit Monaten ihren Lohn nur teilweise und verspätet ausgezahlt bekommen hatten. Es waren polnische ArbeiterInnen, die die Initiative ergriffen, nachdem sie erfahren hatten, dass erst im letzten Jahr die FAU Dortmund polnische KollegInnen bei einer Lohnauseinandersetzung erfolgreich unterstützt hatte. Die FAU Münsterland nahm in der Folge Kontakt zu den ArbeiterInnen bei Grenzland auf, die in Rhede (Kreis Borken) arbeiten. Es stellte sich schnell heraus, dass mehrere Dutzend deutsche und polnische KollegInnen von Lohnrückständen (z.T. mehrere tausend Euro) betroffen sind.
Im Grenzland-Dickicht
Es begann eine umfangreiche Recherche zu den Hintergründen: Grenzland ist eine seit 2009 bestehende GmbH mit zwei Gesellschaftern, Matthias Steverding und Michaela Klein, beide mit Wohnsitz in Duisburg. Beim Firmensitz in Straelen scheint es sich um eine Briefkastenadresse zu handeln, von der aus nur die Post weitergeleitet wird. Nach kurzer Zeit wurde aus einer Insolvenz die Firma Steva übernommen, die in Rhede eine Pflanzenaufzucht betrieb und hierfür im Laufe der Jahre mehr als 250.000 Euro öffentliche Fördergelder erhielt. Geschäftsführer von Steva war Gerd Steverding, ein Verwandter von Matthias Steverding. Es blieb sozusagen alles in der Familie. Im Zuge der Recherche erhielt die FAU die Information, dass Grenzland nicht nur den Aufzuchtbetrieb in Rhede betreibt, sondern auch einen Pflanzenmarkt mit dem Namen „Pflanzen-Teufel“ in Duisburg und einen weiteren in Bocholt, der mittlerweile geschlossen ist.
Michaela Klein von Grenzland lässt außerdem im niederländischen Venlo Pflanzen anziehen. Auch dort arbeiteten polnische KollegInnen, die mitten im Winter bei den Gewächshäusern oder in halbfertigen Bruchbuden hausen mussten und ebenfalls auf ausstehende Löhne warteten. Nach kritischen Presseveröffentlichungen und Behördenbesuchen meldete eine von Frau Kleins Firmen, die „Venlo Innovation Plants“ im Frühjahr Insolvenz an. Die Recherchen ergaben somit das Bild eines schwer durchschaubaren Dickichts aus Firmen, Insolvenzen, familiären Verstrickungen, Briefkastenadressen, Telefon-, Fax- und Postweiterleitungen – und mittendrin mehrere Dutzend ArbeiterInnen, die unter teilweise prekären Bedingungen auf ihre Löhne warteten.
Ein Gestrüpp aus Minijobs und Scheinselbständigkeit
Während die Einheimischen meist auf Minijob- oder Teilzeit-Basis in den Gewächshäusern arbeiten sind die polnischen ArbeiterInnen überhaupt nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Stattdessen bekamen sie einen Gewerbeschein und mussten ein Formular unterschreiben, um als Kleinunternehmer von der Umsatzsteuer befreit zu sein. Was sie dort unterschrieben war ihnen aber mangels ausreichender Deutschkenntnisse völlig unklar. Die Firma stellte für die Arbeit Rechnungen aus, in denen diese zu Stückpreisen abgerechnet wurde. Auch wissen die Betroffenen nicht genau, ob sie überhaupt eine Krankenversicherung haben.
Von einer Selbständigkeit kann allerdings keine Rede sein. Vielmehr liegen sämtliche Merkmale einer Scheinselbständigkeit vor. Das hat in der Branche durchaus Methode, weil es sogar die Sozialversicherungsbeiträge, wie zum Beispiel für Renten- oder Krankekasse spart, die früher für polnische KontraktarbeiterInnen entrichtet werden mussten. Gerichte haben diese Scheinselbständigkeit immer wieder attestiert und Bosse wegen Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen zu Geldstrafen und Nachzahlungen verurteilt.
In einem Punkt ist die Situation der einheimischen und polnischen ArbeiterInnen identisch: Fast alle sind von Lohnrückständen betroffen. Alleine von sieben polnischen KollegInnen, die bei Grenzland beschäftigt waren, liegen der FAU Dokumente über Ausstehende Löhne in Höhe von etlichen tausend Euro vor. 21 deutsche ArbeiterInnen haben mit einer Unterschriftenliste die Arbeitszeiten ihrer polnischen KollegInnen bestätigt. Bis Mitte April befanden sich noch vier polnische KollegInnen in Rhede, von denen drei Ende Januar die Arbeit niedergelegt hatten. Ende Februar hatten auch die einheimischen ArbeiterInnen ihren Januar-Lohn nicht erhalten. Auf die Drohung kollektiv die Brocken hinzuschmeißen erhielten vier ihr Geld ausgezahlt. Einige arbeiteten zunächst weiter, andere wandten sich an das Arbeitsgericht.
Grenzland muss endlich zahlen!
Nach mehreren Gesprächen mit den ArbeiterInnen, Sichtung der Dokumente und Rücksprache mit Anwälten hat die FAU zunächst Grenzland aufgefordert, unverzüglich die ausstehenden Löhne auszuzahlen. Die Eigentümer haben jedoch keinerlei Reaktion gezeigt. Zur Sicherung der Ansprüche der ArbeiterInnen hat die FAU daraufhin im März Mahnbescheide gegen die Firma auf den Weg gebracht. Als es auch darauf keine Reaktion gab fand Anfang April eine erste Protestaktion vor dem „Pflanzen-Teufel“ ist Duisburg statt, mit der KundInnen über die Machenschaften der Firma aufgeklärt wurden.
Für den Fall, dass Grenzland weiterhin nicht zahlt, bereiten verschiedene FAU-Syndikate der Region zusammen mit Beschäftigten weitere Aktionen vor, um die Kunden sowie die Nachbarschaften in Rhede, Duisburg und Venlo über das Geschäftsgebaren der Firma aufzuklären. Vor einigen Jahren war bereits einmal ein landwirtschaftlicher Betrieb im Münsterland, der sich weigerte Lohnrückstände bei spanischen ArbeiterInnen zu begleichen, geschlossen worden, nachdem infolge einer Welle von FAU-Aktionen und Presseberichten die Behörden ausstehende Sozialabgaben und Steuern geltend gemacht hatten.
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