Der Bildungsbereich ist im Umbruch, nicht nur durch Prozesse der Ökonomisierung und Prekarisierung. Auch Bundeswehr, Polizei und Verfassungsschutz (VS) versuchen, Einfluss auf ihn zu gewinnen. Dabei hinterlässt auch die Extremismusdebatte ihre Spuren, etwa in Form der so genannten „Extremismusklausel“, poetischer „Demokratieerklärung“ genannt. Dieses Mittel der Gesinnungskontrolle steht in der Tradition des „Radikalenerlasses“ von 1972, mit dem Kanzler Willy Brandt (SPD) und die Länderchefs beschlossen hatten, im öffentlichen Dienst keine Mitglieder von „verfassungsfeindlichen“ Organisationen arbeiten zu lassen. Das betraf damals auch LehrerInnen.
Heute ist es Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die den „Extremisten“ das Wasser abgraben möchte. Allen bewilligten Projekten, die über das Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ finanziert werden (24 Mio. Euro jährlich), lässt sie eine Erklärung zukommen. Wird diese nicht unterschrieben, gibt es keine Kohle.
Damit haben die Träger zu bestätigen, dass sie sich „zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bekennen und „eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten“. Außerdem müssen sie erklären, „dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass einer Unterstützung extremistischer Strukturen … Vorschub geleistet wird.“ Die Vereine werden also aufgefordert, allen nachzuschnüffeln, die am Projekt beteiligt sind. Die Informationen müssen auf Nachfrage z.B. dem VS zugänglich gemacht werden.
Zugleich wird die Bildung für andere „Extreme“ geöffnet: die staatlichen Gewalt- und Überwachungsorgane. Ein Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern mag das illustrieren. Im Frühjahr hatten GymnasiastInnen aus Boizenburg einen Projekttag organisiert, um für die Schule den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zu „verteidigen“. Denn dafür muss mindestens einmal im Jahr ein solcher Tag stattfinden, der sich mit dem Thema Rassismus befasst. Vieles, was sich dort abspielte, steht exemplarisch für die aktuelle Entwicklung.
Schon im Vorfeld kamen kritische Stimmen auf. Denn wer sich schlau machte, erfuhr, dass auch VS, Bundeswehr und Polizei jeweils einen Workshop geben würden. Für die übrigen ReferentInnen stellten sich viele Fragen. Da gerade der VS Verfechter der Extremismustheorie ist, muss bezweifelt werden, wie hilfreich er bei dem betreffenden Thema ist, lenkt er denn Blick doch ausschließlich auf die politischen „Ränder“ der Gesellschaft. SchülerInnen, die sich zur „Mitte“ zählen, werden dadurch nicht gerade herausgefordert, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen.
Dabei gehört Bildungsarbeit ebenso wenig zum Arbeitsauftrag des VS wie zu dem der Armee. Dennoch hat diese mit Bundesländern und Schulen Kooperationen vereinbart, um leichter Anwerbungen durchführen zu können, z.T. auf subtile Weise. So gibt es ein Planspiel namens POL&IS, bei dem die SchülerInnen die Rollen der „Weltpresse“, verschiedener Staatspräsidenten, der UN oder der NATO einnehmen. Ein besonderer Fokus liegt dabei vielsagenderweise auf den militärischen Interventionsmöglichkeiten. An manchen Unis wiederum kann das Militär sogar schon einen Teil des Kurrikulums schreiben und damit die Zivilklausel aushebeln, etwa an der Uni Potsdam in Form der „Military Studies“ (siehe DA Nr. 200: Feldzug durch die Klassenzimmer).
Am Boizenburger Gymnasium wurde ein Workshop von einem Jungoffizier gestaltet, der nach Aussagen der SchülerInnen schon länger mit der Schule zusammenarbeitet. Wie die Polizei sich dort zum Thema Rassismus einbrachte und ob sie womöglich über ihre Rolle als ausführendes Organ bei der Abschiebung von Flüchtlingen berichtete, war leider nicht in Erfahrung zu bringen. Die freiberuflichen ReferentInnen erhielten für ihre Teilnahme jedenfalls extrem niedrige Honorare. Auch die Nachbereitung mit den VeranstalterInnen verlief sehr unbefriedigend.