„Komm auch Du zur Schwarzen Schar!“

schwarze-scharen.jpgHelge Döhrings neueste Veröffentlichung „Schwarze Scharen – Anarchosyndikalistische Arbeiterwehr (1929-1933)“, erschienen bei Edition AV, dokumentiert die Recherchearbeit des Historikers zum gleichnamigen Kampfbund. Dabei belässt es der Autor nicht bei einer bloßen Rückschau, sondern zieht wichtige Schlüsse für die Nachwelt und trägt damit zum Selbstbewusstsein der neuen Generation bei.

Zunächst skizziert Döhring die Ideengeschichte des Anarchosyndikalismus als Fundament für die antifaschistische Organisation der Schwarzen Scharen. Weiterhin präsentiert er die einzelnen Regionen mit Ortsgruppen, sodass nicht das Bild einer uniformen Militärorganisation entsteht, die überall das gleiche Gesicht hatte, sondern das Bild einer kämpferischen Selbsthilfeorganisation mit selbstbewusstem Auftreten und individuellem Charakter. Diesem Charakter und dem dadurch gestärkten Auftreten der Schwarzen Scharen gibt Döhring begründeterweise eine Vorbildfunktion für die heutige Bewegung im Kapitel „Ergebnisse“. Auch vergisst er die Gesichter hinter der Organisation nicht, so werden die Lebenswege von Friedetzky, Pilarski, Bennek, Czakon u.a. bis in die heutige Zeit hinein beleuchtet, bis ins Nachkriegsheute, mit seiner BRD, die die alten Widerstandskämpfer verachtete und bis in die UDSSR, die sie in die Konzentrationslager steckte wie vorher die Nazis.

Einer der Hauptpunkte seiner Arbeit besteht darin, aufzuzeigen, dass die Schwarze Schar eine besondere Widerstandsorganisation war, weil sie bereits vor der Erhebung der Nazis in ihre Machtstellung Waffen und Sprengstoff benutzte und lagerte, um die Nazibrut im Keim zu ersticken. Diesen Ansatz stellt Döhring dem bürgerlichen Geschichtsbild gegenüber, welches erst nach einer vorgeblich „plötzlichen Machtergreifung“ Hitlers aktionsorientiertem Widerstand gegen den Nationalsozialismus die Legitimität zuspricht. Bereits im Vorwort vergleicht Döhring diese Bürgerlichkeit mit Hausbewohnern, die zwar Feuerlöscher besitzen, aber das brennende Haus nicht löschen, sondern erst auf die Feuerwehr warten. Dieses Gleichnis macht die Notwendigkeit einer eigenen Geschichtsschreibung aus anarchosyndikalistischer Sicht deutlich, bevor sich eine sozialdemokratische Sichtweise auf Widerstand zu Zeiten des NS durchsetzen kann.

Historische Seriosität anstatt ideologischer Geschichtsdeutung

Ein besonderes Augenmerk ist auf die großartige Quellenarbeit zu legen, die Döhring geleistet hat, nicht nur hinsichtlich einiger seltener ausgegrabener Fotografien, seine ganze Arbeit basiert praktisch auf Quelltexten und nicht auf der Interpretation von Sekundärliteratur. So zum Beispiel die „Richtlinien der Schwarzen Schar Berlin“ aus erster Hand, die hier als Einblick in die Authentizität von Döhrings Arbeit wiedergegeben werden sollen:

„1. Die antifaschistische Wehrorganisation soll alle revolutionären Proletarier, die auf dem Boden des revolutionären Klassenkampfes stehen, ohne Unterschied der besonderen politischen und gewerkschaftlichen Auffassungen zusammenfassen.

2. Die antifaschistische Wehrorganisation lässt in ihren Reihen volle politische und gewerkschaftliche Meinungsfreiheit zu. Sie stellt sich zur Aufgabe: Kampf gegen den Faschismus.

3. Die antifaschistische Wehrorganisation organisiert und schützt die antifaschistische Propaganda und Agitation (Vertrieb von Zeitungen, Flugblättern, Literatur sowie Versammlungen, Demonstrationen).

4. Sie tritt ein für die wehrhafte Abwehr des faschistischen Terrors durch:

a. Sicherung der Diskussionsfreiheit in Arbeiterveranstaltungen

b. Schutz der Propaganda der prol. Organisationen (Versammlungen, Veranstaltungen, Demonstrationen)

c. Schutz der Einrichtungen aller Arbeiterorganisationen (Läden, Büros, Häuser)

d. Bekämpfung aller reaktionären Maßnahmen

e. Schutz der Arbeiterkämpfe

5. Säuberung der Betriebe und prol. Organisationen von Faschisten (Kampf gegen Werkverbände, Werksport, Werkspitzeleien)

Die antifaschistische Wehrorganisation stützt sich organisatorisch auf die Betriebe und Wohnbezirke. Zur Organisierung bildet die Kampfgemeinschaft überall Komitees aus Vertretern der Organisationen, welche die Bildung einer Wehrorganisation unterstützt.“

Praxisorientierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Anhand dieser Richtlinien werden schnell Unterschiede zu den heute existierenden Antifagruppen deutlich. Das Programm beinhaltet explizit den aktiven Kampf gegen den Faschismus, aber auch gegen den Kapitalismus. Das mag nun nicht besonders andersartig anmuten, aber Zusätze, wie „Schutz der Arbeitskämpfe“ oder „Säuberung der Betriebe“ fallen sofort ins Auge. Hier wird heute wenig bis gar keine Arbeit geleistet – im Gegenteil, die meisten Antifas haben kaum Interesse an den Betrieben. Dieser Umstand macht eine antifaschistische Wehrorganisation umso interessanter, zumal die Schwarzen Scharen einen syndikalistischen Hintergrund hatten.

Schwarze Scharen ist daher ein wichtiges Buch für die Bewegungsgeschichte und ihre Organisationsformen, aber auch gerade heute hinsichtlich der neuen Anarchistisch-Syndikalistischen-Jugendgruppen (ASJ) wichtig, die aufgrund des Generation Gap (was Döhring ebenfalls aufgreift) viele Dinge wie Verhalten und Auftreten neu erlernen müssen, um nicht dem jugendlichen Defätismus zu verfallen.

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Döhring, Helge: Schwarze Scharen: Anarcho-Syndikalistische Arbeiterwehr (1929 – 1933), Verlag Edition AV, Frankfurt am Main 2011. 183 Seiten, ISBN-10: 3868410546, EUR 14,90.

 

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