Eigentlich ist es eine profane Mahlzeit, wenn kenianische Frauen den traditionellen „Ugali“, einen Maisbrei, kochen und mit saurer Dickmilch oder Gemüse servieren. Was aber passiert, wenn die Regierung Kenias zu Beginn der Saison den Mais in den Export gibt, um ihn nun wieder teuer zu importieren? Simpler Maisbrei wird zum Luxusgut, und so genannter Biosprit, in den Sand gesetzte Entwicklungshilfe und Lebensmittelspekulation tun ihr Übriges zur aktuellen Hungersnot.
Spätestens nach dem Immobiliencrash interessierten sich immer mehr Banken, befördert auch durch die Gesetzgebung, für den Terminmarkt der Lebensmittel. Hier konnten Bauern ihre kommende Ernte zu einem fest ausgehandelten Preis verkaufen, erhielten also Planungssicherheit. Da es jedoch viel mehr solcher „Future-Verträge“ gibt als real handelbare Ware, lösen sich die Handlungen der Finanzakteure immer mehr von der Realität auf den Feldern. Die vermehrte Spekulation mit diesen „Futures“, wie das Wetten auf höhere Preise, intensiviert letztlich die Finanzialisierung der Lebensmittel. Sie werden von einem Nutzwert zur Geldanlage, ihr Preis unterliegt nun viel stärker den „Launen“ der Finanzmärkte.
Die wirtschaftlichen und politischen Regelungen der großen Industrienationen bewirken gewissermaßen, dass den Ärmsten der Welt noch die kläglichen Reste von den Tellern gefegt werden. Auch dadurch gerieten einige Länder in den 1980ern in eine Schuldenfalle, die sie direkt in die Abhängigkeit von IWF und Weltbank trieb. Somit konnten die abhängigen Länder zur Marktöffnung gezwungen werden, die kleinbäuerliche Nahrungsmittelproduktion ging verloren. Stattdessen müssen nun für den Exporthandel Soja, Schnittblumen und Rohstoffe für Biosprit angebaut werden. Die Länder leiden zudem unter der Abhängigkeit, die Konzerne wie Monsanto und Bayer erzeugen. Dass sich Supermarktketten hierzulande trotz steigender Rohstoffpreise immer wieder Preisschlachten liefern können, liegt an den enormen Konzentrationsprozessen, deren Druck sich auch die meist prekären ArbeiterInnen beugen müssen.
Spätestens bei Arbeitslosen wird deutlich, wie Nahrung auch hierzulande als Mittel im Klassenkampf von oben eingesetzt wird. Etwa 140 Euro werden im ALG-II-Regelbedarf als „hinreichend und bedarfsgerecht“ für Nahrung und Bewirtung angenommen. Der neue Sozialbericht für 2011 spricht eine andere Sprache: Etwa fünf Prozent der Bevölkerung können nicht wenigstens jeden zweiten Tag ein vollwertiges, warmes Essen zu sich zu nehmen. Kein Wunder, dass die Zahl von Kleidungsausgaben und Tafeln drastisch gestiegen ist (siehe „Die Verarmung wird überhaupt nicht wahrgenommen“). Dieser Boom, oft als Erfolg der gegenseitigen gesellschaftlichen Hilfe gefeiert, ist in Wahrheit die Privatisierung der allgemeinen Wohlfahrt. Die Tafeln erfüllen somit auch eine Funktion bei der Zersetzung von Sozialstandards. BesucherInnen der Ausgabestellen sind dabei auf die Mildtätigkeit der großen Lebensmittelhändler angewiesen. Das ist nicht nur ein gefundenes Fressen für deren Werbeabteilungen, sondern auch ein gewaltiges Pfund in der Lobbyarbeit.
Das Problem ist nicht der Mangel an Lebensmitteln, sondern was aus ihnen wird. Pro Jahr landen in Deutschland 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll, ein großer Teil davon aufgrund des Mindesthaltbarkeitsdatums, das mit dem Verbrauchsdatum, ab dem das Lebensmittel tatsächlich nicht mehr konsumiert werden sollte, wenig zu tun hat. Eine für die Lebensmittelindustrie absatzsteigernde Irreführung. Dabei beginnt die Vernichtung schon auf dem Acker, wo unförmiges Gemüse gleich wieder untergepflügt wird, geht weiter über den Transport, wo ganze LKW-Ladungen entsorgt werden, bis hin zur durchschnittlichen Familie, die Lebensmittel für um die 400 Euro im Jahr wegwirft.
Die Tafeln, aber auch so genannte Mülltaucher stehen für einen fatalen Irrtum: Sie sind nicht die Lösung, sondern nur eine Symptomlinderung. Beides ist gewissermaßen Armutsselbstverwaltung; die soziale Frage beantwortet dies nicht. Ernährung ist zweifellos eine Klassenfrage: Das Einkommen entscheidet über Qualität und Quantität des Lebensmittelkonsums – und letztlich auch über die Gesundheit. Viele Lohnabhängige sind insofern doppelte VerliererInnen. Denn aus der Lohnabhängigkeit resultiert ebenso eine Konsumabhängigkeit. Eine Lösung der Lebensmittelfrage gibt es daher nur, wenn auch an den Verteilungs- und Produktionsmechanismen des Kapitalismus angesetzt wird.