Die Öffentlichkeit staunte nicht schlecht: Am 21. Dezember 2012 – dem Tag, der von den Mainstream-Medien fälschlicherweise als von den Maya prophezeiter „Weltuntergang“ seit Monaten kommerziell ausgeschlachtet worden war – besetzen rund 40.000 Zapatistas friedlich die fünf Städte San Cristóbal, Ocosingo, Altamirano, Las Margaritas und Palenque im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas. Ihre Parolen? Es gab keine! Die Zapatistas, darunter viele Jugendliche und Frauen, demonstrierten schweigend. Auf den Hauptplätzen aller fünf Städte wurden flugs kleine Bühnen mit Auf- und Abgängen gezimmert, die dann Tausende – wie üblich vermummte – TeilnehmerInnen mit der erhobenen linken Faust passierten. Nach nur wenigen Stunden endete das beeindruckende Groß-Event der von indigenen Mayas geprägten Bewegung, wiederum wenige Stunden später erschien das wohl bisher kürzeste, jedoch sehr symbolhafte Kommuniqué der Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN, deutsch: Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung): „Habt ihr das gehört? Das ist der Klang ihrer Welt, die zusammenbricht. Es ist die unsere, die wiederkehrt. Der Tag, der Tag war, wurde Nacht und die Nacht wird der Tag sein, der Tag sein wird. Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit“. Dabei geht es nicht um indigenistische Politikansätze oder gar Esoterik, sondern um die klare Botschaft: wir existieren weiter und wir leisten Widerstand – mit unserem basisdemokratischen Ansatz und einer klaren Absage an die Geographie, den Kalender und den Wahlzirkus „von oben“.
Über anderthalb Jahre hatte sich die EZLN nicht öffentlich geäußert. Mit ihrer Aktion katapultierten sich die Zapatistas auf die Titelseiten der mexikanischen Zeitungen und auf die Homepages der transnationalen Solidaritätsbewegung. Ihre Forderungen nach einem Ende des Rassismus gegen die indigenen Bevölkerungsgruppen, einer radikalen Demokratisierung, einer antikapitalistischen Wirtschaftspolitik, einer Verbesserung der Situation der Frauen, nach engagiertem Naturschutz und nach Solidarität mit allen Marginalisierten wurden durch den Schweigemarsch wieder zum Politikum. Luis Hernández Navarro, Analyst der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, brachte die Symbolik der Mobilisierung auf den Punkt: „So wie sie sich das Gesicht bedecken mussten, um gesehen zu werden, hielten sie jetzt im Reden inne, um gehört zu werden“.
Abrechnung mit der politischen Klasse
Am 30. Dezember rechnete die EZLN in einem Kommuniqué und zwei Briefen scharf mit der gesamten politischen Klasse ab. Nach den Wahlen von 2006 hatte ein nicht irrelevanter Teil der mexikanischen Linken der EZLN vorgeworfen, für den Wahlsieg des konservativen Präsidenten Calderón (Partei der Nationalen Aktion, PAN) verantwortlich zu sein, weil die Zapatistas nicht den sozialdemokratischen Kandidaten Andrés Manuel López Obrador von der PRD unterstützt hatten. Weite Teile der parlamentarischen Linken hatten daraufhin mit der EZLN gebrochen. Ihnen antwortete die Organisation nun Ende 2012, nach der Rückkehr der autoritären Institutionellen Partei PRI an die Macht: „Sie brauchen uns nicht, um zu versagen. Wir brauchen sie nicht um zu überleben“. In beiden Fällen war die EZLN nicht für die Wahlniederlage der PRD verantwortlich, es ging eher um Wahlmanipulation, Stimmenkauf, massenmediale Kampagnen zugunsten von PAN und PRI und nicht zuletzt auch um mangelnde Zustimmung, vor allem in den kämpferischen Regionen, in denen PRD-Gouverneure bereits regieren und sich mit ihrer neoliberalen und autoritären Politik nicht anders verhalten haben als PRI- oder PAN-Administrationen.
„Compañeros und Compañeras: Wir sind die Zapatisten und Zapatistinnen. Wir umarmen Euch“
Selbstbewusst berichteten die Zapatistas über die Fortschritte in ihren autonomen Gebieten: „In diesen Jahren haben wir uns gestärkt und haben unsere Lebensbedingungen bedeutend verbessert. Unser Lebensstandard ist höher als in den regierungshörigen indigenen Gemeinden, die Almosen erhalten und mit Alkohol und nutzlosen Artikeln überschüttet werden“.
Des Weiteren kündigte die EZLN an, wieder verstärkt mit sozialen Bewegungen zusammenzuarbeiten, vor allem mit den AnhängerInnen der 6. Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald und der „Anderen Kampagne“, die danach streben, über einen langen, strikt außerparlamentarischen Prozess eine neue antikapitalistische Verfassung für Mexiko durchzusetzen und die globale Vernetzung basisdemokratischer Kämpfe zu unterstützen.
Die Zapatistas bewiesen mit der größten Massendemonstration ihrer Geschichte kurz vor dem 19. Jahrestag ihres bewaffneten Aufstands vom 1. Januar 1994 einmal mehr, dass sie eine relevante Kraft in Chiapas und Mexiko sind, die auch Ausstrahlungskraft auf andere Kämpfe weltweit hat, die jenseits von Staat und Kapital für die Emanzipation der Menschen streiten.
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