Mannheims „andere“ Arbeiterbewegung

Die FAU Mannheim hat ein Lesebuch zur Geschichte der lokalen Arbeiterbewegung herausgebracht. Ein Interview mit den HerausgeberInnen.

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Wie seid ihr auf die Idee für das Buch gekommen? Was war der Ausgangspunkt?

Die FAU Mannheim hat 2013 mit vielen anderen regionalen Gruppen eine alternative Veranstaltungsreihe zu der Baden-Württemberger Landesausstellung zur Geschichte der Arbeiterbewegung organisiert. Unsere Absicht war, die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die in der Veranstaltungsreihe des Landesmuseums keinen Platz mehr gefunden haben. Dazu gehörten u.a. lokale Aspekte. Das Buch präsentiert die Themen, die auch in unserer gemeinsamen Veranstaltungsreihe keinen Platz mehr fanden, bzw. dokumentiert teilweise auch stattgefundene Veranstaltungen.

 

Was genau bedeutet für euch die „andere“ Arbeiterbewegung? Wie definiert ihr diesen Begriff? Was wollt ihr damit ausdrücken?

Der Begriff geht zurück auf die Studie „Die ‚andere‘ Arbeiterbewegung“ von Karl Heinz Roth und Elisabeth Behrens von 1974. Wir wollen damit nicht sagen, dass AnarchistInnen oder AnarchosyndikalistInnen diese „andere“ Arbeiterbewegung wären. Bei Roth sind es vielmehr die wenig bedachten arbeitenden Schichten – unqualifizierte MassenarbeiterInnen, GastarbeiterInnen – die in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht vorkommen. Wir verbinden mit dem Begriff für unser Buch eigentlich nichts anderes als die Beschreibung, dass es eben auch Bewegungen und Proteste gab, die oft nicht benannt werden – inhaltlich völlig offen. Der Begriff ist nicht unumstritten und war es auch nicht unter unseren AutorInnen. Deswegen haben wir im Untertitel den Begriff des „Arbeiterradikalismus“ verwendet, den Erhard Lucas in der Debatte der 1970er geprägt hat.

 

Nach welchen Kriterien habt ihr die Beiträge ausgesucht? Wer hat überhaupt ausgesucht/vorgeschlagen? Wurde im Plenum abgestimmt?

Es wurde nicht abgestimmt, die Auswahl ist eher aus Zufall zustande gekommen. Wir haben uns ansprechen lassen. Es gab ein starkes Interesse an der Veranstaltungsreihe, und einige ReferentInnen haben direkt Skripte mitgeliefert. Letztlich haben wir ein Herausgebergremium mandatiert, damit uns das Buch nicht in unserer alltäglichen Gewerkschaftsarbeit behindert. Wir haben die Beiträge auch nicht inhaltlich besprochen, denn die Inhalte wollten wir bewusst den AutorInnen überlassen.

 

Wie seid ihr mit den einzelnen AutorInnen in Kontakt gekommen?

Das lief sehr unterschiedlich: Hans-Joachim Hirsch vom Stadtarchiv Mannheim haben wir angefragt, weil wir wussten, dass er sich mit dem lokalen Anarchismus beschäftigt. Mia Lindemann hat uns ihre Arbeit zur Rätebewegung angeboten. Uwe Fuhrmann hat eigentlich über die 1948er-Proteste in Stuttgart gearbeitet, seinen Aufenthalt in Mannheim aber genutzt, um die Ereignisse hier vor Ort zu recherchieren. Der Metallarbeiterstreik 1963 ist eine Entdeckung in der Landesausstellung gewesen, die Recherchen dazu gingen von einem Fotobestand aus. Das Thema der wilden Streiks 1973 haben die Mannheimer Jusos in die Diskussion gebracht, da sie selber einen hohen Anteil von Mitgliedern mit Migrationshintergrund haben: Es ist die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern.

 

Warum gerade Mannheim? Kommt Mannheim eine besondere Stellung zu? Warum gilt das „rote Mannheim“ als radikale Hochburg der Arbeiterbewegung? Wie ist es dazu gekommen? In welchen Kapiteln wird darauf Bezug genommen – und wie? Wie sieht das heute aus?

Warum Mannheim? Weil wir eben die FAU Mannheim sind! Es ging darum, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Und wir möchten gar nicht behaupten, dass Mannheim eine besondere Stellung zukommt. Ja, Mannheim war eine rote Hochburg, aber bei weitem nicht die einzige. Wenn wir das erklären sollten, brauchten wir sicher einen anderen Ansatz: Das hat etwas mit der lokalen Geschichte der Industrialisierung zu tun – wie auch mit der Frage, wer hier gearbeitet hat und wo diese ArbeiterInnen herkamen. Ansätze dazu finden sich in dem Beitrag von Mia Lindemann. Gerade an dem Beitrag zum Metallarbeiterstreik 1963 lässt sich auch herausarbeiten, dass die Traditionen der verschiedenen Strömungen lange gepflegt wurden.

Wenn wir heute mit AltgewerkschafterInnen aus Mannheim sprechen, sagen die meisten, es gäbe diese Tradition nicht mehr. Gerade die Neuzugezogenen unter uns nehmen das aber anders wahr: Im Einzelhandelsstreik 2013 stand Mannheim sowohl in der Zahl der bestreikten Betriebe wie auch in der Zahl der Streiktage ganz vorne. Im Frühjahr waren die KollegInnen von Alstom jede Woche auf der Straße, jede Betriebsversammlung endete mit einer Demo. Auch die sozialdemokratischen Parteien berufen sich meines Erachtens hier mehr als anderswo auf eine Tradition der Arbeiterbewegung. Und auch die Kultur nimmt Bezug auf diese Geschichte – die letzten beiden Punkte sind durchaus zweischneidige Schwerter, hier prallen emanzipatorische Tradition und Gentrifizierung aufeinander, aber es gibt nach wie vor diesen Bezug.

FAU Mannheim (Hg.): Mannheims „andere“ Arbeiterbewegung

Beispiele eines lokalen Arbeiterradikalismus. Verlag Edition AV, Lich.ISBN 978-3-86841-108-9. 163 Seiten, 14,80 Euro

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