Editorial

„Rettet die Volkssolidarität!“ - Motto zum Leipziger Bündnis

Liebe Lesende,

zugegebenen, das aktuelle Schwerpunktthema „Pflege“ ist nicht ganz uneigennützig gewählt. Diese Branche ist für die FAU wichtig: Probleme wie Überlastung und schlechte Bezahlung sind keine Seltenheit. Gewerkschaftliche Durchdringung und Tarifbindung sind noch ausbaufähig. Außerdem wächst die Zahl der Menschen, die etwa altersbedingt pflegebedürftig werden (von 1999 bis 2013 um 600.000 auf insgesamt 2,6 Millionen). Schätzungen gehen von fast fünf Millionen pflegebedürftigen Personen in 50 Jahren aus. Im Zeitraum zwischen 1999 und 2013 stieg die Zahl der Beschäftigten in der Altenpflege um etwa 60% auf über eine Million.

Der erste Teil des Pflegestärkungsgesetz, welcher noch 2014 beschlossen wurde, wirkt lediglich wie ein Silberstreifen am Horizont. Die Leistungen in den Pflegestufen wurden minimal erhöht, der Leistungsanspruch für Demenzerkrankte (meist subsumiert unter Pflegestufe 0) wurde erweitert und die ambulante Pflege wird stärker gefördert. Dafür wurde der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,3 Prozent angehoben. 2017 tritt dann das Pflegestärkungsgesetz II in Kraft. Aus drei Pflegestufen werden dann fünf Pflegegrade. Die Regierungskoalition stellt die bisherige Dualität von gesetzlicher und privater Kranken- bzw. Pflegeversicherung weiterhin nicht in Frage. Die Bürgerversicherung, welche als potentielles Reformprojekt von Rot-Rot-Grün Kranken- sowie Pflegeversicherung solidarisch finanzieren soll, rückt wieder eine Legislaturperiode weiter weg.

Auch die aktuelle Pflegereform erweist sich grundsätzlich als ungenügend, um die grundlegenden Missstände zu ändern. Mit dem Dienst an den hilfsbedürftigen Menschen wird zunehmend ein gewinnorientiertes Geschäft von privat-gewerblichen Unternehmen, welche durch Einsparungen Pflege zur Fließbandarbeit zurichten. Das Prinzip der Minutenpflege zur Ermittlung der Pflegestufen wird ebenso wenig angetastet. Ehrenamtliche und familiäre Arbeit kompensieren hierzulande mangelnde öffentliche Leistungen. Die Pflegeversicherung bezuschusst nur die tatsächlich anfallenden Kosten und ist wie eine Teilkasko angelegt. Selbstbestimmung und die Berücksichtigung individueller Betreuungsbedürfnisse hängen so vom Geldbeutel des Betroffenen ab. Lohndumping und die schlechter werdenden Personalschlüssel sind verantwortlich für die vergleichsweise kurze Verweildauer im Beruf.

So weit, so schlecht – gewerkschaftlicher Handlungsbedarf besteht. Der Protest der FAU Leipzig bei der Volkssolidarität zeigt, dass basisorientierte Kämpfe eine wirkungsvolle Dynamik entfalten. Ein breite Öffentlichkeits- und Bündnisarbeit können unkonventionelle Methoden unterstützen.

Viel Spaß beim Lesen.

Christian Horn

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