Schwimmwesten hängen von der Decke, daneben Regalbretter voller zerbeultem Blechgeschirr. Vergilbte Koransuren sind über zerschlissenen Bibeln ausgestellt. Eine große Collage aus Kleidungsstücken zeigt die Erde, Kontinente aus Kinderkleidung. Außerdem kleine, bescheidene persönliche Gegenstände wie zerknitterte Fotos, Briefe und einige Kassetten mit arabischer Musik. Dies sind die Spuren, die Menschen auf ihrer Flucht hinterlassen haben. Gefunden an den Stränden von Lampedusa, auf verlassenen Flüchtlingsbooten. Die Objekte sorgfältig zusammengestellt und arrangiert.
Ein Museum der Migration?
Porto M nennt sich dieser unwahrscheinliche Ort auf Lampedusa. M für Migration, Mittelmeerraum, Militarisierung, Memoiren, Mobilisierung, Meer. Betrieben wird das kulturelle Zentrum vom Kollektiv Askavusa. Auf sizilianisch bedeutet der Name „barfuß“, das Logo: zwei Füße, roter Stern auf schwarzem Grund. Das Kollektiv hat es sich zur Aufgaben gemacht, das Thema Migration als Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems, des Neokolonialismus und der Ausbeutung Afrikas durch die europäischen Staaten anzugehen. Auch wurde Porto M geschaffen: Er beherbergt neben dem kleinen Ausstellungsraum Platz für Konzerte, Filmvorführungen oder Lesungen und dient als Treffpunkt verschiedener lokaler Gruppen. Schon von weitem leuchten die Schiffsplanken aus buntem Holz, mit denen die Fassade von Porto M verkleidet ist. Auch sie stammen von Flüchtlingsbooten, zurückgelassen voller Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Von den italienischen Behörden als Müll angesehen, sollten sie vernichtet werden.
„Porto M soll kein Museum sein“ erklärt Lucio vom Kollektiv Askavusa. „Denn in einem Museum sind die Objekte tot. Diese sollen weiter leben.“ Deshalb auch keine Beschriftungen, keine Vitrinen.Die Welt aus Kleidungsstücken zusammengesetzt, von der Decke baumelt ein Arrangement aus Schuhen. Kein Museum also, sondern eine Kunstausstellung? Der Künstler Giacomo Sferlazzo, Gründungsmitglied von Askavusa, schuf zunächst Skulpturen aus den Schiffsplanken. Doch ihn beschäftigte die Frage, ob er ein Recht darauf hätte, daraus Kunstobjekte herzustellen. Heute werden die Bootsteile so ausgestellt, wie sie gefunden wurden: bunt lackiert oder vom Wetter spröde, mit arabischen Schriftzeichen und Schutzsymbolen.
Folgen der Festung Europa auf Lampedusa
Und doch ist Kunst eine wundervolle Möglichkeit, Botschaften zu vermitteln und ist besonders geeignet für die sehr spezielle Situation auf Lampedusa. Lampedusa, das sind 20 km2 Land, näher an Afrika als an Italien gelegen und von der Regierung in Rom wenig beachtet. Rund 5.000 Lampedusani, wie die BewohnerInnen heißen, leben dort. Kein Krankenhaus, aber mehrere Kasernen, Luftwaffenstützpunkte und zwei Lager für MigrantInnen. Und dazu die TouristInnen, Haupteinnahmequelle der Insel, die seit den Medienberichten über Lampedusa zunehmend ausbleiben. Dabei landen heute keine Boote mehr an den Küsten, die MigrantInnen werden bereits auf hoher See abgefangen. „Anfangs wurde unser Kollektiv von den Einheimischen kritisiert, weil wir über die Migration sprechen. Das könne man doch nicht machen, weil dann die TouristInnen nicht mehr kämen“, erzählt Lucio, der wie viele von Askavusa nicht selbst aus Lampedusa stammt. Gegründet wurde das Kollektiv von einigen Lampedusani, inzwischen beteiligen sich Leute aus ganz Europa. Und Askavusa ist laut Lucio die einzige Organisation auf der kleinen Insel, die tatsächlich von dort kommt. Als solch eine politische Realität wird sie inzwischen anerkannt. Als die Beschäftigten der Müllabfuhr dieses Jahr wegen ausstehender Gehälter in einen wilden Streik traten, baten sie das Kollektiv um Unterstützung. Gemeinsam konnte erreicht werden, dass der Lohn endlich gezahlt wurde. Zentrales Anliegen der „Barfüßigen“ ist es, das Thema Migration mit den Rechten der Inselbevölkerung zu verbinden. „Auf Lampedusa findet ein Wechselspiel von Migration und Militarisierung statt“, so Lucio. Riesige Radaranlagen belasten die Bevölkerung mit Elektrosmog, eine weitere, wenig beachtete Folge der Festung Europa. Dem Thema der Militarisierung des Mittelmeerraums widmete sich auch „Lampedusa in Festival“, das diesen September zum siebten Mal vom Askavusa organisiert wurde. War es in den letzten Jahren vorrangig ein Filmfestival, bekam es dieses Jahr eine stärkere politische Ausrichtung. Neben Filmen, Theater, Ausstellungen und Konzerten fand über drei Tage auch das Forum ControFrontiere – GegenGrenze statt. AktivistInnen aus Grenzregionen wie Calais, Melilla oder dem Brenner, wo sich die Festung Europa am massivsten manifestiert, diskutierten und vernetzten sich.
Gelingt auch ein Austausch mit jenen MigrantInnen, für die die Insel inzwischen international bekannt ist? Nein, denn die sind in den Lagern eingesperrt, Zutritt verboten. Aber wieder gelingt es der Kunst als Medium, Botschaften zu übermitteln. „Manchmal gehen wir zu den Lagern und machen davor Musik für die Internierten“ meint Lucio mit einem Lächeln. „Neulich haben draußen wir gesungen und drinnen haben die Leute für uns gesungen“.