Rückschritt in die migrationspolitische Steinzeit

Als am 27. August die österreichische Grenzpolizei einen LKW mit 71 Leichen von Geflüchteten entdeckte, löste dies eine Kette von Ereignissen aus, in deren Folge zwischenzeitlich Teile des europäischen Grenzregimes zusammenbrachen. Anfang September kamen in kurzer Zeit zehntausende Geflüchtete nach Deutschland, die zumindest in München zunächst recht warm empfangen wurden. Plötzlich hatte Deutschland vielbeachtete Bilder der so oft propagierten „Willkommenskultur“.

Doch dies sollte nicht lange währen. Im Eilverfahren hat die deutsche Bundesregierung nun mit dem „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ schon die zweite massive Verschärfung des Asylrechts in diesem Jahr durchgepeitscht. Das Gesetz macht 25 Jahre kleiner Verbesserungen und antirassistischen Kampfes wieder rückgängig. Die gerade erst fast vollständig abgeschaffte Residenzpflicht wird wieder eingeführt. Abschiebungen dürfen nicht mehr angekündigt werden. Inzwischen plant die Bundesregierung sogar die Bundeswehr und deren Flugzeuge für Massenabschiebungen einzusetzen. Die Lagerhaft für Geflüchtete wird massiv ausgeweitet. Manche Geflüchtetengruppen werden die Lager bis zu ihrer Abschiebung gar nicht mehr verlassen dürfen – eine Maßnahme, die vor allem Sinti und Roma aus dem Balkan betrifft, da nun auch der Kosovo, Mazedonien und Montenegro auf die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ gesetzt worden sind. Für die Menschen, die in den Lagern ihr Leben fristen, wird die Isolation verstärkt und auch wieder Sachleistungen anstelle von Bargeld eingeführt. Entgegen entsprechender Behauptungen wird das Asylverfahren für viele verlängert. Menschen, denen nur eine geringe Chance auf Asyl zugesprochen wird, soll nur das physische Existenzminimum gewährt werden. Dieser Teil des Gesetzes verstößt klar gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu bereits im Jahre 2012 eindeutig geäußert: „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten […] können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“.1Viele zivilgesellschaftliche Akteure hatten erfolglos dagegen protestiert. Entsprechend frustriert fielen deren Reaktionen aus, so z.B. seitens der Kampagne stopasyllaw: „Eure Menschenverachtung, eure Buckelei vor der deutsch-nationalen Wählerschaft und den angeblichen Wutbürgern, eure heuchlerischen Krokodilstränen und Willkommensrufe, sie kotzen uns an! Anders kann man das nicht mehr sagen.“ 2 ProAsyl hat inzwischen angekündigt, Verfassungsklagen gegen das Gesetz mit Mitteln aus seinem Rechtshilfefond zu unterstützen.

 

[1] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012; 1 BvL 10/10 [2] stopasyllaw.blogsport.eu/2015/10/15/bundestag-beschliesst-asylrechtsverschaerfung/

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