Ein Jahr ist es nun her, dass in Mexiko 43 junge Menschen, Student_innen des Lehrer_innenseminars Ayotzinapa im mexikanischen Bundesstaat Guerrero, spurlos verschwunden sind. Sie waren auf dem Weg nach Mexiko City, um sich wie jedes Jahr den Demonstrationen im Gedenken an die 1968 niedergeschlagenen Studierendenproteste, bei denen mehr als 300 Menschen ums Leben kamen, anzuschließen. Von der Polizei angegriffen und festgenommen wurden sie vermutlich an das organisierte Verbrechen übergeben. Die Hoffnung, dass ihre Familie und Freund_innen sie lebend wiedersehen werden, ist verschwindend gering. Die Aufklärungsbemühungen der Regierung erwiesen sich bisher als Farce, diese ist allenfalls bemüht, die Verantwortung der Sicherheitskräfte zu verschleiern. Diese gelten als korrupt, wenden brutale Verhörmethoden an und sind nachweislich an Morden und Entführungen beteiligt. Zurzeit werden rund 26 000 Personen vermisst – was aber die deutsche Bundesregierung nicht davon abhielt, Waffenexporte an die mexikanische Polizei zu genehmigen. Allein in der Nacht des Verschwindens der „43“ tötete die mit G36-Gewehren des Herstellers Heckler & Koch bewaffnete Bundespolizei sechs weitere Menschen.
Nichtsdestoweniger war der Angriff kein zufälliger. Schließlich stellen Lehrer_innen in Mexiko eine entscheidende Opposition gegen die amtierende Regierung und ihre neoliberale Politik.
Unterfinanzierung – Privatisierung – Entlassung
Besonders die Opposition Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación (CNTE) innerhalb der Lehrer_innengewerkschaft Sindicato Nacional de Trabajadores de la Educación (SNTE) ist massivster staatlicher Repression ausgesetzt. Seit Jahren leistet sie Widerstand gegen die 2013 verabschiedete Schulreform der Regierung Peña Nieto. Die CNTE setzt sich größtenteils aus Lehrkräften der Pädagogischen Landschulen zusammen, zu denen auch die Verschwundenen zählten. Sie stammen aus ländlichen, strukturschwachen Regionen, in denen sie später auch unterrichten werden. Die Landschule ist für die indigene Bevölkerung die einzige Möglichkeit überhaupt studieren zu können, da hier nicht die üblichen Studiengebühren anfallen. Unter den Dozent_innen und Studierenden sind linke Positionen weit verbreitet. Dies und ihr Einsatz für die indigene Landbevölkerung sind der Regierung ein Dorn im Auge. Die gewaltsame Begegnung zwischen Polizei und Student_innen am 26. September 2014 war keinesfalls die erste. Schon 2011 und 2012 kamen Studierende auf Demonstrationen durch Sicherheitskräfte ums Leben.
Politisch gewollt leiden die Seminare der Landschulen unter ständiger Unterfinanzierung, die Schulreform lässt erahnen, dass sie in dem lediglich auf Verwertung orientiertem Bildungssystem bald verschwinden werden. Zusätzlich zu den neun öffentlichen wurden weitere 17 private Landschulen in Guerrero eröffnet. Auf über 2000 Absolventen jährlich kommen gerade einmal 300 freie Stellen. Im Vergabeverfahren werden die Studierenden der öffentlichen Landschulen gegenüber den Privatschulen benachteiligt. Zudem befürchten sie eine Verdrängung der indigenen Sprache, denn an den Privatschulen ist die Vorbereitung der Lehrtätigkeit in dieser bewusst kein Ausbildungsbestandteil mehr. Der Protest richtet sich weiter gegen die seit der Reform obligatorische Evaluation von Lehrkräften. Angeblich diene sie der Verbesserung der Unterrichtsqualität, in Wahrheit aber ist sie lediglich ein Vorwand, um Lehrer_innen zu entlassen und ihre Stellen entweder gar nicht oder durch befristet angestelltes Personal zu ersetzen. Anstatt einer regulären Festanstellung, sollen nur noch Verträge über ein halbes oder ein Jahr vergeben werden.Die Lehre in Ayotzinapa ist seit dem Verschwinden der „43“ ausgesetzt, Studierende und Lehrende widmen sich seitdem ganz dem Kampf um die Aufklärung der Verbrechen. Im ganzen Land entstand eine breite Solidaritätsbewegung. Fast wöchentlich werden Veranstaltungen und Protestaktionen organisiert, so heißt es in einer Mitteilung der Ejército Zapatista de Liberación Nacional: „Es ist schrecklich und wunderbar zugleich, dass die Armen, die Lehrer werden wollten, zu den besten aller Lehrer geworden sind, indem sie ihren Schmerz in würdige Wut gewandelt haben, damit Mexiko und die Welt erwachen, fragen und hinterfragen.“