Angefixt durch die momentanen Debatten in der radikalen Linken um die neue Qualität aktueller Streiks nahmen wir mit unseren Freunden vom Streiksoli-Bündnis am Treffen der europäischen Social-Strike-Bewegung teil. Die Debatte setzte an der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen und einem europäischen Migrationsregime an, welche zur Erosion von Handlungsmacht der Arbeiter*innen führen. Es galt erfolgreiche Handlungsstrategien und Streiks als Teil linksradikaler Politik zu diskutieren.
Für diese Entwicklungen ist Polen beispielhaft. Zwar wächst die polnische Wirtschaft seit Jahren, gleichzeitig aber stagniert die Arbeitslosenzahl auf hohem Niveau, was Prekarität begünstigt, da Arbeitslosigkeit den Druck auf Beschäftigte erhöht. Zugleich sind die, in der gastgebenden polnischen Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) Mitarbeiter*innen des Amazon-Standorts ein Vorbild für transnationale Solidarität. Anstatt die Arbeit von streikenden, deutschen Angestellten zu übernehmen, also den Streik zu brechen, traten sie im Sommer in einen Solidaritätsstreik (vgl. DA 231). Zumindest zwischen einigen Amazon-Standorten in Deutschland und Polen gibt es mittlerweile eine transnationale Vernetzung. Ein Widerspruch prägte alle Diskussionen auf der Konferenz: Einerseits erschweren die zunehmenden Prekarisierungstendenzen die Organisierung der Lohnarbeiter*innenschaft im Produktionsstandort Europa, andererseits scheint im Angriff auf Arbeiter*innenrechte und Arbeitsbedingungen hier eine neue politische Subjektivität zu entstehen, die all jene vereint, die unter den Prekarisierungstendenzen leiden. Der Gedanke an die Herausbildung einer neuen widerständigen Subjektivität klang für uns sehr spannend, allerdings hatten wir einen Berg von Fragen bezüglich der Herstellung dieser neuen Subjektivität der prekär Beschäftigten. Wie organisiert man prekär Beschäftigte? Wo können sie aus der ökonomisch schwachen Position heraus das Kapital angreifen? Was haben wir als radikale Linke damit zu tun? Auf diese Fragen erhofften wir uns auf dieser Konferenz Antworten zu finden. Zwar erhielten wir keine direkten Antworten, aber dafür viel Input aus der politischen Arbeit anderer Gruppen – ein Wissen, was für uns bestimmt von Nutzen sein wird. Außerdem kam es zu Vernetzungen, so dass wir uns schon fast als Teil einer transnationalen Bewegung fühlen konnten.
Möglichkeiten prekären Widerstands
Der Austausch der Arbeitskämpfer*innen fand – abgesehen von Raucherpausen und Kneipenabenden – in Panels statt. Wir mussten dabei zwischen Panels zum Arbeitskampf im Care-Sektor oder in der Logistikbranche entscheiden. Eines der Hauptthemen war migrantische Arbeit. Spannend fanden wir unter anderem den Input der Londoner Gruppe Angry Workers. Deren Aktivist*innen heuerten in den Verladebetrieben des Logistiktzentrums um den Flughafen Heathrow an, wo Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt – vor allem aber aus Indien und Polen – schuften und daher schon die verbale Kommunikation ein Problem darstellt. Die Arbeit ist physisch sehr anstrengend, schlecht bezahlt, usw. Das Management setzt die Arbeiter*innen massiv unter Druck, indem mit Armbändern die Produktivität des Einzelnen gemessen und auf große Bildschirme projiziert wird, die für die ganze Schicht einsichtig sind. Hier sollen nur zwei interessante Aspekte genannt werden: Die Angry Workers publizieren eine Zeitung für die Menschen, die in dem Logistikzentrum schuften, welche auch in polnischer Sprache erscheint. Außerdem setzten sie das Bildschirmsystem außer Kraft, indem sie in einen Bummelstreik traten und somit der Anzeigebildschirm die Arbeiter*innen eher demotivierte. Solche Ideen könnten auch für unsere Kämpfe von Nutzen sein. Das Beispiel der Zeitung ist auch ein Beispiel dafür, was eine studentische Gruppe wie wir organisieren könnte.
Rückblickend lassen sich doch ein paar Tendenzen benennen, die zumindest oft in Arbeitskämpfen eine Rolle spielten. Die Kämpfe fanden in Sektoren statt, in denen prekäre Verhältnisse normal sind, vor allem in der Logistikbranche. Hier können in Zeiten von Just-in-Time-Produktion relativ kleine Streiks an zentralen Punkten der Warenzirkulation die Produktionskette lahmlegen. Just-in-Time-Produktion ist eine Form der Produktion, bei der das pünktliche Eintreffen der Produktteile zur Endmontage das A und O ist. Die Arbeiter*innen haben oft einen migrantischen Background. Außerdem sind die klassisch sozialdemokratischen Gewerkschaften in den streikenden Betrieben nicht vertreten, weswegen anarchistische oder kommunistische Gruppen überhaupt erst Bündnispartner der Arbeiter*innenschaft werden können.
Lokale Kämpfe verbinden
Abschließend kam noch die mit dem Konzept von Social Strike oft assoziierte Idee der Directional Demands auf. Bei dem Konzept geht es darum in sozialen Kämpfen richtungsweisende Forderungen an die Souveränität, hier den europäischen Quasi-Staat, zu stellen, von deren Durchsetzung größere Teile der Gesellschaft als nur die Belegschaft eines einzelnen Betriebs profitieren würden. Somit sollen verschiedene Kämpfe verbunden und die Vereinzelung aufgehoben werden. Typische Forderungen waren ein europäisches Grundeinkommen oder ein Bleiberecht für alle Refugees. Allerdings blieb uns unklar, ob (1) diese Forderungen ein strategischer Trick sind um verschiedenste Kämpfe zusammenzuführen, ob es (2) um ihre Erfüllung innerhalb der neoliberalen EU geht oder (3) ob sie auf ein längerfristiges Ziel wie die kommunistische Gesellschaft verweisen sollen.
Als es darum ging konkrete Directional Demands zu formulieren, befand sich unsere Delegation bereits auf dem Rückweg nach Leipzig und diskutierte die zahlreichen Erfahrungen des Wochenendes und überlegte ihre Übertragung auf die kommenden sozialen Kämpfe in Leipzig.
Anmerkungen
[1] ↑ the future is unwritten ist eine linksradikale Gruppe aus Leipzig, welche ihre Tätigkeit selbst wie folgt verortet: „Thematisch werden wir uns im Feld der Kapitalismuskritik sowie der Frage nach Organisation und Praxis von Gesellschaftskritik bewegen.“2 Die Gruppe engagiert sich auch in einem Streiksoli-Bündnis für Amazonmitarbeiter*innen und für Gebäudereiniger*innen Leipzig.[2] ↑ www.unwritten-future.org/index.php/ueber-uns