Nach den Aufständen

Gleich mit dem ersten Satz machen die unbekannten AutorInnen vom Unsichtbaren Komitee (UK) deutlich, was ihr neuester Text „An unsere Freunde“ von dem 2008 verfassten Text „Der kommende Aufstand“ trennt: „Die Aufstände sind also gekommen. In so schneller Abfolge, seit 2008, und in so vielen Ländern, dass das ganze Gefüge dieser Welt auseinanderzubrechen scheint“. Damit stellen die AutorInnen gleich zu Beginn klar, dass die kommenden Aufstände bereits der Vergangenheit angehören, aber nur zu Elitenwechsel und in manchen Ländern wie in Ägypten zu einer noch repressiveren Herrschaft geführt haben. „Die Aufstände sind gekommen, nicht die Revolution“, beschreiben die AutorInnen das Offensichtliche. Doch den Versuch einer Analyse, wieso die Aufstände in verschiedenen Ländern nicht zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Umbruch führten, sucht man in dem Buch vergeblich. Das beginnt schon damit, dass die Begriffe Aufstand und Revolution nicht klar definiert und abgegrenzt werden. So bleibt offen, ob die AutorInnen Aufstand und Revolution gleichsetzen. Wenn nicht, wäre es interessant zu erfahren, wie sie sich das Verhältnis von Aufstand und Revolution vorstellen. Vor allem wird auch nicht erklärt, wer die Träger der Aufstände in den letzten Jahren waren und welche Rolle darin ProletarierInnen spielten. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre schon deshalb sehr sinnvoll gewesen, weil in der Regel eine englischsprechende, via Facebook, Handy und Internet kommunizierende Mittelschicht zu den ProtogonistInnen der Aufstände erklärt wird. Die Rolle der ArbeiterInnen wird ignoriert oder als unbedeutend abgetan. Dabei wird unterschlagen, dass es sowohl in Ägypten als auch in Tunesien und dem Jemen ArbeiterInnen zumindest beim Beginn der Aufstände eine wichtige Rolle spielten. In Ägypten gehörten große Streiks in der Textilindustrie zur Vorgeschichte des Aufstands. Doch in diesen Ländern gab keine eigenständige Organisierung der ArbeiterInnen, was dazu führte, dass die Mittelschicht das Gesicht des Aufstands bildete, der dann nur ein Elitentausch wurde. Dass die AutorInnen sich diese Fragen nicht stellen, verweist auf den blinden Fleck des UK, ihre Ignoranz gegenüber proletarischen Kämpfen aller Art.

Dafür lesen wir bei ihnen als Antwort auf die Frage, warum aus den Aufständen keine Revolution wurde, solch kryptische Sätze: „Vielleicht können wir fragen, was in uns selbst dem Feind einen Ansatzpunkt bietet, sodass wir nicht zufällig, sondern häufig scheitern. Vielleicht können wir fragen, was zum Beispiel noch links ist an den Revolutionären und sie nicht nur scheitern lässt, sondern einem allgemeinen Hass aussetzt. Ein gewisser Anspruch auf moralische Hegemonie, die sie sich gar nicht leisten können, ist ein Fehler, den sie von der Linken geerbt haben. Ebenso die unhaltbare Anmaßung, die richtige Lebensweise vorschreiben zu wollen – die wirklich fortschrittliche, aufgeklärte, moderne, korrekte, dekonstruierte, einwandfreie. Eine Anmaßung, die Mordgelüste in allen weckt, die sich dadurch unwiderruflich ins Lager der Reaktionären-Konservativen-Altmodischen gestoßen fühlen.“ Meinen die AutorInnen tatsächlich, dass die Political Correctness der Linken dafür verantwortlich ist, dass die Aufstände nicht zu einer gesellschaftlichen Umwälzung führten? Und wer sind die Kräfte, die Mordgelüste gegen diese Revolutionäre hegen? Wenn man weiß, dass das Unsichtbare Komitee auch den ukrainischen Maidan-Aufstand zu den gescheiteren Aufständen zählt, kann man immerhin ahnen, wer gemeint sein könnte. Nun könnte ja an der Kritik an einer Linken, der es mehr um die richtige Lebensweise als um eine Gesellschaftsveränderung steht, durchaus mehr als ein Körnchen Wahrheit sein. Doch da das UK keine Klassengesellschaft kennt und die Arbeiterklasse als etwas Vorgestriges sieht, stellen sie sich gar nicht die Frage, ob der von ihnen kritisierte moralische Hegemonie der Linken, nicht der Versuch eines globalen Mittelstandes ist, die eigenen Vorstellungen vom richtigen Leben für allgemeingültig zu erklären. Daher klingt das Lamento des UK fast schon wie die Klage konservativer KulturkritikerInnen gegen Political Correctness.

Hacker statt streikende ArbeiterInnen

Da ist es auch nur konsequent, dass das UK die Figur des Hackers in den Mittelpunkt stellt, wenn es darum geht, Daten- Waren- und Kapitalströme zu unterbrechen. Dass es in verschiedenen Ländern wie in Norditalien langanhaltende Arbeitskämpfe in der Logistikbranche gab, wird vom UK nicht erwähnt. Dass aber ein Streik auf diesen Sektor, wenn mehrere Länder mit einbezogen wären, eine effektive Unterbrechung von Waren- und Kapitalströmen bedeuten würde, kommt den AutorInnen gar nicht in den Sinn. Dabei wären für einen solchen transnationalen Arbeitskampf im Logistikbereich Selbstorganisationsprozesse die Voraussetzung. Die Hacker aber sind, selbst wenn sie kollektiv handeln, bestenfalls eine kleine Gruppe von SpezialistInnen und ExpertInnen. So wird auch deutlich, wie die Ausblendung des Proletariats auch dem Ziel des UK zuwiderläuft, Kämpfe möglichst ohne Hierarchien und Repräsentation zu führen.

 

Literatur:

Unsichtbares Komitee: An unsere Freunde Aus dem Französischen von Birgit Althaler
 Broschur, 192 Seiten, mit 10 S-W-Fotos illustriert. Edition Nautilus, 2015
(D) 16 Euro ISBN: 9783894018184

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