Die Pest verhindert und die Grippe eingefangen

Es ist also geschafft. Nach einem
Jahr Wahlkampf und vier Wahlgängen hat die Republik Österreich
einen neuen Bundespräsidenten. Und seit 23. Dezember, steht es auch
endgültig fest: Dieser Staatspräsident ist nun ein Grüner. Vier
Wahlgänge brauchte es. Die Stichwahl vom 22. Mai 2016, bei der
Alexander Van der Bellen mit nur 30863 Stimmen Vorsprung bzw. 50,3 %
gewann, wurde auf Antrag der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ)
hin, vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) in einem sehr umstrittenen
Erkenntnis („Urteil“, Anm. d. Red.) aufgehoben. Die Wiederholung
der Stichwahl im September musste vom Innenministerium verlegt
werden: Die „Affäre“ um die fehlerhaften Kuverts für die
Briefwahl wurden auch in Deutschland ausführlich thematisiert. Beim
vierten Anlauf klappte es dann. Mit einer ausgebauten Mehrheit von
nunmehr 53,79% wurde Alexander Van der Bellen gewählt.

Verhindert wurde Norbert Hofer,
ein deutschnationaler Burschenschafter der FPÖ, und bisher schon
dritter Nationalratspräsident. Und dass er verhindert werden konnte,
ist nur einem denkbar breiten Bündnis an Parteien geschuldet. Von
etlichen Granden der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), über die
Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ), Liberale bis hin zur
diversen Grünen und Linken sind diesmal, nach dem 0,3%-Schock, alle
für Van der Bellen gelaufen. Selbst die marginalisierte
Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) hat massiv für den Grünen
Kandidaten lobbyiert.

Fischen am rechten Rand

Dieses breite Bündnis hat dann
auch zu einem recht grausamen Wahlkampf des ehemaligen Grünen
Bundessprechers geführt, bei dem im Kampf um rechte WählerInnen
neben Bedienung von dubiosen “Ingroup-Gefühlen” wie Volk und
Boden, auch Heimat und “Mehr denn je” (um nicht “Jetzt erst
Recht” schreiben zu müssen) in die Arena um den Kampf von
WählerInnen leicht rechts der “Mitte” geworfen wurde.
Bedeutungsschwanger vor wehenden Österreichfahnen wurden eigentlich
klar nationalistische Gefühle bedient und damit versucht im Pool
der Rechten zu fischen.

Und dies ist nicht nur eine
Anbiederung an die benötigten WählerInnen der ÖVP gewesen, sondern
zum Teil Ausdruck dessen, was für Politik Alexander Van der Bellen
vertritt. Neben Befürwortung von TTIP , ESM und Studiengebühren ist
auch die Darstellung der EU als absolut alternativlos bemerkenswert.
Noch in den 90er-Jahren, vor Österreichs EG-Beitritt, wurden
ernstzunehmende Positionen gegen dieses neoliberale
Supranationalstaats-Projekt eingenommen. Von den minimalen
antikapitalistischen und antimilitaristischen Analysen ist nichts
geblieben und es zeigt sich nun, wo die Grüne Partei eigentlich
steht. Sie ist, polemisch formuliert, die moderne, urbane
Bobo-Abteilung der Volkspartei. Von ein paar gesellschaftsliberalen
Reformen abgesehen hat die Arbeiterklasse von ihr jedenfalls nichts
zu erwarten.

Und speziell Alexander Van der
Bellen ist kein besonders Alternativer. Bevor er bei den Grünen
aktiv geworden ist, war er jahrelang SPÖ-Mitglied. In Biographien
definiert er seinen Werdegang selbst als den „von einem arroganten
Antikapitalisten zum großzügigen Linksliberalen” und sich
mittlerweile sogar als „ein Liberaler (…) Mit einem
Freiheitsbegriff, der angelsächsisch geprägt sei, nicht zuletzt im
Sinne John Stuart Mills”. Konkrete Auswirkungen sehen dann derart
aus, dass er sich vor zehn Jahren als Bundessprecher der Grünen
Partei standhaft über Jahre geweigert hat, mit der eigenen
Jugendorganisation „Grünalternative Jugend” überhaupt zu
sprechen. Diese verortete sich selbst zwar im
autonomen/linksradikalen Spektrum, war jedoch seit jeher die
offizielle Parteijugend, bevor sie dann schlussendlich komplett
entsorgt und 2011 durch die „Jungen Grünen” ersetzt wurde. Die
Abkapselung der österreichischen Grünen Partei von jeglichen
sozialrevolutionären Rest-Einflüssen darf damit als abgeschlossen
betrachtet werden.

Die große Problematik dabei ist,
dass rechten und faschistoiden Tendenzen zuarbeitende Positionen
dadurch gefestigt werden. Der FPÖ ist es somit möglich, alle
anderen Parteien vor sich herzutreiben. Genauso wie die Anrufung des
VfGH – inklusive massiver Verbreitung von Verschwörungstheorien im
Vorfeld („Bei Wahlkarten wird immer ein bissl komisch ausgezählt”)
– ein genialer PR-Coup gewesen ist. Hätte der VfGH die Klage
abgeschmettert, hätte die FPÖ ihre (NLP-)Opferposition „alle
immer gegen uns” noch mehr ausschlachten können. Durch die
Aufhebung der Wahl (übrigens erstmals in der Österreichischen
Republik eine bundesweite Aufhebung), konnte ebenfalls ein „na wir
haben’s doch gesagt” auf der Gefühlsebene vermittelt werden.

Selbst der VfGH ließ sich darauf
hin instrumentalisieren und entschied politisch. Das Erkenntnis ist,
verkürzt gesagt, deshalb so brisant, da entgegen dem Gesetzestext,
dass eine Manipulation stattgefunden haben muss, die Wahl mit der
Begründung aufgehoben wurde, dass obwohl definitiv keinerlei
Manipulation festgestellt wurde, eine möglich gewesen sein hätte
können. Die FPÖ selbst hat übrigens ihre eigenen Wahlbeisitzer für
diese Klagseinbringung (Klageerhebung, Anm. d. Red.) durch den
Ex-FPÖ-Justitzminister hingehängt. Alle haben zuvor die
ordnungsgemäße Abwicklung der Wahl in den Wahlkommissionen
schriftlich bestätigt – und Tage später der Bundespartei für die
Klage unterschrieben, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Die
Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt jetzt noch gegen einige
davon.

Der Bundespräsident ist nicht
nur Repräsentant

Norbert Hofer als
Bundespräsidenten zu verhindern, hat einen reformistischen Punkt,
wenn man libertäre Analysen dieser Wahlspektakel einmal außen vor
lässt. Es gibt ein minimales Korrektiv. Der Österreichische
Bundespräsident ist mit verhältnismäßig großer Macht
ausgestattet und im Gegensatz zum Schweizer und Deutschen Präsidenten
kein reiner Grüßaugust. Auch wenn die Macht bisher nie ausgeschöpft
wurde und das höchste der Gefühle die Verhinderung von zwei allzu
extremen FPÖ-Ministern durch Thomas Klestil im Jahr 2000 war. So
kann der Bundespräsident beispielsweise die Regierung jederzeit
entlassen. Ein Rücktritt Dieser wird traditionell von der Regierung
selbst bei der Angelobung des Bundespräsidenten auch angeboten. Er
ist auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres.

Die Vorstellung, was ein
FPÖ-Präsident mit solcher Machtfülle, in welcher Geschwindigkeit
umsetzen hätte können, lässt sehr wohl kalte Schauer über den
Rücken laufen. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist damit natürlich
nicht viel – abseits von ein wenig Zeit – gewonnen. Am ganzen
Kontinent sind faschistoide Bewegungen im Vormarsch. Die politische
Landschaft hat nichts gegen die „Krise” anzubieten. Im Gegenteil
handelt es sich doch bei stetigem Wirtschafts- und
Wertschöpfungswachstum um eine politisch herbeigeführte
Umverteilung von Arm zu Reich. Und das merken die betroffenen
Menschen auch. Es bleibt immer weniger im Geldbörsel. Die Leute
haben mittlerweile reale Existenzängste. Der Blick nach
Griechenland, wo bereits die Krankenversorgung für breite
Bevölkerungsschichten zusammengebrochen ist, ist nur ein Anfang
dessen, was das stetige Wachstum des Profits und Kapitalakkumulation
noch alles für uns bringen wird.

Auf der rechten Seite erstarken
Parteien wie die AfD, Front National und die FPÖ. Regierungen wie in
Ungarn, Polen oder der Türkei zeigen, wohin die Reise gehen kann.
„Starke Männer” sind derzeit vermehrt en vogue.

Verhindert wurde ein
Deutschnationaler

Dass nun die Hälfte der
österreichischen Bevölkerung bereit war, einen Deutschnationalen
zum Bundespräsidenten zu wählen, entbehrt nicht einer gewissen
Ironie. Deutschnationalismus ist eine politische Strömung, die auf
die Österreichisch-Ungarische Monarchie zurückgeht. Verkürzt
gesagt ging es immer schon darum die deutschsprachigen
österreichischen Gebiete des K&K-Reiches wirtschaftlich vom Rest
der Monarchie zu trennen und an Deutschland anzuschließen. Im
„Linzer Programm” wurde der Deutschnationalismus 1882 – auch
von führenden Sozialdemokraten wie Viktor Adler (und nicht nur von
Rechten) – niedergeschrieben. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie
entstand im kleinen und nun unbedeutenden Österreich die
Großdeutsche Volkspartei, das sogenannte Dritte Lager. Auch die
Sozialdemokratie war in der Zwischenkriegszeit noch für den
Anschluss an Deutschland. All das hat dann die Eingliederung des
Austrofaschistischen Ständestaates ins 3. Reich vereinfacht. Nach
dem 2. Weltkrieg war der Deutschnationalismus in weiten Teilen der
Bevölkerung verpönt, da er für Jahre deckungsgleich mit der NSDAP
war. Heutzutage gibt es diese Ideologie nur mehr bei ganz Rechten
oder Faschisten. Eine breite Akzeptanz des Konzeptes existiert nicht
mehr. Jörg Haiders Aussage von 1988, dass Österreich „eine
Ideologische Missgeburt” sei, kommt aus dieser Ecke. Außer von
Burschenschaften und dem Deutschnationalen Flügel in der FPÖ wird
diese Ideologie heute nicht mehr vertreten. Aber genau bei so einer
Deutschnationalen Burschenschaft, die die Nation Österreich nicht
anerkennt, ist Norbert Hofer. Und er weigerte sich im Wahlkampf auch
sehr empört, sich von seiner Burschenschaft deshalb zu distanzieren.

Rechte Positionen zum Teil fester
Bestandteil Österreichs

Es gibt aber auch weitere
interessante Aspekte daran, dass Hofer fast 50% der Stimmen erhalten
hat. Einerseits sind faschistoide Tendenzen in Österreich extrem gut
ins parlamentarische System eingebunden. Offen radikale Neonazis wie
die NPD gibt es hier nicht. Die FPÖ kann beispielsweise problemlos
bei den Angelobungen des Nationalrates geschlossen mit Kornblumen am
Revers – dem Erkennungszeichen der damaligen illegalen Nazis –
erscheinen, ohne dass es nennenswerten antifaschistischen Widerstand
gibt. Andererseits kommt es zu Skurilitäten, wie dass man im
Waldviertel (ein dünn besiedeltes und sehr strukturschwaches Gebiet
im äußersten Norden Österreichs), zwar von den betrunkenen Bauern
als vermeintlicher Neonazi aus der Feuerwehrstube im kleinen Dorf
rausgeworfen wird. Dies ist dem Autor dieser Zeilen passiert, da die
Feuerwehrmänner im Suff auf einem
„Halte-Deine-Umwelt-Sauber-T-Shirt” nur mehr das Hakenkreuz
gesehen haben, jedoch nicht mehr, dass es entsorgt wird. Mit den
Worten „sowos homma do scho ghobt, Nazis brauch´ ma kane mehr –
schleich Di” wurde authentischer Anti-Nationalsozialismus an den
Tag gelegt. Dieselben Leute wählen dann aber extrem stark FPÖ. Wie
auch generell zu beobachten ist, dass jene Regionen, in denen
verstärkt Menschen an der Umverteilung zu den Besitzenden leiden,
wie städtischen Gemeindebauten oder ländlichen Gegenden, die
Bereitschaft FPÖ zu wählen sehr hoch ist. Neben der Vermischung von
rechten, rechtsradikalen und faschistischer Politik in und um die
FPÖ, ist dies jedoch auch eine Folge der niemals stattgefundenen
Entnazifizierung nach dem 2. Weltkrieg in Österreich, sowie dem
absolut nie aufgearbeiteten Austrofaschismus, der mit der Mär
Osterreichs als „erstes Opfers Hitlers” in der 2. Republik dann
festgeschrieben wurde.

Ein weiterer Aspekt der
Fast-50%-für-Hofer ist, dass es in Österreich jedoch seit über 30
Jahren eine Mehrheit rechts der Mitte der politischen Parteien
gegeben hat. Die ÖVP hat gemeinsam mit der FPÖ schon jeher stabil
an die 55% der Stimmen bei Nationalratswahlen eingefahren. Dies hat
sich hier, nach diesem besten Wahlergebnis für einen FPÖ-Kandidaten
aller Zeiten, nur wieder einmal gezeigt.

Und das Ergebnis von fast 54% für
Alexander Van der Bellen ist aus diesem Gesichtspunkt auch
bemerkenswert und ein kleiner Bruch mit dem eigentlichen stabilen
rechten Überhang.

Abschließend lässt sich das
Wahlergebnis auch dahingehend interpretieren, dass die Menschen sehr
wohl merken, dass das System an sich am Ende ist und eine Veränderung
her muss. Da von Linker Seite (die es in Österreich abseits der oben
erwähnten 1%-KPÖ nicht gibt), keinerlei Angebote kommen, wird die
mittlerweile vorhandene Wahl-Mobilität eben mit Ankreuzen der FPÖ
manifestiert. Die alten Großparteien sind jedenfalls bei ihren 10%
angekommen und ihre Kandidaten diesmal bedeutungslos gewesen.

Der Kampf gegen rechts muss jetzt
richtig starten

Die faschistische Gefahr ist also
keineswegs gebannt. Ganz im Gegenteil bräuchte es umfassende
Selbstorganisation der Lohnabhängigen in naher Zukunft. Vom ÖGB ist
das in keinster Weise zu erwarten. Dieser ist noch stärker als der
DGB ins politische System eingebunden und nicht bereit, ernsthafte
Kämpfe zu führen. Symptomatisch dafür ist der einzige relevante
Streik der letzten beiden Dekaden im Jahr 2003 der EisenbahnerInnen.
Es ging gegen massive Verschlechterungen der letzten Regierung von
ÖVP und FPÖ. Nachdem alle Beschäftigten der ÖBB drei Tage lang
gestreikt haben, hätte der Streik angefangen, richtige Auswirkungen
auf die wirtschaftlichen Abläufe des Landes zu haben. Am folgenden
Tag hätten die Hochöfen heruntergefahren werden müssen, weil die
Bahn Kohle und Erze nicht angeliefert hat. Der Streik wurde daraufhin
von der Gewerkschaftsführung für minimale Zugeständnisse (also
dass die Verschlechterungen für die ArbeiterInnen nicht ganz so
schlimm ausfallen werden) abgeblasen. „Die Hochöfen müssen
abgeschaltet werden”, „Die Hochöfen müssen abgeschaltet
werden”, wie schrecklich, ein Streik, der doch tatsächlich
Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte, …

Von Seiten der sehr kleinen
libertären Bewegung ist es schwierig, etwas zu bewegen. Neben sehr
studentisch geprägten Autonomen gibt es nicht besonders viele
AnarchistInnen mit Klassenbewußtsein in Österreich. Die Wenigen
versuchen seit Jahren stabile anarchosyndikalistische Zusammenhänge
zu etablieren.

Einziger Lichtblick in Bezug auf
die Wahl war eine Weißwählen-Aktion von ein paar GenossInnen. Diese
wurde in Wahlsprengeln mit enorm hohen FPÖ-Stimmenanteilen beim
ersten Wahlgang, dann bei den beiden Stichwahlen durchgeführt. In
einem unprofessionell gehaltenen Schreiben, das Van der Bellen oder
die Grünen in keinem Wort erwähnt hatte, wurde im Namen von ein
paar NachbarInnen erläutert, dass die FPÖ um nichts besser als die
SPÖ oder die ÖVP ist und Hofer daher keine Alternative darstellt.
Empfohlen wurde ungültig zu wählen, wenn man ein Zeichen setzen
will. Die Ergebnisse sind – auch wenn nur einige tausend Flugzettel
in manchen ausgewählten Wahlsprengeln flächendeckend verteilt
wurden, und daher noch von keiner ernstzunehmenden statistischen
Signifikanz gesprochen werden kann – recht ansehnlich. So schafften
es von sechs Gemeinden, in denen verteilt wurde, in der ersten
Stichwahl drei auf die Plätze 2, 3 und 4 der österreichweiten
höchsten Ungültigstimmenanteile. In der zweiten Stichwahl konnte in
einem Sprengel der bundesweit größte Verlust für Hofer zwischen
der 1. und der 2. Stichwahl durch die Verteilung erreicht werden.

Es gibt also auch mit unseren
derzeitigen eingeschränkten Möglichkeiten durchaus bemerkenswert
gut funktionierende Methoden. Es liegt an uns diese auszubauen,
anarchosydikalistische Strukturen zu festigen und Wahlen und
parlamentarische Vertretungsdemokratie in Zukunft unnötig zu machen.
Denn vergessen werden sollte auch nicht, dass sehr viele Menschen in
Österreich gar nicht wahlberechtigt sind. Von 8,7 Millionen
EinwohnerInnen – und da sind die ganzen Illegalisierten noch nicht
mit eingerechnet – hatten bei dieser Wahl nur knapp unter 6,4
Millionen überhaupt eine Wahl.

Arbeiter von Wien

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