Die Kneipen denen, die drin saufen

DA: Wie ist die Kneipe zu ihrem Namen “Syndikat” gekommen und was bedeutet er euch?

Arthur: Die Kneipe wurde 1985 als Kollektiv von Leuten eröffnet, die inspiriert durch die historische anarchosyndikalistische Bewegung in Spanien und die zarten anarchosyndikalistischen Versuche der 1970er und 80er waren. Der Name „Syndikat“ verweist auf die Organisierungsform der Selbstverwaltung.

DA: Ihr arbeitet kollektiv und selbstorganisiert. War das schon immer so? Was hat sich an der Organisation eurer Arbeit seit dem Beginn geändert?

Anton: Die Kneipe war immer als Kollektivbetrieb gedacht. Es sollte nie einen Chef geben, alle Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen – von der Gestaltung des Ladens über Programm, Preise, Getränkeauswahl usw., das wurde immer gemeinschaftlich entschieden. Natürlich haben sich die Kollektive in den bald 35 Jahren geändert, die Ideen sind aber, wie auch Stammgäste aus den ersten Tagen erzählen, die gleichen geblieben, außer dass sich die Gesichter geändert haben.

DA: Was versteht ihr unter kollektiver und selbstorganisierter Arbeit?

Anton: Es gibt wie gesagt keinen Chef. Wir überlegen uns, was ist zu tun, was gemacht werden muss und wie wir das kollektiv selbst erledigen, bis vielleicht auf spezielle handwerkliche Sachen, die wir nicht selbst können. Ideal ist, wenn jede*r alles machen kann, sei es Buchhaltung, Bestellung oder andere Arbeiten.

DA: Ihr versteht euch auch als Kiezkneipe. Was macht das Syndikat zu einer Kiezkneipe?

Anton: Wir sind hier schon fast 35 Jahre und waren immer ein Treffpunkt der Nachbarschaft. Außer Nazis und ähnlichem Dreckspack sind alle Willkommen. Außer Nazis und ähnlichem Dreckspack waren alle Willkommen. Ansonsten soll es für alle ein Ort sein, wo du dich entfalten und machen kannst, was du willst, solange du dabei andere respektierst. Gleichzeitig mischen wir uns auch immer wieder in stadtteilpolitische Angelegenheiten oder auch in Stadtkämpfe ein. Wie beim Mietenwahnsinn, der in den letzten 10 Jahren einfach immer krasser geworden ist. Wir haben uns immer gegen Gentrifizierung eingesetzt und versuchen, Leuten konkret zu helfen. Auch ganz praktisch vom Werkzeugverleih bis zu Unterstützung bei der Miete, wenn das Geld vom Amt mal nicht kommt. Oder auch die berühmte Oma von Gegenüber, die hier Geld abholen kommt, wenn ihr die Kohle ausgeht, um Medikamente oder Essen zu kaufen. Wir haben immer geschaut, dass wir mit- und füreinander da sind. Wir sind auch in die Organisation des Weisestraßenfestes mit eingebunden, bringen Logistik und „gastronomisches Know-how“ ein, und fangen zur Not auch rote Zahlen auf.

Arthur: Das Syndikat hat auch immer andere Gruppen unterstützt, die politische Selbstorganisierung hier in der Nachbarschaft betrieben haben. Auch über die Stadtteilarbeit hinaus, z.B. bei antirassistischen Kampagnen oder Gefangenenunterstützung. Wir stellen Logistik oder packen mit an, z.B. bei Solidaritätspartys oder stellen den Raum für Solidaritätsveranstaltungen zur Verfügung oder spenden auch mal Geld , z.B. für Anwaltskosten.

DA: Am 7. August 2020 droht dem Syndikat die Zwangsräumung. Könnt ihr kurz erzählen, wie es dazu kam?

Anton: Wir haben im Juni 2018 die Kündigung unseres Mietvertrags zu Ende 2018 bekommen. Anfangs hieß es noch, man könne über einen neuen Vertrag verhandeln. Das haben wir auch angestrebt, aber im September kam dann die endgültige Kündigung mit dem Hinweis, dass wir am 31.12.2018 die Schlüssel abzugeben hätten. Das haben wir nicht gemacht. Stattdessen haben wir uns auf die Spur unseres Eigentümers begeben – mehr als ein Briefkasten in Luxemburg war bislang nicht bekannt. Wir haben recherchiert, wem denn dieser Briefkasten gehört und wer dahinter steht. So haben wir dann diesen sehr großen Player auf dem Berliner Immobilienmarkt, Pears Global Real Estate Limited entdeckt, bekannt gemacht und auch mit in die Enteignungsdebatte gezogen. Wir haben sie auf Platz 11 der zu enteignenden Unternehmen platzieren können, was ich als sehr großen Erfolg unserer Kampagne sehe. Und gleichzeitig hat das auch vielen Mieter*innen in der Stadt geholfen, die nun wussten, wer ihr Vermieter ist. Genauso wie jetzt das sogenannte Luftbrückenhaus den Aufkauf durch Pears Global abwehren konnte. Dadurch wurde erreicht, dass der Bezirk das Vorkaufsrecht ausgeübt hat. Auch die Kunstkneipe „la Bettolab“, die hier um die Ecke bei Pears mietet, konnte sich so besser vernetzen.

DA: Was muss jetzt getan werden, um die Räumung zu verhindern?

Anton: (lacht) Wir hatten die ganze Zeit noch Hoffnung, dass dieses Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ schneller ginge und nicht vom Senat weit über ein Jahr verschleppt wird. Das war im Prinzip unsere größte Hoffnung. Wenn es zu diesen Enteignungen kommt, dann ist auch dieses Haus davon betroffen. Dann könnten wir drin bleiben. Und jetzt können wir im Prinzip nur noch auf ein Wunder hoffen oder dass am 7. August so viele Leute hier sind, dass die Räumung nicht vollzogen werden kann, was uns aber vermutlich auch nur einen Aufschub bringen wird. Rein juristisch ist alles durch. Das „Wunder“ wäre, dass Pears Global plötzlich einlenkt. Das erscheint schwer vorstellbar, einfach weil wir sie bekannt gemacht haben und in diese Enteignungsdebatte gezogen haben. Sie haben bisher auf nichts reagiert, nie mit uns oder mit Anwält*innen, Journalist*innen, Politiker*innen, die versucht haben, auf sie einzuwirken, kommuniziert. Jetzt gibt es noch einen Antrag aus der Bezirksverordnetenversammlung in Neukölln, dass sich der Senat einsichtig zeigen und die Räumung verhindern soll. Aber da haben wir bisher auch nichts weiter gehört. Ich kann mir schwer vorstellen, dass der Innensenator die Räumung absagt oder seine Polizei nicht kommen lässt. Wenn sie das nicht machen, stellt das Polizei und Eigentum, also einige der Säulen dieses Staates in Frage. Das halte ich sehr unwahrscheinlich. Mich würde es freuen, aber Eigentum ist das wichtigste zu schützende Gut für diesen Staat, und das werden sie mit allen Mitteln durchziehen. Da bin ich mir leider ziemlich sicher.

Arthur: Der Konflikt ist inzwischen auf so vielen Ebenen durchgekämpft , dass wir in der Situation sind, nun nur noch auf uns selbst vertrauen zu müssen. Wir haben eine reale Chance, wenn sich hier wirklich mindestens 2000 Leute rechtzeitig vor der Tür einfinden und sich vor der Kneipe niedersetzen und sagen: „Räumung unserer Kiezkneipe und dieses sozialen Treffpunkts is nich!“.Vielleicht bringt das nur einen Aufschub, . Aber das kann neue Türen aufmachen. So was hat in der Vergangenheit schon funktioniert. Also warum nicht versuchen?

DA: Nehmen wir mal an, ihr würdet den Raum trotz tatkräftiger Unterstützung verlieren – würdet ihr auch dann als Kollektiv weiterarbeiten wollen?

Anton: Wir suchen immer noch nach neuen Räumen. Das Problem im Schillerkiez ist: Es gibt einfach keine Räume, die groß genug oder überhaupt noch frei sind. Wenn sich ein Raum auftut, werden sicherlich Teile aus dem Kollektiv auch dabei sein, was neues zu machen. In letzten anderthalb Jahren allerding sind viele von uns auch an ihre Grenzen gestoßen: Parallel den Kneipenbetrieb 7 Tage die Woche aufrecht erhalten und tagsüber kämpfen, organisieren, vernetzen, machen – das war intensiv und kraftraubend. Wenn sich eine Möglichkeit auftut, könnte durchaus ein neues „Syndikat“-Kollektiv entstehen.

DA: Was muss getan werden, um in Zukunft solche selbstorganisierten Räume und Räume kollektiven Arbeitens zu erhalten und zu fördern?

Anton: Ich glaube wir müssen einfach den Dreckskapitalismus, wie er im Moment ist, überwinden. Mit Wohn- oder Gewerberaum darf keine Rendite gemacht werden. Solange irgendwelche Immobilienkonglomerate, Konzerne oder Aktiengesellschaften damit ihre Rendite erwirtschaften und das alles so legal bleibt, wird es für kollektive, selbst verwaltete Räume einfach schwer bleiben. Erst wenn wir den Kapitalismus überwunden haben, werden mehr solcher Räume entstehen können oder überhaupt weiter bestehen können. Zum Beispiel Café Kralle im Wedding: das Haus wurde vor ein paar Jahren an Akelius verkauft. Da hat sich dann die Miete innerhalb von einem halben Jahr verdoppelt. Bei dem Laden ging es ähnlich wie bei uns nie darum, Geld zu erwirtschaften. Wenn sich dann auf einmal die Miete verdoppelt, gerät man ins Schwimmen und weiß nicht mehr, wie das funktionieren soll. Und „Kollektiv“ gibt es auch nicht als Rechtsform, z.B. beim Finanzamt. D.h., es sind immer Einzelpersonen, die ihren Kopf hinhalten. Es muss sich im Prinzip grundlegend an dem gesellschaftlichen System was ändern, damit es mehr Kollektive geben kann oder die bestehenden erhalten werden können. Es gibt keinen politischen Schutz für solche Läden oder Initiativen wie uns. Wir sind den gleichen Regeln des Marktes unterworfen wie irgendwelche anderen kapitalistischen Betriebsformen. Es ist einfach sehr schwer, das am Leben zu erhalten, wenn man nicht auf Profit aus ist.

DA: Wir gehen davon aus, dass es so weit nicht kommen wird und wünschen euch viel Kraft in eurem Kampf. Vielen Dank für das Gespräch!

Anton: Kein Gott, kein Staat, nur das Syndikat!

Arthur: Bis zum 7.8. in aller Früh, auf viele weitere Jahre Syndikat!

Anton: Die Kneipen denen, die drin saufen!

Enteignungen

Die Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen Enteignen“ erfährt seit 2019 bundesweite Aufmerksamkeit. Sie fordert durch ein Volksbegehren die Berliner Landesregierung auf ein Gesetz zu erlassen, dass die Vergesellschaftung aller Wohnungen von Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin ermöglicht. Sie berufen sich dabei auf §15 des Grundgesetzes. Dies beträfe neben der Deutschen Wohnen auch Akelius (Vermieter der Kollektivbars Café Kralle und K-Fetisch) und Pears Global. Die Enteignungskampagne knüpft an zahlreiche Selbstorganisationen von Mieter*innen an, z.B. Kotti & Co und den Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen. Teil der Kampagne ist gezieltes Organizing in den Blocks des ehemaligen Sozialen Wohnungsbaus. Zudem regte sie zahlreiche Recherchen zu den Teils verdeckten Eigentümerstrukturen an.

Tempelhofer Feld und Schillerkiez

Das „Luftbrückenhaus“, das vor dem Kauf an Pears Global bewahrt wurde, befindet sich nicht weit vom Syndikat entfernt im Neuköllner Schillerkiez direkt am „Tempelhofer Feld“. Das ehemalige Flughafenfeld ist heute dank der autonomen Kampagne „Squat Tempelhof“ und dem darauf folgenden Volksbegehren „100% Tempelhofer Feld“ ein öffentlicher Park. Ironie der Geschichte: Genau das beschleunigt heute die Gentrifizierung im Schillerkiez.

Vorkaufsrecht

Durch das Vorkaufsrecht können Berliner Bezirke in Milieuschutzgebieten unter bestimmten Bedingungen ein Vorrecht vor privaten Investor*innen haben, zum Verkauf stehende Immobilien in den Bezirken zu erwerben. I.d.R. kauft dann eine – wiederum gewinnorientierte – städtische Wohnungsbaugesellschaft oder eine Genossenschaft die Immobilie. So können Hausgemeinschaften immerhin einen Verkauf an private Eigentümer verhindern.

Weitere Infos
rund um die Zwangsräumung des Syndikats und Proteste dagegen: syndikatbleibt.noblogs.org

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