Gegen die Unsichtbarmachung von Lohnarbeit

„Landesweiter Streik in Notaufnahmen“ heißt ein vierminütiges Video, in dem der Arbeitskampf von Krankenhausbeschäftigten in Frankreich im März 2019 dokumentiert wird. Schon ein Jahr vor dem Corona-Lockdown haben sie gegen mangelnde Personal- und Materialausstattung und damit gegen eine Gefährdung von Patient:innen und Personal protestiert. In Zeiten von Corona waren diese Zustände dann für das Desaster in den Kliniken verantwortlich. Doch vor fast zwei Jahren wurde dieser Arbeitskampf kaum wahrgenommen. Dokumentiert ist der Kurzfilm auf der Videoplattform labournet.tv, die am 30. Januar 2012 online gegangen ist.

Seit zehn Jahren sorgt ein keines Kollektiv von Frauen dafür, dass „die Kämpfe zirkulieren“, wie das Motto von labournet.tv heißt. Im Zentrum stehen die Situation der Lohn- und Landarbeiter:innen, ihre (Selbst)organisation, historische und aktuelle Arbeitskämpfe und gesellschaftliche Alternativmodelle. Dabei betont Johanna Schellhagen, eine der Gründerinnen von labournet.tv, dass alle Filme aus der Perspektive der Arbeiter:innen entstanden sind. Sie kritisiert, dass die arbeitende Bevölkerung gesellschaftlich kam wahrgenommen wird. Wenn es Berichte gibt, dann würden sie meist als hilflose Opfer dargestellt, die Objekt von Hilfe werden wollen.

„Selbst wenn über einen Streik berichtet wird, werden meist nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter interviewt, sondern die Gewerkschaftssekretärin – oder überhaupt nur die Arbeitgeber und genervten Kunden. Dem setzen wir etwas entgegen, indem wir aus der Perspektive der Arbeitenden selbst berichten“,

betont Jeanne Neton von labournet.tv.

Dass diese Unsichtbarmachung der Lohnarbeit und der dort ausgetragenen Kämpfe auch in linken Kreisen stattfindet, zeigt das kürzlich im Verlag Bertz + Fischer herausgegebene Buch „Bewegungsbilder“ über politische Videos in Sozialen Medien. Britta Hartmann, Jens Eder und Chris Tedjasukmana, die das Bändchen herausgegeben haben, gehen auf den Videoaktivismus bei Nichtregierungsorganisationen und in antirassistischen und feministischen Kontexten ein. Auf Videos in Klassenkämpfen wird nur kurz im historischen Teil verwiesen.

„Viele Leute in Europa denken, es gäbe Arbeiter:innen höchstens noch in China. Das schlägt sich auch im linken Videoaktivismus nieder“,

erklärt Johanna Schellhagen. Im Mai 2014 hatte ihr Kollektiv zu der Frage „Warum Filme über Arbeitskämpfe machen?“ mit Aktivist:innen in mehreren Ländern diskutiert und darüber fünf Videos gedreht, die auf der Plattform heruntergeladen werden können. Inspiriert wurden sie dabei von der Medvedkin Gruppe, einem Kollektiv von linken französischen Filmemacher:innen wie Chris Marker und Arbeitern, die 1967 Filme über die französischen Fabrikkämpfe machten. Daraus entstand der Dokumentarfilm „À bientôt j’espère” (“Bis bald, hoffentlich”), in dem die Streikenden in Besanscon über ihren Alltag, den Kampf und ihre Forderungen sprechen.

Den Streikenden ein Mikro vors Gesicht halten

„Es gibt einen immensen Bedarf an Leuten, die losziehen, wenn gestreikt wird und den Arbeiterinnen und Arbeiten ein Mikrophon unter die Nase halten oder eine Veranstaltung organisieren, in der sie berichten können, was bei ihnen im Betrieb passiert und wofür sie kämpfen“,

resümiert Schellhagen aus ihren zehnjährigen Erfahrungen bei labournet.tv. Sie beschreibt damit auch einen wichtigen Teil der Arbeit des kleinen Videokollektivs im letzten Dezennium. So machten sie 2015 mit ihrem Film „Die Angst wegschmeißen“ einen Zyklus von Arbeitskämpfen von vornehmlich migrantischen Beschäftigten in der norditalienischen Logistikindustrie bekannt. Im Anschluss diskutierte das Publikum über Solidaritätsaktionen. Vor dem Beginn der Corona-Maßnahmen organisierte das labournet.tv-Kollektiv regelmäßig Veranstaltungen mit Protagonist:innen ihrer Videos. Jetzt muss diese Solidaritätsarbeit digital laufen. Auf der Plattform findet sich auch der Film „1336 Tage. Höhen, Tiefen, aber immer aufrecht“. Dort dokumentiert der französische Regisseur Claude Hirsch den mehrjährigen Kampf der Beschäftigten einer Teefabrik bei Marseille, die heute von den Beschäftigten selbst verwaltet wird.

Schellhagen arbeitet gerade an einem Film, bei dem es um die Zusammenarbeit zwischen Klima- und Arbeiterbewegung geht. Der Titel lautet „The Loud Spring – System Change not Climate Change“. Doch labournet.tv hat die institutionelle Förderung durch die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt verloren und braucht Solidarität. „Wir können auf Dauer nur weitermachen, wenn zu unseren derzeit 120 Fördermitgliedern noch 380 weitere dazu kommen“, so Johanna Schellhagen.

Damit die Kämpfe weiter zirkulieren, sollte labournet.tv unterstützt werden! Zum Beispiel so: https://www.startnext.com/the-loud-spring

Beitragsbild: labournet.tv

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