Keine Arbeit? Kein Problem!

Keine Ahnung, wie viele frühmorgendliche Aufschläge im Jobcenter ein einzelner Mensch hinter sich bringen kann, bevor er ernsthafte Schäden davon trägt. Gibt es da einen klinisch zulässigen Höchstwert? Ist dieser je nach politischen Verhältnissen Manipulationen unterworfen? Wird er im Zweifelsfall heraufgesetzt, wenn die empirischen Daten keine Hoffnung auf Einhaltung bieten? Gibt es womöglich auch einen empfohlenen Mindestwert? Und wer schlägt sich eigentlich mit der trostloseren Existenz herum, die Menschen vor, oder hinter den Schreibtischen? Wie kann es überhaupt sein, dass allein die Verwaltung dieser Einrichtung fünf Milliarden Euro im Jahr kosten darf, wenn deren bloße Existenz darauf gründet, kollektiv die Grundrechenarten zu leugnen?

Weniger als eine Millionen offene Stellen im Land, fast zweieinhalb Million Erwerbslose offiziell, real dreieinhalb bis vier. Und WIR – ja ich sage ganz pathetisch WIR, wir als Gesellschaft, wir als Staat, oder kleinkarierter, wir als Steuerzahler – bezahlen Menschen dafür, anderen Menschen zu sagen, sie sollen sich, nein, sie müssen sich einen Job besorgen, sonst wird ihnen das Existenzminimum gekürzt. Wie auch immer sich ein Existenzminimum kürzen lässt? Vielleicht schrumpfen widerwillige Langzeitarbeitslose mit der Zeit, oder müssen weniger essen, sich weniger waschen, weniger Klamotten tragen als andere Menschen, brauchen keinen Bus, Kinobesuch, zumindest ja kein Feierabendbier, oder?

Also triezen wir Menschen – genauer wir lassen Menschen beruflich andere Menschen triezen – damit diese sich dann um nicht vorhandene Jobs prügeln, um für 13,-€ am Tag leben zu dürfen. Und dafür müssen wir nur eine einfache Subtraktionsaufgabe verdrängen, von komplexen Lebensrealitäten gar nicht erst anzufangen, wie zum Beispiel, dass es einem Krankenpfleger in Schwäbisch Gmünd einen Scheiß hilft, wenn in Kiel ein Elektrotechniker, oder in Berlin ein Softwareentwickler gesucht wird. Oder dass an so einem Leben evtl. mehr hängt als nur ein Arbeitsplatz: so Dinge wie Familie, Freunde, Heimat, Kegel- und Fußballvereine, Stammkneipen und Straßen in denen man sich einigermaßen zurechtfindet.

Aber wie gesagt, so tief muss niemand gehen. Vier Millionen Erwerbslose minus eine Million offener Stellen, bleiben drei Millionen Erwerbslose übrig, komme was da wolle. Selbst bei maximaler Statistikbearbeitung – Fälschung klingt so hässlich – bleiben es mehr als eine Millionen Erwerbslose, auch wenn du denen allen eine Knarre an den Kopf halten würdest. Und denen wollen wir dann wirklich, wohlgemerkt unter Androhung von Strafen, mit massiven sozialen bis existenziellen Folgen, verklickern, dass sie sich einfach mal nur mehr anstrengen sollen? Ernsthaft?

Nein, das wollen wir nicht – wir tun es einfach, seit 13 verfickten Jahren! Und schon klar, ich bin nicht moralisch objektiv empört, oder einfach ob der offen zutage tretenden, ungenierten, im Widerspruch zu simpelsten Logikgesetzen stehenden Absurdität fassungslos, die hier mit halb herunter gelassener Hose vor mir mit ihrem haarigen Arsch wackelt – sondern ich bin dummerweise nur betroffen. Dass der faule Arbeitslose sich auch darüber beklagen muss, dass er zu Jobs gejagt wird, die ihm keiner geben will, oder die es gar nicht gibt, die er nicht machen will, oder die einfach unter aller Sau sind. Bornierter, dekadenter Hartz-IV-Empfänger aber auch.

Und nirgends Rettung in Sicht.

Klar, es gibt lustige Debatten über ein bedingungsloses Grundeinkommen, virtuelles Endloswachstum durch die totale Digitalisierung, und in versprengten Gewerkschaftsregionalbüros und Sozialinstituten geht ein längst verscharrt geglaubter Zombie namens Arbeitszeitumverteilung umher – aber der realpolitische Diskurs? Seit bald vier Legislaturperioden(!) sieht eine Megakoalition aller Parteien, mit Ausnahme des niedlichen „Schmuddelkinds“ namens LINKE, keinen generellen Handlungsbedarf.

Lohnarbeit bleibt Mantra und Modell, auch wenn das für mehr als 20% aller Beteiligten zurzeit echt beschissen läuft, aber hey, von denen sitzt ja auch keiner im Bundestag, oder in Parteigremien, oder geht auch nur verfickt-nochmal wählen. Und Steine werfen, Autos anzünden und Häuser besetzen tun auch andere. Vor allem aber, vernachlässigbar wenige. Also was soll´s, oder? Ich werde ja auch keinen Rabatz machen, um dann vor Panzerpolizisten und SEK mit Maschinenpistolen im Anschlag davonrennen zu müssen – viel zu anstrengend. Irgendwie muss ich ja den Ruf des faulen Arbeitslosen wahren. Aber euren Scheiß auch noch gut finden? Die Welt geht vor die Hunde, menschlich, ökologisch, kulturell. Und morgens in der Bahn ziehen alle eine Fresse und „The Walking Dead“ ist plötzlich keine Fiktion mehr. Ohne mich, zumindest soweit als möglich.

Stattdessen vielleicht eine Zukunftsvision, eine vage, zugegeben, und auch nicht besonders originelle, aber das sind die Großen selten (siehe Frieden, Demokratie, Menschenrechte…): Keine Arbeit mehr. Nie wieder. Für niemanden. Ob mit oder ohne 3D-Drucker, mit einer Weltmacht übernehmenden KI oder ohne Netflix. Einfach keine Arbeit mehr. Vielleicht nicht ganz ohne Probleme, aber bitte ohne Arbeit – und definitiv ohne Jobcenter!

 

Titelbild: Holzschnitt von Albert König von wikimedia commons

Ähnliche Artikel

Ein Kommentar zu «Keine Arbeit? Kein Problem!»

Schreibe einen Kommentar