Lauf der Vorbotin

Das Buch von Jule Ehms ist eine partei-ergreifende Darstellung und Rekonstruktion der FAUD und ihrer betrieblichen Praxis in der Weimarer Republik. Ehms geht es darum, das Zusammenwirken von syndikalistischen Prinzipien und der alltäglichen Kleinarbeit der Syndikalist:innen zu untersuchen. Zugleich ist es der Versuch einer Ehrenrettung der Freien Arbeiter Union Deutschlands gegen das Urteil einiger Historiker:innen, die Syndikalist:innen wären als praxisferne Sekte zugrunde gegangen. Gegenüber Halbheiten und Unzulänglichkeiten der FAUD – wie eine Agitation, die auf massenhafte Eintritte zielte, während es kaum Vorbereitungen und Reflexion über die Konsequenzen bei einem Erfolg gab – nimmt Ehms erfreulicherweise kein Blatt vor den Mund. Im Verlauf der Untersuchung wird wiederholt deutlich, wie schwierig es war, eine revolutionäre Organisation in stabilisierten Zeiten, als nur Wenige grundlegende Veränderungen wollten und an der gesellschaftlichen Basis keine Unruhe aufkam, aufzubauen und zu entfalten.

Ehms zeigt anhand von Einblicken in interne Diskussionen über den Kurs der FAUD, dass in demokratisch strukturierten Organisationen – für die fehlgeleitete sogenannte öffentliche Meinung ein Anzeichen von Unfähigkeit und Schwäche – Uneinigkeit, Flügelkämpfe, Differenzen toleriert werden und in Hinsicht auf Korrekturen der Strategie und den Abbau von selbstverschuldeten Hemmschwellen fruchtbar werden können. Man kann nun fragen, was das Buch – abgesehen von der Tatsache, dass es einem klaren Blick auf die Geschichte der FAUD zuarbeitet – uns Heutigen, die sich dem Wiederaufbau und der Neuentdeckung der syndikalistischen Strömung widmen, zu sagen hat und Ehms steht dieser Praxis gewiss nicht ablehnend gegenüber. In seinen nützlichen Kapitelabschlüssen weist das Buch häufig auf eine fehlende Auswertung der Erfahrungen durch die Syndikalist:innen hin. Hier können wir anknüpfen und das geschieht auch bereits, d.h. eine kontinuierliche Diskussion und Beurteilung unserer betrieblichen Erfahrungen und ihrer Schwierigkeiten sollte – wenn ihre Qualitäten das hergeben – unbedingt angestrebt werden und sich auch in verallgemeinerbaren Lösungsvorschlägen und Leitfäden niederschlagen.

Des Weiteren zeigt ein Drittel des Buches die Stellung der FAUD zum institutionalisierten und verrechtlichtem Klassenkonflikt in seinen weimarischen Formen: Tarifvertrag, Betriebsrat, Arbeitsrecht und staatlichem Schlichtungswesen. Einige der zwischen Pragmatismus und grundlegender Ablehnung vermittelnden Positionen sind heutigen FAU-Mitgliedern aus internen Diskussionen vertraut und noch nicht abgenutzt und hinfällig. Das Buch ist in dieser Hinsicht auch ein Plädoyer, die Analyse der gegenwärtigen Gestalt der Institutionalisierung, den Wirkungen der neuen Akteure, wie die Europäische Union und des potentiellen Bewegungsspielraumes der FAU in diesem Geflecht aufzunehmen.

Ehms Schrift zeigt auch, dass der Optimismus, allein mit betrieblicher Praxis aus dem Stadium einer Kleinorganisation hinauszugelangen, jedenfalls bei Betrachtung der Entwicklung der FAUD, auf sehr fragilem Grund steht. Ihre Untersuchung macht deutlich, dass man bei zunehmender Wirkung einer linksrevolutionären Gewerkschaft damit rechnen muss, dass der einschränkende Gegendruck seitens der Unternehmen, der zentralistischen Konkurrenz und der staatlichen Justiz zunehmen wird. Zwischen einer konfliktorientierten, beweglichen Praxis in den Betrieben und einem demokratisch strukturierten, wenn auch im Falle der FAUD hier und da undurchsichtigen bis fragwürdigen Organisationsaufbau, sieht Ehms einen Zusammenhang. Die Bemühungen gegen einen Funktionswandel der Gewerkschaft, d.h. hin zu einer mit dem Kapital kooperierenden Versicherung, gegen Bürokratisierung und Zentralisierung, kann gelingen. Wenn es uns ernst damit ist, müssen wir ein Bewusstsein über die Gefahren einer solchen Bürokratisierung in unseren Reihen wachhalten, es verbreiten, in Handlung übersetzen und unsere Strukturen fortwährend im Auge behalten, gegebenenfalls auch umbauen. Es ist das ein gravierender Unterschied zu anderen Gewerkschaftsmodellen, der unseren Mitgliedern einiges abverlangen wird.

Die Schwäche des Buches liegt in seinem mitunter zähen Zentrum: der Rekonstruktion der durchgeführten Arbeitskämpfe. Man kann der Autorin sicherlich keinen Vorwurf daraus machen, denn das von ihr verwendete, zugängliche Pressematerial der Zeit war hier anscheinend nicht sehr ergiebig. Das soll nicht heißen, dass hier zu wenig Material geschildert wurde. Das Buch bietet reichlich Beispiele und Blicke auf regionale Hochburgen samt ihren Mitgliederstrukturen. Sicherlich hat ein Streik auch seine banalen Seiten und kann nicht immer zu einer mitreißenden Erzählung umgestaltet werden. Aber man vermisst bei den Beschreibungen, die sich oft nur auf soziologische Daten reduzieren, die verhallten und keine Spur hinterlassenden Stimmen und Kommentare der beteiligten Arbeiter:innen, die dem Ganzen mehr Plastizität gegeben hätten.

Wir erfahren auch wenig darüber, was es für die arbeitende Klasse in diesen 15 Jahren hieß, unter dem Kapital zu schuften. Die groben Hauptlinien der polit-ökonomischen Entwicklungen – wir denken an die Einführung des Fließbandes in der Automobilindustrie bzw. die Rationalisierungsbewegung, die gewaltige Zunahme der Angestellten, die fortgeschrittenen Konzentrations- und Kartellierungsprozesse in der Industrie, das Fortbestehen des wilhelminischen Justizapparates – bleiben im Dunkel. Wie und ob die Syndikalist:innen diese sahen und behandelten, beantwortet das Buch nicht und bleibt somit eher in einer Binnenperspektive. Das war nicht Gegenstand der Untersuchung, wäre aber für die Urteilsbildung brauchbar gewesen.

In ihrem Schlusswort beurteilt Ehms den Syndikalismus als eine dem Kapitalismus unseres Jahrhunderts angemessene Kampfform der arbeitenden Klasse, die ihre Interessen wieder zunehmend in nicht-normierten Konflikten verfechten würde. Der Rezensent hält es, was Deutschland betrifft, für verfrüht ein festes Urteil zu fällen – sieht aber auch keine andere Strömung, die dem Syndikalismus voraus wäre. Dieser ist bestimmt kein fertiges Rezept – das zeigt auch die Untersuchung – und wird sich einer Reihe von Verwandlungen unterziehen müssen, wenn aus ihm ein scharfes Schwert im Streit mit Kapital und Staat werden soll.

Wer mit dem Standardwerk über den Linksradikalismus der Weimarer Jahre von Hans Manfred Bock unzufrieden ist, einen Überblick über den aktuellen Stand der Syndikalismus-Forschung sucht und die eigenen Kenntnisse vertiefen möchte, greife zu dem Buch von Jule Ehms.

 

Das Buch erschien kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot.

Titelbild: ‘Der Streik’ (1886) von Robert Koehler, Quelle: Wikimedia Commons

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