Buchrezension: Tausend strahlende Sonnen

Der Roman „Tausend strahlende Sonnen“ erzählt die Geschichte zweier Frauen in Afghanistan zwischen 1970 und Mitte der 00er Jahre. Dieses Buch tut verdammt weh, es schmerzt durch seine Authentizität, durch die Alltäglichkeit des Schicksals seiner Protagonistinnen – und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der feministischen Gegenwartsaufgaben.

Der Autor Khaled Hosseini erzählt mit viel Empathie und einem guten Auge für die inneren Widersprüche und Details eine Geschichte patriarchal-religiöser Gewalt und Ohnmacht. Er erzählt von Frauen, die nie eine Chance auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben haben sollten. Es ist eine Geschichte vom Versuch zu Überleben, sich als Mensch zu erhalten, in einer Umwelt in der mensch eigentlich nur verzweifeln kann.

Das Bedrückende daran ist, dass es eben eigentlich nicht um ganz besondere Schicksale geht. Zwar sind die einzelnen Windungen, Schicksalsschläge und Verknüpfungen für sich genommen natürlich individuell, trotzdem könnten diese Geschichten in tausenden ähnlichen Varianten für zig tausende Frauen erzählt werden, nicht nur in Afghanistan, sondern ebenso – mit geänderten Rahmenbedingungen – im Iran, in Syrien, im Jemen, in Pakistan und in vielen anderen Ländern der Erde.

Hosseini führt die Leser_innen ganz nebenbei und mit nüchternem Blick auch durch die verschiedenen Phasen der jüngeren afghanischen Geschichte, schildert aus der Sicht einfacher Frauen die Herrschaft der Sowjet-Union, der Mudschahidin und der Taliban.

„Tausend strahlende Sonnen“ ist ein Buch, das einem westlichen Publikum leicht nahebringen kann, warum sich 3000 km weiter westlich minderjährige Frauen in Irak, Syrien und der Türkei den Frauen-Verteidigungseinheiten der kommunalistischen Revolution anschließen wollen. Es führt solidarischen Männern, aber auch den relativ privilegierten Frauen der „westlichen“ Linken, noch einmal plastisch vor Augen, wie notwendig eine internationalistische, revolutionäre Perspektive auf den Feminismus ist. Es zeigt hoffentlich ebenso, dass die unermessliche Gewalt gegen Frauen – oft genug gestützt durch deutsche Ausbildungseinsätze und Waffenlieferungen für patriarchale Regime – weder als ein Nebenwiderspruch behandelt, noch in der Debatte um den hiesigen Feminismus vergessen werden kann.

Sich als Feministen verstehende Männer in Deutschland denken und handeln oft so, als wären die Grundlagen für ein unbefangenes, gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Mann und Frau[1]Generelle Anmerkung: In diesem Artikel geht es bewusst um das heterosexuelle Verhältnis von cis-Frauen und Männern. (cis ist ein Adjektiv, das hier im Sinne von „mit dem Geschlecht übereinstimmen, dass qua Geburt zugewiesen wurde“ verwendet wird) Perspektiven anderer Sexualitäten und Geschlechter wurden bewusst ausgeklammert und nicht einfach vergessen. Im Buch werden diese einerseits nicht thematisiert, andererseits sind die gesellschaftlichen Verhältnisse die beschrieben werden – vor allem für Frauen – von einer solchen totalitären Fremdbestimmung gekennzeichnet, dass sich die Frage nach individueller Selbstverortung für die Protagonist_innen des Buches traurigerweise kaum stellt. Gleichzeitig ist dem Autor völlig klar, dass die Lebensrealität von Menschen die sich nicht in eine heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit einfügen, oft noch um ein vielfaches gewaltsamer und tödlicher ist. Auch diese Perspektiven müssen in globalen, feministischen Kämpfen selbstverständlich thematisiert und mitgedacht werden. bereits geschaffen. Dieses Buch zeigt plastisch – und es würden sich auch leicht Geschichten aus Deutschland finden, die das unterstreichen – dass Männer immer noch in der gesellschaftlichen Position sind, das Leben einer Frau nachhaltig zu zerstören, dass Frauen immer noch gut daran tun, misstrauisch und wachsam auf Männer zu zugehen. Auf der anderen Seite ist der deutsche Feminismus oft erstaunlich fixiert auf die eigenen, ihn prägenden Umstände, auf eine akademische, weiße Perspektive. Die tatkräftige Unterstützung für die revolutionär-feministischen Bewegungen außerhalb Europas wie für die migrantischen, nicht-akademisch geprägten und proletarischen Schwestern fällt oft ernüchternd gering aus.

„Tausend strahlende Sonnen“ führt in Frauen-Realitäten ein, in denen Frausein ein einziges Gefängnis darstellt, die ganze Gesellschaft sich als Gefängniswärter_innen betätigt, in der Flucht unmöglich erscheint und schnell das Leben kostet. Geprägt von Religion, Tradition und patriarchalem Privileg lauert der Feind im Vater, Bruder, Mann und eben auch potentiell im eigenen Sohn, den mensch unter Hingabe und Selbstaufopferung groß zieht. Diese Perspektive ist vermutlich leider immernoch – global betrachtet – die Mehrheitsperspektive von Frauen und spielt dafür in deutschen Diskussionen nur sehr schlagwortartig eine Rolle.

Hosseinis Buch sollte insbesondere Männer aufrütteln, fordert sie auf den Blick für Frauen-Perspektiven zu schärfen, Empathie zu entwickeln und auch bzw. gerade aus der privilegierten Position heraus alles dafür zu tun, dass dieses Unrecht ein Ende findet. Nicht nur um ihrer Mütter, Schwestern, Töchter und Partnerinnen willen, sondern auch um ihrer selbst und ihrer Liebe willen, weil echte Liebe nur unter Respekt gedeihen kann.

Titelbild: Pixabay

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