Lieferdienst Flink feuert gewerkschaftlich organisierten Fahrer. Erfahrungen, Hintergründe, Solidarität

Letzten Freitag organisierten Mitglieder der FAU Dresden eine Kundgebung in der Nähe des Flink-Lagers auf der Prager Straße. Es ist DIE Einkaufsmeile in der Dresdner Innenstadt. Direkt vor der Flink-Filiale war alles mit Transportern zugeparkt: Der Weihnachtsmarkt-Aufbau lief schon auf Hochtouren. Aber auch ein paar Meter weiter – und trotz des plötzlichen Schneefalls – war die Kundgebung ein voller Erfolg.

In Redebeiträgen schilderten verschiedene Rider:innen – wie die Fahrer:innen meist genannt werden – ihre Erfahrungen bei Flink. Thematisiert wurden Arbeitsschutzmängel, Zeitdruck, Intransparenz, Unregelmäßigkeiten bei Zahlungen und Schichtplänen und schließlich unrechtmäßige Kündigungen. Rider:innen von der FAU Hannover hatten ein Grußwort geschickt. Auch Fahrer:innen verschiedener anderer Liefer- und Kurierdienste zeigten vor Ort ihre Solidarität. Sie kamen aus Dresden, aber auch von anderswo: So sprach u. a. ein Mitglied des Lieferando Workers Collective aus Berlin, einer Vereinigung von Lieferando-Beschäftigten.

Wir verteilten Flugblätter (siehe Bilder) und konnten dabei viele Einzelgespräche mit Kund:innen und Passant:innen führen. Nicht selten kamen Lieferfahrer:innen zufällig vorbei und blieben nur kurz da, weil sie gerade bei der Arbeit waren. Manche haben vor, am kommenden Freitag mit zum Gericht zu kommen.

Erfreulich war auch das Medien-Interesse – so lud „MDR Sachsen- Das Sachsenradio“ durch die Nachrichten alle halbe Stunde zur Kundgebung ein. Ob Flink weiter so schlechte Presse zu erwarten hat, hängt davon ab, wie sich das Unternehmen nun verhält.

 

Flink fires faster than you can ride

Das erst 2020 gegründete Unternehmen ist aktuell der größte Drittanbieter-Lieferservice in Europa. Das Prinzip: Fahrradkurier:innen liefern, laut Werbung binnen 10 Minuten, Artikel des täglichen Gebrauchs direkt an Verbraucher:innen. “Wie einkaufen, nur einfacher”.

Auch in Dresden gibt es 3 Filialen bzw. Lager von Flink, genannt “Hubs”. Wir hören immer wieder von massiven Verletzungen der Arbeiter:innen-Rechte. Unser Mitglied Prince, der in Dresden Ingenieur- und Wasserwissenschaften studiert, begann seine Arbeit bei Flink im Juni 2021 als Werkstudent. Schon von Beginn an gab es Unregelmäßigkeiten bei den Lohnzahlungen, es wurde oft nicht vollständig gezahlt und musste nachgefordert werden. Zu seinen Lohnabrechnungen bekam der Kollege trotz mehrfacher Nachfrage bei Vorgesetzten keinen Zugang, was die Überprüfung der Lohnzahlungen zusätzlich erschwerte. Im Jahr 2021 bekam Prince keinen Urlaub, ein Teil wurde ihm erst im Frühjahr 2022 gewährt. Mit den digitalen Arbeitszeiterfassungsdiensten gab es auch immer wieder Probleme, manchmal waren sie einfach nicht erreichbar, manchmal blockiert, sodass der Kollege seine zugeteilten Schichten nicht einsehen und damit defacto keinen Zugang zu seinem Arbeitsplatz hatte. Auf Nachfragen reagierten die Vorgesetzten langsam und oft nur phrasenhaft. “I will take care of it!” und dann Stille. Wer gerade überhaupt “Vorgesetzte:r” war, wechselte oft und war intransparent.

“Along with working conditions and regulations changing from day to day it got increasingly difficult to get any direct communication with the responsible people like bosses or regional management.“ (Zitat Prince)

Im September verletzte sich unser Mitglied bei einem Arbeitsunfall und erhielt kurz darauf die fristlose Kündigung.

“One day a particular incident occurred to me when working with Flink: I had supposedly been fired and was taken out of their system without even knowing it. I had to go through a lot of stress and uncertainty not knowing what was going on before they finally sent me a formal termination letter.“ (Zitat Prince)

Daraufhin reichten wir zusammen Kündigungsschutzklage gegen Flink beim Dresdner Arbeitsgericht ein. Die fristlose Kündigung unseres gut eingearbeiteten und längst entfristeten Kollegen war nicht nur illegal, sondern auch menschlich respektlos. Anstatt Gründe zu nennen, hat das Unternehmen den Kontakt nach dem Arbeitsunfall einfach abgebrochen und sich nicht einmal mehr nach seinem Wohlergehen erkundigt. Wir fordern jetzt vor Gericht zumindest eine angemessene Abfindung und die Aushändigung aller Lohnabrechnungen, die dem Kollegen nie zugänglich gemacht wurden. Darüber hinaus erwarten wir die Begleichung offener Urlaubsansprüche und ggf. offener Lohnzahlungen sowie ein ordentliches Arbeitszeugnis. Unser Mitglied und wir verteten uns vor Gericht selbst, ohne Anwält:in.

Wie arbeiten, nur beschissener

Bei uns organisierte Dresdner Flink-Rider:innen haben es mit so vielen Missständen zu tun, dass sie weder in ein Gerichtsverfahren, noch in einen übersichtlichen Text passen:

“Als Fahrer:innen bei Flink haben wir uns an den ganz normalen Wahnsinn gewöhnt. Mit viel zu schweren Rucksäcken müssen wir auch bei Dauerregen und Sturm ohne angemessene Arbeitskleidung ausfahren, ganz nach dem Motto ‘Ausliefern first, Arbeitsschutz second.” (Zitat Anonym)

“Am Anfang war die Arbeit bei Flink eigentlich ganz ok, wir durften viele übriggebliebene Lebensmittel mitnehmen und hatten eine gute Zeit zusammen. Dann kam plötzlich der Schock: Lohnzahlungen blieben aus, die vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden wurden nicht mehr eingehalten und massenhaft Kolleg:innen wurden von einem Tag auf den anderen gekündigt. Seitdem häufen sich die Ungereimtheiten.” (Zitat Anonym)

Der Arbeitsschutz ist unzureichend, u. a. bei Extremwetter. Das Gewicht der zu schweren Rucksäcke wird standardmäßig nicht kontrolliert. Verfügbarkeiten werden bei der Vergabe von Schichten oft nicht beachtet. Der Pausenraum ist eine Abstellkammer mit unhygienischer Einrichtung. Kündigungen fanden in der Vergangenheit teilweise komplett formlos und ohne Frist statt.

„With the first big wave of firing we got nervous – who would be next if our friends had just been dismissed from one day to another? Our colleagues were not terminated in any proper or respectful way, actually they only realized when they could not log into the system anymore. In general the rapid changes of digital tools, apps and contacts were confusing – often difficult to access payrolls.“ (Zitat Prince)

Wie häufig in der Gig-Economy, wird das Betriebsrisiko auf die Mitarbeiter*innen ausgelagert: Wenn es nicht genug Bestellungen gibt, hast du eben weniger Stunden und weniger Geld. Vertraglich vereinbarte Stundenzahlen werden nicht eingehalten, so dass hier ein Lohnklau in riesigem Ausmaß stattfindet. Menschen, die auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen sind, bekommen plötzlich nur noch ein Bruchteil ihres Gehalts ausgezahlt oder werden komplett formlos rausgeschmissen.

„Not only did they suddenly stop giving us enough shifts for us to make a living from it, the amount and the weight of the orders that we had to carry on our backs also exploded. […] We started to fix the much too heavy bags in front of our bikes in addition to the backpacks and had to ride this way in heavy storm and rain. Sometimes our smartphones got wet, my phone was damaged and I didn’t receive any compensation because I could not prove the cause instantly on the spot.“ (Zitat Prince)

(wo Flink ist, ist es trostlos…)

Rassismus, kapitalistisch genutzt

Insgesamt zieht Flink Nutzen aus dem Rassismus unserer Gesellschaft: Das Unternehmen beschäftigt viele Migrant:innen und nutzt deren Abhängigkeiten und spezifische Verletzlichkeiten aus. Oft kennen sie das deutsche Arbeitsrecht nicht, Sprachbarrieren spielen eine Rolle. E-Mails kommen gerne mal auf englisch, aber aushangpflichtige Gesetze gibt es nur auf deutsch.

“Ich habe schon häufig erlebt, wie Flink immer wieder darauf setzt, dass wir unsere Rechte nicht kennen. Aushangspflichtige Gesetze wurden nur auf Deutsch ausgehangen, bei Beschwerden sind Zuständigkeiten häufig unklar oder der Support ‘antwortet’ nach zwei Wochen mit nichtssagenden Phrasen. Jeden Monat muss ich meine Gehaltsabrechnung neu überprüfen und selbstständig korrigieren.” (Zitat Anonym)

Es scheint, als versuche Flink es immer erst einmal dreist bzw. illegal – es könnte ja klappen. Leider kommt das Unternehmen auch oft damit durch, denn viele Kolleg:innen haben Angst, etwas zu sagen. Bei vielen geht es nicht nur finanziell um die Existenz: Oft hängt der Aufenthaltstitel in Deutschland an dem Job. Auch den Kolleg:innen zuliebe entschied sich unser Mitglied, dass wir vor Gericht ziehen.

„After going through this experience with Flink I realized that a lot of foreign riders in delivery companies are dealing with similar situations. In my opinion there should definitely be proper protection, legal support and monitoring of the working conditions in such precarious jobs.“ (Zitat Prince)

Ein Beispiel vor Gericht

Die Arbeitsbedingungen der Rider:innen bei Flink stehen beispielhaft für das prekäre Arbeiten in der schönen neuen digitalen Welt der Startups. Bei unserem Gerichtsverfahren geht es leider nicht um die großen Verbesserungen für alle Arbeitenden, es geht erstmal “nur” um die Einhaltung bestehender arbeitsrechtlicher Standards: Chef:innen können nicht einfach machen, was sie wollen. Arbeitsstunden müssen bezahlt werden, Urlaub steht uns auch als Werkstudent:innen und im Minijob zu, für fristlose Kündigungen müssen klare Kriterien erfüllt sein, und so weiter.

Wir sehen unser Vorgehen gegen diese spezifische Kündigung in einem breiteren Kontext: Wir klagen hier nur für eine Person, aber wir wollen auch alle Rider*innen unterstützen, die solchen miesen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Flink ist dabei nur ein Beispiel für viele ähnliche Unternehmen, deren Geschäftsmodell nur funktioniert, solange die Arbeiter:innen sich nicht wehren. Das allerdings ändert sich zunehmend – und das, obwohl gewerkschaftliche Organisierung unter den vorhandenen Bedingungen sehr schwierig ist. Im letzten Jahr brachten Fahrer:innen mit wilden Streiks das Liefer-Unternehmen “Gorillas” ins Schwitzen und in die Schlagzeilen. Unternehmen wie auch Lieferando versuchen verzweifelt, die Gründung von Betriebsräten zu unterbinden und gewerkschaftliche Organisierung zu zerschlagen.

Der von uns hier eingeschlagene gerichtliche Weg ist eine Strategie, die mageren Rechte einzufordern, die die Arbeiter:innenbewegungen in der Geschichte erkämpft hat. Das lassen wir uns nicht einfach nehmen. Viel wichtiger aber ist es, dass wir uns selbst organisieren, in unseren Betrieben sowie über Betriebe und Branchen hinweg. Dass wir uns miteinander die Angst vor dem Neinsagen nehmen, indem wir uns gegenseitig unterstützen. Denn gemeinsam können wir uns über unsere Rechte informieren, sie tagtäglich einfordern, uns in finanziellen und persönlichen Krisen auffangen. So müssen wir uns nicht mehr alles von der Chefin oder dem Sachbearbeiter gefallen lassen. Denn wir begnügen uns nicht mit einzelnen Gerichtsverfahren, sondern proben eine solidarische, selbstverwaltete Welt, in der es keinen Platz für Ausbeutung und Herrschaft gibt.

„Sind Sie von den Fahrer:innen oder von der Gewerkschaft?“

Wir sind ja eine Gewerkschaft, in der sich Lohnabhängige (Arbeitende, HartzIV-Empfänger:innen, Schüler:innen, Azubis, Studierende, Rentner:innen …) selbst organisieren. Chef:innen und Polizei bleiben draußen. Wir kommen aus unterschiedlichen Branchen und Hintergründen und unterstützen uns gegenseitig im Alltag. Niemand wird bei uns für Gewerkschaftsarbeit bezahlt.

Um die Gegenseitigkeit zu verdeutlichen, hier ein paar zusammengewürfelte Beispiele aus unserer Gewerkschaftsarbeit: Ein Hartz-4-Empfänger berät die Erzieherin, die gerade entlassen wurde, auf welche Tricks des Jobcenters sie aufpassen muss. Selbstständige Kulturarbeiter:innen tauschen sich darüber aus, was Kranksein für sie bedeutet. Schüler:innen streiken gegen sexistische Unterrichtsinhalte und arbeiten mit feministischen Arbeiter:innen zusammen. Es gibt eine Liste mit trans-freundlichen Ärzt:innen. Die Vollversammlung stimmt dafür, das Fahrkartenbußgeld von Kolleg:in X vom gemeinsam eingezahlten und verwalteten Gewerkschaftsgeld zu bezahlen, damit xier nicht Gefahr läuft, aus Armut in den Knast zu kommen. Wir fragen FAU Syndikate in anderen Städten, ob es unter ihnen auch organisierte Rider:innen gibt, vielleicht sogar bei Flink und welche Erfahrungen sie gemacht haben – diese melden sich, schicken uns Tipps und Grußwörter.

Uns als Gewerkschaft ist es wichtig, dass Menschen für sich selbst sprechen und über die Dinge entscheiden, die sie selbst betreffen. Es kann allerdings in manchen Situationen hilfreich sein, anonym bleiben zu können und andere für sich sprechen zu lassen.
Medienvertreter:innen sind da häufig irritiert. „Sind Sie von den Fahrer:innen oder von der Gewerkschaft?“ wurde nun des Öfteren gefragt. Es ist eine unsinnige Frage, wenn doch die Fahrer:innen in der Gewerkschaft sind – und wenn diese sowohl für sich sprechen als auch für die Gewerkschaft, die sie ja selbst gestalten. Dass Gewerkschaften und Arbeiter:innen so getrennt gedacht werden, ist schade, jedoch ist es angesichts dessen, wie andere Gewerkschaften agieren, nicht verwunderlich. Bei uns läuft das jedenfalls anders.

Wer die Güteverhandlung am Arbeitsgericht Dresden solidarisch begleiten möchte, ist am Freitag, den 25.11.22 ab 13 Uhr herzlich eingeladen in die Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden.

Die Liefer-Start-Ups haben ihre Rechnung ohne die Fahrer*innen gemacht, die sich immer besser vernetzen und auch gewerkschaftlich organisieren. Wir sind diesen Zuständen alles andere als hilflos ausgeliefert.

Mehr und aktuelle Infos:

Hier teilen unser gefeuerter Kollege Prince und Andere ihre Flink-Erfahrungen:

Arbeiten beim Lieferdienst Flink: Fahrer:innen berichten (04.11.22), im englischen Original: Working at Flink delivery service: Riders‘ experiences

Wie arbeiten, nur beschissener. Klage gegen Lieferdienst “Flink” nach fristloser Kündigung (06.11.22), EN: Like working, only shittier. Lawsuit against delivery service “Flink” after termination without notice

Pressemitteilung: „Lieferdienst Flink feuert Fahrer nach Arbeitsunfall – der klagt jetzt mit seiner Gewerkschaft“ (14.11.22)

Website: https://dd.fau.org
twitter: http://twitter.com/fau_dresden
facebook: http://de.facebook.com/allgemeines.dresden

 

Fotos: FAU Dresden

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