Nachruf auf unseren Genossen Koitscho Koitschew

Außerdem entwickelte er sich zu dieser Zeit wie viele bulgarische Genoss*innen seiner Generation zu einem leidenschaftlichen Esperantisten. 1942 machte er sein Abitur. Während des 2. Weltkriegs brachte er sich in den antifaschistischen Widerstand ein und wurde kurzzeitig in die monarchofaschistische Armee zwangsrekrutiert. Unmittelbar nach dem Krieg konnten die Anarchosyndikalist*innen noch legal arbeiten und hatten ihre eigene Zeitung. In dieser Zeit war Koitscho besonders aktiv. 1947 schrieb er sich als Medizinstudent an der Universität von Sofia ein.

In den Jahren darauf ereilte ihn das gleiche Schicksal wie viele andere Libertäre in dem Balkanland: Nach der Machtübernahme der Bulgarischen Kommunistischen Partei wurde er verfolgt und kam 1951/1952 für 13 Monate in das berüchtigte „Arbeits-Erziehungslager“, d.h. stalinistische Konzentrationslager auf der Donauinsel Persin bei Belene. Dort überlebte er nur dank seiner robusten Verfassung – Koitscho war groß und stark. Nach seiner Entlassung wurde er von der Sofioter Universität zwangsexmatrikultiert und musste sich anschließend in verschiedenen Betrieben als Hilfsarbeiter durchschlagen, u.a. auf dem Bau und als Maler. Erst 1965 durfte er sich wieder einschreiben und so 1969 seinen Abschluss in Medizin machen.

1968 heiratete er eine DDR-Bürgerin und wanderte kurz darauf in die DDR aus. Dort schloss er seine zweite Facharztausbildung ab und arbeitete fortan als allgemein praktizierender Arzt an diversen Orten im Bezirk Dresden. In den 1970er und 80er Jahren kommunizierte Koitscho nach Kräften mit Genoss*innen in Bulgarien und anderen Ländern, auch mit herausragenden Vertreter*innen der anarchosyndikalistischen Bewegung wie Augustin Souchy. Diese Korrespondenz brachte ihm eine Stasi-Akte von etwa 1.400 Seiten und mindestens einen Operativen Vorgang (OV) namens „Balkan“ ein. Bespitzelt wurde er nicht zuletzt von seiner ersten deutschen Ehefrau.

Als „rüstiger Rentner“ im besten Sinne war Koitscho nach dem Systemwechsel in der DDR auf vielen FAU-Treffen zugegen und begleitete den Aufbau unserer Strukturen in den sog. neuen Bundesländern mit Interesse, wobei sein Schwerpunkt eindeutig auf dem Bereich der Theorie lag. Zudem übersetzte Koitscho viel Material aus dem Bulgarischen ins Deutsche und umgekehrt. Er war Schlüsselfigur für die Kontakte der FAU – und der IAA – nach Bulgarien, die 1996 in der Wiederaufnahme der Bulgarischen Konföderation der Arbeit (BKT) als offizielle IAA-Sektion gipfelte. Für ihn war es eine besondere Freude, dies nach seinem großen persönlichen Einsatz auf dem IAA-Kongress 1996 miterleben zu dürfen.

Erwähnt sei auch Koitschos Begeisterung für Poesie, die er sowohl selber schrieb (kristallklar, romantisch und meist mit einem Hauch von Heine) als auch mit Leidenschaft übersetzte. An diesem Faible ließ er uns durch das Rezitieren klassischer deutscher Dichtkunst gerne teilhaben. Diese spontanen Gedichtvorträge werden uns ebenso unvergessen bleiben wie seine humorvollen Anekdoten aus seiner Jugendzeit, als er und andere Anarchisten die jungen Damen in Bulgarien zu beeindrucken wussten.

Trotz dieser langen Geschichte an Verfolgung und Widrigkeiten, trotz der dauerhaften Überwachung, erst durch die bulgarische Staatssicherheit, dann durch die Stasi der DDR, trotz der stalinistischen Lagerhaft, trotz Berufsverbots und anderer Schikanen und zuletzt trotz seines hohen Alters und verschiedener Gebrechen blieb Koitscho seinen Ideen treu und hielt bis zum Ende zur anarchosyndikalistischen Bewegung.

Das hat er auch der Unterstützung durch seine zweite deutsche Frau, Charlotte, zu verdanken. Sie selbst teilte zwar seine politischen Überzeugungen nicht, respektierte aber seine Aktivitäten und empfing und bewirtete Besuche von Genoss*innen in der gemeinsamen Wohnung. Das letzte Mal vor seinem Tod besuchten wir Koitscho und Charlotte Anfang Februar 2019. Bei dem Treffen erklärte Koitscho noch, dass er wild entschlossen sei, über 100 Jahre alt zu werden, rezitierte einige seiner bulgarischen Gedichte und setzte sich dafür ein, dass wir möglichst bald zwei Werke über die Verfolgung der bulgarischen Anarchosyndikalist*innen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg publizieren. Zwei Monate später informierte uns Charlotte von seinem Tod. Sie organisierte Mitte April eine Gedenkfeier in Dresden, die Überführung Koitschos nach Bulgarien und die Beisetzung am 18. April auf einem Friedhof in Weliko Tarnowo. Ihrem Engagement ist es außerdem zu verdanken, dass wir bei der Trauerfeier in Dresden einen Beitrag seitens der FAU einbringen konnten und dass wir nun diesen Nachruf in dieser Form veröffentlichen.

Wir, die wir Koitscho kannten und schätzten, werden seine Wärme, seinen Witz und seine Hingabe vermissen. Trotz einer gewissen Schrulligkeit in späteren Jahren, war er ein Geist, der Zeit und Raum überbrücken konnte. Als Internationalist*innen wissen wir, dass solche Perspektiven und Persönlichkeiten enorm wichtig sind!

Möge dir die Erde leicht sein, kara kamarado.

Will (Berlin), Mona und Thomas (Bonn), Konstantin (Jena), Thomas (Gransee)

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