Salz: die Würze, nicht die Suppe

Einleitung des Übersetzers:

„‚Salting’ bedeutet, dass man einen Job mit der Absicht annimmt, am Arbeitsplatz eine Organisierungskampagne zu starten oder zu unterstützen“. So definiert der:die IWW-Organizer:in MK Lees diese gewerkschaftliche Taktik im unten stehenden Artikel. Vermehrt kann man dieser Tage aus allen möglichen linken Strömungen über Salting lesen, oft unter dem Stichwort: ‚strategisch arbeiten gehen‘. In der Direkten Aktion allerdings gibt es wenig theoretische Reflexion, wie auch kaum ein Nachdenken über die eigene Salting-Praxis – welche Fehler wir machen, welche Erfolge wir haben, und was wir daraus lernen können.

MK Lees Analyse, die durch viele Organisierungskampagnen unterfüttert ist, erschien mir im Chor der Sozialist:innen, die sich heuer über Salting auslassen, wohltuend pragmatisch und den-Kopf-klärend radikaldemokratisch. Salting, so Lees, solle ein Werkzeug unter vielen in den Händen von selbstorganisierten Arbeiter:innen sein, und kein Ersatz – weder im Sinne einer ‚Führung‘ (gar durch sozialistisch erleuchtetes Bewusstsein, gähn!), die von Außen kommt, noch durch die Übernahme zentraler Aufgaben der Betriebsgruppenarbeit durch Salts. Im Gegenteil wird bei Lees klar, dass Salting erheblich mehr Probleme verursachen als lösen kann, wenn es uns wirklich um den Aufbau von Arbeiter:innenmacht im Betrieb geht – und nicht um die Selbstinszenierung von linken Laberbacken bzw. gleich nur den über Arbeitskämpfe vermittelten Aufbau ihrer politischen Organisatiönchen.

Weil mir der Text ‚Salting: the flavor, not the meal‘ zur rechten Zeit als Salt (ich kannte das Konzept vorher gar nicht) innerhalb einer FAU-Betriebsgruppe die Augen öffnete, hatte ich das Bedürfnis, ihn für die Direkte Aktion zu übersetzen. Vielleicht geht es ja auch noch anderen wild Entschlossenen ähnlich wie mir, die ebenso „mit großen Plänen (deren Details in der Regel ziemlich unscharf sind)“ in ‚heiße‘ Betriebe rein rennen?

Dieser Text soll eine fokussiertere Fortführung von informellen Diskussionen ermöglichen, sowie einen Bezugsrahmen für eine kritische Reflexion von Fauistas und anderen Syndikalist:innen über ihre eigene Salting-Praxis bilden. Reicht gerne Texte zu euren Erfahrungen und daraus folgenden Überlegungen bei der Redaktion ein!

 

Salz: die Würze, nicht die Suppe

MK Lees (Juni 2020)

Kürzlich gab es Aufrufe[1]https://regenerationmag.org/join-the-struggle-at-amazon/?fbclid=IwAR0iFL7s4LcW6IZij85oAjvBKcOyq68y-GsOaQweGb35q4wZj-h88ZZcssA an „arbeitslose Jungsozialist:innen“, Jobs bei Amazon[2]https://www.jacobinmag.com/2020/04/amazon-worker-organizing-salting-union-coronavirus anzunehmen, da das Unternehmen einen ökonomischen Ort von strategischer Bedeutung darstelle. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich sofort in meinen persönlichen Albtraum von einer Schar eingebildeter junger Linker ohne Organisationserfahrung versetzt fühlte, die sich am Arbeitsplatz lächerlich machen und große politische Reden führen, bis sie schließlich alle gefeuert werden oder von selbst kündigen. Aber vielleicht ist das nicht fair von mir. Die Idee, den großen Energieschub der Democratic Socialist of America[3]Anm. des Übersetzers: Zur Eigenauskunft der sozialistischen Partei: https://www.dsausa.org/
Interessant ist noch anzumerken, dass auch auf den Veranstaltungen von labor notes, welche von vielen Fauistas gefeiert werden, die DSA sehr präsent sind. Daher stellt sich die Frage, welchen politischen Zweck bestimmte Formen des Organizing eigentlich verfolgen. Eine syndikalistische Kritik genau dieses Aspekts, auch im Hinblick auf Jane McAleveys deep organizing, findet sich auf Seiten der IWW. Zu labor notes: „Die Hinwendung zur Industrie in den 1970er Jahren [in den USA] brachte Gewerkschaftsorganisationen hervor, die die Militanz der Arbeiter:innen und die Gewerkschaftsdemokratie förderten, wie z.B. Labor Notes, ein Nachrichten- und Analysemedium und ein Netzwerk von Basisgewerkschaftern, das unter den heutigen Gewerkschaftsradikalen sehr einflussreich ist.“ (Mie Inouye)
von einem oberflächlichen Wahlkampf[4]https://organizing.work/2020/01/making-asses-of-ourselves/ hin zu strategischer Organisation am Arbeitsplatz zu lenken, ist sicherlich grundsätzlich eine begrüßenswerte Entwicklung. Und ein geeinter Block von Amazon-Arbeiter:innen, die bereit sind, direkte Aktionen durchzuführen, wäre durchaus eine große Sache!

Aber dieser Ruf zu den Waffen, mit welchem linke Undercover-Agent:innen in bestimmte Arbeitsplätze eingeschleust werden sollen, hat mich dazu gebracht, über meine eigenen Erfahrungen mit „Salting“ nachzudenken. Ich habe in meinen frühen 20ern in einer kleinen Fabrik und zweimal für eine Kampagne in der Kurierbranche „gesalzt“. Ich habe auch Salts geholfen, Jobs zu bekommen, sie also für Kampagnen angeworben, welche ich von außen unterstützt habe. Meine Organisation, die IWW, setzt Salting häufig als Taktik ein, um eine Organisierungskampagne in Gang zu bringen oder zu unterstützen. Gewerkschaften setzen Salts auf unterschiedliche Weise ein, aber was mich besonders interessiert, ist die Idee, dass Linke „strategische“ Jobs mit großen Plänen annehmen (deren Details in der Regel ziemlich unscharf sind) und sich selbst im Zentrum dieser Pläne sehen.

Die Taktik des Salting ist in der Arbeiter:innenbewegung weit verbreitet, aber es gibt nicht viel Schriftliches über diese Praxis und die Art und Weise, in der sie nützlich und auch nicht nützlich ist. In einer Gewerkschaft wie den IWW betonen wir die Selbstorganisation der Arbeiter:innen – und verlassen uns fast ausschließlich auf sie – im Gegensatz zu professionellem Gewerkschaftspersonal, deren Gehälter von den Mitgliedsbeiträgen bezahlt werden.[5]Anm. des Übersetzers: Siehe hierzu die dreiteilige labor history von Robin J. Cartwright zur Frage der frühen US-Gewerkschaften und bezahltem Personal und Funktionär:innen: https://organizing.work/2021/06/unions-before-union-bureaucracy-paid-officers-and-staff-in-american-labor-unions-1799-1878/ Das bedeutet oft, dass wir Salting strategisch einsetzen, um den:die Chef:in die Löhne der Organizer:innen zahlen zu lassen. Salting kann sehr unterschiedlich aussehen, je nach den einzelnen Salts und deren Erfahrung, Ausbildung und Fähigkeiten. Bei allem Wert, den es haben kann, birgt Salting aber auch einige ernste Gefahren, über die weit weniger oft gesprochen wird.

Wenn wir ein gewerkschaftliches Organisierungsmodell kritisieren, das sich auf bezahltes Personal („staff“) verlässt, dann deshalb, weil dieses ein Ersatz für die Eigenaktivität der Beschäftigten werden kann. Es führt zu einer Spaltung, bei der Gewerkschaftsprofis die breitere Organisierungsstrategie entwerfen, während die Beschäftigten auf kleinere Rollen beschränkt werden. Als ich zum ersten Mal versuchte, meine Arbeit in einem Computerlabor der Universität zu organisieren, sagte ein SEIU[6]Anm. des Übersetzers: Service Employees International Union-Mitarbeiter mir und meinem Komitee [7]Anm. des Übersetzers: „Shop comittee“ ist die gängige Bezeichnung in der englischsprachigen IWW für das, was wir wohl „Betriebsgruppe“ nennen würden. Über die organisatorischen Unterschiede, gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, sowie im Hinblick auf unterschiedliche strategische Umgänge mit der Betriebsorganisierung an sich, soll nicht durch eine vereinnahmende, direkte Übersetzung hinweggegangen werden. herablassend, wir sollten uns keine Sorgen machen. Das Gewerkschaftspersonal würde uns alles vorbeten, was wir zu tun hätten. Es würde wahrscheinlich erstmal verwirrend für uns sein, aber irgendwann einen Sinn ergeben. Wir seien die Soldaten, sie die Generäle.

Das wirft die Frage auf: wenn ein:e IWW-Organizer:in oder ein:e Sozialist:in einen Job als Salt annimmt, aber die Rolle des:der Strateg:in und Organisator:in monopolisiert – ohne ein Komitee aufzubauen und die Führungsqualitäten seiner:ihrer, zumindest auf Bewusstseinsebene, „nicht-radikalen“ Kolleg:innen zu entwickeln – worin besteht dann der qualitative Unterschied zwischen einer vom Personal gesteuerten Gewerkschaft und dem Salting-Modell? Noch heimtückischer ist es, wenn eine Vielzahl von Salts beginnt, ein Komitee vollständig zu ersetzen.

Jimmy John’s, Chicago Lake Liquors und die „angepissten Filmvorführer:innen“

Als Beispiel möchte ich auf die Kampagne der IWW für die Jimmy John’s Workers Union (JJWU) von 2009 bis 2012 zurückblicken. Die Bemühungen um die Organisierung der Jimmy John’s-Filialen in den Twin Cities waren ein anspruchsvoller Schritt für die IWW im Allgemeinen und den schnell wachsenden örtlichen Organisationszweig im Besonderen. Aus dieser Kampagne kann man eine Menge lernen, aber ich möchte mich auf die Rolle der Salts konzentrieren. Die stark verkürzte Geschichte dieser Kampagne besteht darin, dass IWW-Mitglieder seit vielen Jahren bei Jimmy Johns organisiert gewesen waren, und zwar bereits seit 2005. Aber die Kampagne begann erst um 2010 herum wirklich an Fahrt aufzunehmen, als sich die Organisierung von einer Filiale auf einige andere ausweitete und die IWW anfing, mehr Organizer:innen zu gewinnen und so die Kampagne zu verbreitern. Arbeiter:innen beteiligten sich an mehreren direkten Aktionen/solidarity union-Kämpfen rund um Schichtplanung, übergriffige Manager:innen und andere Beschwerden. Die Kampagne verfügte an den meisten Standorten im Gebiet Minneapolis-St. Paul über noch recht junge Komitees.

In einem entscheidenden Moment der Kampagne beschlossen die Organizer:innen, eine NLRB-Wahl[8]Anm. des Übersetzers: National Labor Relations Board. Gewerkschaftswahlen werden in den USA abgehalten, um eine bestimmte Gewerkschaft als verhandlungsführende Partei gegenüber der Betriebsleitung zu legitimieren. zu beantragen. Sie führten eine offensive PR-Kampagne und mobilisierten die Beschäftigten in allen Filialen zur Wahl, verloren diese jedoch mit nur zwei Stimmen. Die Gewerkschaft legte Einspruch gegen das Ergebnis ein, und die NLRB erklärte die Wahl schließlich für ungültig, da das Unternehmen gegen das Gesetz verstoßen habe. Zu diesem Zeitpunkt war der Schaden jedoch bereits irreparabel. Während die Organizer:innen versuchten, ihre Strategie wieder auf solidarity unionism[9]Anm. des Übersetzers: Siehe: https://organizing.work/tag/solidarity-unionism/ umzustellen, tat die Unternehmensleitung das, was die meisten Chefs nach einer verlorenen Wahl tun: sie räumten auf. Nach einer Aktion zur Einforderung von Krankheitstagen wurden sechs wichtige JJWU-Organizer:innen entlassen, was zu einem berüchtigten[10]https://www.salon.com/2017/07/23/jimmy-johns-fired-workers-for-making-a-disloyal-meme-a-court-just-ruled-that-is-okay_partner/, mehrjährigen Kampf um ihre Wiedereinstellung führte. Diese „JJ6″-Kampagne wurde zum Aushängeschild und absorbierte die geringe Energie, die der Kampagne noch geblieben war, während die betriebliche Organisation auf der Stelle trat.

Drei der entlassenen Arbeiter:innen waren Salts. Ein weiterer war ein IWW-Aktivist, der die Kampagne gestartet hatte. Eine Lehre daraus ist, dass man wahrscheinlich in ziemlichen Schwierigkeiten steckt, wenn die Gewerkschaft fast ihre gesamte Energie darauf verwenden muss, die Arbeitsplätze der Beschäftigten zurückzubekommen. Wenn es sich bei diesen Arbeiter:innen um Salts handelt, ist das Problem noch gravierender. Denn das bedeutet, dass es der Gewerkschaft nicht gelungen ist, die Beteiligung, ausgehend von den ursprünglichen Aktivist:innen, bei den Kolleg:innen zu entwickeln, welche sie doch zu organisieren angetreten waren. Es ist ihnen also nicht gelungen, eine funktionierende Gewerkschaft aufzubauen.

Die Salts bei Jimmy Johns verdienen zwar Anerkennung dafür, dass sie aggressive 1:1-Gespräche geführt hatten, die Fähigkeiten der Kolleg:innen entwickelten und sie in Komitees einbanden. Aber sie übernahmen auch den Großteil der Verwaltungsarbeit und die lautstärksten Führungsrollen in der Auseinandersetzung mit dem Management oder bei Medienauftritten. In der Zwischenzeit waren die Prioritäten der Kampagne vom sozialpartnerschaftlichen Procedere („labor relations process“) diktiert worden, welche eine Verengung des eigenen Spielraums auf die Beteiligung an Gewerkschaftswahlen erforderte. Das war nötig, um diese auch tatsächlich gewinnen zu können. Dadurch wurden aber direkte Aktionen auf eine ungewisse Zukunft verschoben. Nach der Niederlage und den Entlassungen kam es zu einer vollständigen Polarisierung der Belegschaft. Die Gewerkschaft hatte keine ausreichend starke Struktur aufgebaut, um den aufkommenden Ängsten standzuhalten. Schon bald wandten sich die Unterstützer:innen ab. So blieben letztlich nur noch unsere Hardliner:innen und ein paar Aktivist:innen übrig, die nun mit einer Zielscheibe auf dem Rücken weiterarbeiteten.

Die Leiter:innen der Kampagne waren sehr medienkompetent, die Werbematerialien waren immer ansprechend und die Pressemitteilungen ebenso professionell wie häufig. Aber diese spezifische Kombination schafft die perfekten Bedingungen für eine Scheingewerkschaft: ein beeindruckendes Bild in der Öffentlichkeit, mit wenig bis gar keinen konkreten Erfolgen im Inneren, wenig bis gar keiner Entwicklung einer neuen Arbeiter:innenführung. Wenn sich die Salts an die Spitze einer Kampagne stellen, ist dies ein vorhersehbares Ergebnis.

Eine gleichzeitige Kampagne[11]https://libcom.org/blog/i-barely-survived-chicago-lake-liquors-wages-account-campaign-17092016 in einem Spirituosengeschäft in Minneapolis tappte in die gleiche Falle, litt aber unter einem noch größeren Ungleichgewicht zwischen Salts und Nicht-Salts innerhalb der Belegschaft. Während die JJWU zumindest in der Lage war, einige Kolleg:innen in die Komitees und Aktionen einzubinden, war die Gewerkschaft bei Chicago Lake Liquors eine weniger organisierte, unkonventionelle Operation, die zu fast 100% von Salts oder persönlichen Freund:innen von Gewerkschaftsaktivist:innen durchgeführt wurde. Es gab einen weiteren Kollegen, der zu einigen Treffen kam, und ein paar andere, die sie unterstützten, aber die Aktion blieb in den Händen der Salts.

Bevor sie zum Rest der Belegschaft durchdrangen, trafen sie sich gemeinsam, marschierten gemeinsam zum Chef und wurden prompt gemeinsam gefeuert. Daraufhin stürmte ein SolNet[12]Anm. des Übersetzers: Das Solidarische Netzwerk aus Seattle, USA, war für einige bundesdeutsche Zusammenschlüsse wegweisend: http://seasol.net/ Die von den IWW auf deutsch übersetzte Broschüre stieß bspw. in Hamburg, Frankfurt, Leipzig und anderen Städten ähnliche Solidarische Netzwerke an. Siehe bspw.: Nowak, Coers: Umkämpftes Wohnen.-ähnlicher Mob den Laden, um Streikposten aufzustellen und den Geschäftsbetrieb von außen zu stören, bis die Forderungen erfüllt wären. Die kämpferischen Unterstützer:innen von außen bildeten im Verhältnis zu dem kleinen Arbeitsplatz eine riesige Streikpostenkette. Letztendlich war die Strategie jedoch nicht durchzuhalten, die Kampagne scheiterte, die entlassenen Beschäftigten schlossen einen von der NLRB vermittelten Vergleich, und die übrigen Beschäftigten des Ladens wurden einigermaßen verschreckt, jemals wieder mit einer Gewerkschaft zu sprechen.

Wenn ich an diese beiden Kampagnen zurückdenke, fühle ich mich an eine noch ältere Kampagne zur Organisierung einiger Filmvorführer:innen in Boston erinnert. Nach einer „sehr ernsthaften politischen Debatte“ darüber, ob Gewerkschaften gut oder schlecht für die Revolution seien, stellten ein paar Anarchist:innen ihre anarchistischen Freund:innen ein, riefen dann die IATSE[13]Anm. des Übersetzers: International Alliance of Theatrical Stage Employees. an und begannen, auf ihre Anerkennung als Gewerkschaft zu drängen. Erstaunlicherweise stimmten diese Salts (die wiederum den exklusiven Organisationsclub bildeten) in diesem Fall einem Vergleich mit ihrem Chef zu, der vorsah, dass sie alle im Gegenzug für die Anerkennung der Gewerkschaft kündigen würden. Die freiwillige Selbstentlassung der Linken aus dem Betrieb diente als das entscheidende Verhandlungsmittel, um einen Vertrag zustande zu bringen – aber es gab dann keine betriebliche Organisation mehr, um ihn auch durchzusetzen.

Diese Geschichten haben eine Gemeinsamkeit: in ihnen geht es darum, dass Radikale im Rahmen einer Kampagne Jobs annehmen, dann die Führung der Kampagne übernehmen, dann diese Arbeitsplätze verlieren und die Kampagne schließlich im Sande verläuft. Und zwar ohne dass sie über die anfänglichen Führungskräfte hinaus neue Führungskräfte aus der Arbeiter:innenklasse entwickelt hätten. Wir erkennen also eine Strategie, die eher der Kolonisierung des Arbeitsplatzes ähnelt, als dazu dient, diesen zu organisieren. Das Nebenprodukt dieses Ansatzes ist die Entwicklung oder zumindest Förderung einer Subkultur[14]https://organizing.work/2018/10/build-a-committee-beyond-your-subculture/ von Aktivist:innen, die nicht aus deren Begrenzungen ausbrechen können, um Mehrheiten im Betrieb zu organisieren. Doch ohne Mehrheiten kann man keine Kontrolle über die Arbeitsbedingungen erlangen, was ja das ursprüngliche Ziel der ganzen Operationen gewesen war. Das ist die versteckte Gefahr, wenn man sich zu sehr auf Salts verlässt, die Fahne über einem Arbeitsplatz hisst und ruft: „Kommt alle her und bewerbt euch auf Jobs! Die Details klären wir später!“

Das Salz richtig dosieren

Die meisten Arbeiter:innen haben heute wenig bis gar keine Erfahrung mit formaler, kollektiver Arbeitsplatzorganisation, Entscheidungsfindung und organisierten Kämpfen gegen ihre Chef:innen. Wir, die wir versuchen, unsere eigenen Erfahrungen mit dem Organisieren von erfolgreichen Kampagnen mit anderen zu teilen – egal ob wir Berater:innen von außen oder Insider:innen sind – müssen unseren Erfolg daran messen, wie vielen nicht eingeweihten Arbeiter:innen wir helfen können, die Organisation in die eigenen Hände zu nehmen. Wir sollten unseren Erfolg nicht daran messen, wie viele militante Verbündete wir dazu bringen können, bestimmte Jobs anzunehmen und Scheiße zu bauen. Oder gar daran, wie viele bereits politisch bewusste Arbeiter:innen wir rekrutieren können. Die meisten Radikalen sagen, sie glauben, dass Arbeiter:innen die Welt regieren können und sollten. Aber wenn es um unsere eigene Organisierung geht, verhalten wir uns viel zu oft nicht dementsprechend. Unser Ziel ist es, dass Arbeiter:innen ihre eigene, dauerhafte Organisation aufbauen. Das erfordert Geduld, sowie das Bereitstellen der Möglichkeit, zu lernen und zu wachsen und dabei auch Fehler zu machen. Die Arbeiter:innen müssen die Teilnehmer:innen, Anführer:innen und Träger:innen einer Gewerkschaft sein. Die Strukturen müssen ihnen gehören.

Zugegeben, es gibt Orte und Zeiten für ein Strategie der Einwirkung von außen. Wenn wir uns ganz strikt darauf beschränken würden, nur unsere eigenen Arbeitsplätze zu organisieren, dann würden wir unsere Vielfalt opfern oder unsere Fähigkeit einschränken, einen strategischen Organisierungsplan aufzustellen. Salts sind ein Instrument, das uns helfen kann, unser Organizing gezielt und strategisch zu erweitern. Salting kann nützlich sein, wenn die Salts geschult und rechenschaftspflichtig sind. Wenn der ganze Plan aber darin besteht, dass sich diese Leute selbst als Held:innen in einem John-Steinbeck-Roman herbeifantasieren, werden wir uns auf sehr enttäuschende Weise die Suppe versalzen. Wenn wir Salts einsetzen, dann müssen wir uns über deren Zweck im Klaren sein. Ich möchte einige Vorschläge zur Klärung unserer Definition, sowie zur Anwendung bewährter Verfahren („best practices“) machen:

Wir sollten aufhören, es „Salting“ zu nennen, wenn du nur einen Job brauchst und nebenbei auch vorhast, dich auf Arbeit zu organisieren. Das macht dich nicht zu einem Salt. Das macht dich wahrscheinlich nur zu einem Wobbly. „Salting“ sollte als eine zeitlich begrenzte Aktion definiert werden, die einer Kampagne Auftrieb gibt. Damit unterscheiden sich Salts kategorisch von allen anderen Arbeiter:innen, die ganz andere Beweggründe für ihre Jobbewerbung hatten. Das erlegt ersteren somit auch andere Verhaltensnormen und andere Verantwortlichkeiten auf.

Hüte dich vor den Tourist:innen. Es muss nicht immer der Fall sein, aber manchmal ist das Profil eines Salts das einer Person, die bessere Möglichkeiten hat als gerade diesen Job als Salt. Viele der in den obigen Beispielen erwähnten Salts waren Hochschulabsolvent:innen. Sie haben auf bessere Jobs oder Karrierewege verzichtet, indem sie den Job, den sie wirklich machen wollten, aufschoben. Oder indem sie sich selbst davon überzeugten, dass diese Sache hier ein längerfristiges Opfer für die Bewegung sei. Es muss gesagt werden: das ist fast nie von Dauer. Diese Einstellungen können hingegen zu Ungeduld auf Seiten der Salting-Tourist:innen führen, sowie dem gefühlten Druck, endlich Erfolge in einem Zeitrahmen zu haben, der der Sache völlig unangemessen ist. Vor allem dann, sobald sich die Arbeit selbst zu erdrückend anfühlt oder die Arbeiter:innen anfangen sich zu fragen, wie ihr Leben aussehen könnte, wenn sie ihre Zeit woanders zubrächten. Das schafft Anreize, an den falschen Stellen zu sparen, unangemessene Risiken einzugehen oder aber sich in einer Kampagne mit weniger als dem Möglichen zufrieden zu geben. Wenn man Salts in der Führung eines Komitees hat, die einfach nur wollen, dass die ganze Sache zu Ende geht, ist das keine Situation, in der gute Entscheidungen getroffen werden können.

Salts sollten Teil eines Plans sein, in den auch andere eingebunden sind. Salts sollten genau wissen, was von ihnen erwartet wird, wem sie rechenschaftspflichtig sind und wie lange sie voraussichtlich auf dem Job arbeiten werden – selbst wenn die Antwort auf die letzte Frage „auf unbefristete Zeit“ wäre. Es sollte einen Verhaltenskodex geben, und die Arbeiter:innen sollten ihre Verpflichtungen in irgendeiner Weise konkretisieren. In meinem Zweig der IWW bitten wir beispielsweise die Salts, ein Dokument zu unterschreiben, das Einzelheiten über verschiedene Arten von Rechenschaftspflichten enthält, darunter Dinge wie die Teilnahme an der IWW-Organizer:innen-Schulung und das Versprechen, keine romantischen Beziehungen zu irgendjemandem am Arbeitsplatz einzugehen, während sie in der Funktion eines Salts tätig sind.

Die beste Verwendung für Salts ist das Sammeln von Informationen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Salts für den schlichten Zweck eingesetzt werden, sich Zugang zum Arbeitsplatz zu verschaffen, die Kontaktinformationen der Arbeiter:innen herauszufinden und wieder zu verschwinden. Das kann fast jede:r tun, und es kann externen Organizer:innen oder den Arbeiter:innen in einem Komitee in einem anderen Betrieb derselben Branche Informationen liefern, die sie für cold calls benötigen. Es gibt jede Menge grundlegender Informationen, die man über einen Job sammeln kann, ohne dass man einem:einer Neueingestellten die zusätzlche Last aufbürden muss, auch noch ein Komitee aufzubauen. Wenn man sich auskennt, kann man auch ein grundlegende soziale Landkarte erstellen oder einige Schlüsselpersonen ausfindig machen. Aber wenn es einem Salt gelingt, auch nur mit einem:einer Arbeiter:in in Kontakt zu kommen, der:die sich organisieren will, kann diese Person zum Keim eines Komitees werden. Es ist dann auch in Ordnung, wenn die Rolle als Salt damit beendet ist.

Salts werden besser für kleine, spezifische Erweiterungen einer bereits bestehenden Kampagne eingesetzt. Das bedeutet in der Regel, dass es eine objektive, „künstliche“ Barriere gibt, die ohne ein Salt nur sehr schwer zu überwinden ist. Damit meine ich Sprachbarrieren, geografische oder abteilungsspezifische Barrieren oder den Zugang zu Mitarbeiter:innenlisten. Wenn die Barriere darin besteht, dass „das Komitee keine Einzelgespräche führt“ oder „die Leute nicht an den Treffen teilnehmen, so dass wir mit anfallenden Aufgaben überlastet sind“ – dann sind dies Probleme, die Salts als eine verlockende Abkürzung erscheinen lassen. Aber man läuft Gefahr, dass man grundlegendere Probleme auf die lange Bank schiebt und Salts dazu einlädt, einen zu großen Teil der Verantwortung für eine Kampagne zu übernehmen. Als ich als Fahrradkurier salzte, gab es auf Arbeit noch kein Komitee und ich verbrachte etwa ein Jahr damit, eines von Grund auf mit aufzubauen. Aber dann hat mich das Komitee, das ich mit aufgebaut habe, gebeten, einen Bürojob in der Firma anzunehmen. Denn dort war ich in der Lage, eine vollständige Telefon- und Adressliste von etwa 100 Arbeiter:innen in verschiedenen Abteilungen und Berufen zu erhalten, die wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreichen konnten. Ich akzeptierte die Anweisung des Komitees. Aber das bedeutete auch, dass ich das Privileg verlor, mit ihnen in den Streik treten zu können. Ich war enttäuscht, aber ich musste zugeben, dass diese Form des Salting uns zum Sieg verhalf.

Salts sollten sich nicht anmaßen, die Führung zu übernehmen. Und wenn die Organisationstätigkeiten auf den Salts alleine lasten, ist es an der Zeit, auf die Bremse zu treten, nicht auf das Gas. Vor allem sollten sich die Salts die Führungsrolle zu gleichen Teilen mit den Nicht-Salts im Komitee teilen, und sie sollten es vermeiden, ein Ungleichgewicht bei den Schwerstarbeiten zu schaffen – ganz gleich wie groß der äußere Druck ist. Es ist natürlich möglich, dass Salts wirklich gute Organizer:innen sind oder sich schnell den Respekt ihrer Kolleg:innen zu verschaffen wissen. Aber wenn die Aktivität auf die Salts und/oder einige wenige Aktivist:innen reduziert wird, kann das ein weiterer Moment sein, in dem die Leute anfangen, grundlegende Probleme zu verdrängen. Sie bekommen dann das Gefühl, dass sie etwas tun müssten, oder ihre ganzen Mühen lösen sich in Nichts auf! Das geht nie gut aus. Rückschläge sind schmerzhaft, aber aus einer Position der Schwäche heraus nach vorne zu eilen, ist noch schlimmer. Also ist es besser, langsamer zu machen oder sogar neu anzufangen, als kopfüber auf das Ende zuzurennen.

Den schweren Weg gehen

Eine Handvoll Radikaler infiltriert einen Arbeitsplatz, lässt diesen für kurze Zeit lichterloh brennen – und die ganze Kampagne zerfällt bald zu Asche. Ein Muster, das uns schon so häufig begegnet ist, dass wir es nun als eine weitere gefährliche Abkürzung bezeichnen können. Als eine weitere Weise, wie Linke sich selbst an die Stelle einer Massenbewegung setzen. Aber wir können aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und uns zunehmend verbessern. Dabei sollten wir uns stets bemühen, einen kühlen, objektiven Blick auf die Stärken und Schwächen unserer Kampagnen zu werfen. Die aktuelle Hinwendung zum Arbeitsplatz als einem neuerlichen Fokus der Kämpfe ist grundsätzlich eine positive Entwicklung. Aber wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass ein paar Revolutionär:innen in einer vermeintlich strategischen Branche die geheime Zutat sein werden, die eine Arbeiter:innenrevolte in Gärung bringen. Wir waren Zeug:innen, wie schon jetzt vereinzelte Amazon-Beschäftigte entlassen wurden[15]https://www.vox.com/2019/3/22/18277322/amazon-fired-warehouse-worker-staten-island-union, weil sie gegenüber den Mächtigen das Maul aufgemacht haben. Währenddessen machten Gewerkschaftsorganisationen diese als Märtyrer:innen zum Mittelpunkt einer Schandkampagne gegen Amazon, was letztlich aber der Unternehmensleitung direkt in die Hände spielte[16]https://www.theguardian.com/technology/2020/apr/02/amazon-chris-smalls-smart-articulate-leaked-memo.

Das kommt mir alles recht bekannt vor. Für mich spricht das für die Tatsache, dass wir nicht noch mehr Militante brauchen, die die Menschen mit ihrem vermeintlichen Mut bei Amazon oder anderswo inspirieren. Wir brauchen dringend eine langfristige Organisation: nachhaltige, repräsentative, partizipatorische Komitees von Arbeiter:innen, die gemeinsam Entscheidungen treffen und Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen. Der Weg dorthin führt über eine langsame, geduldige, Stein für Stein setzende Organisation. Es ist nicht flashy, es wird nicht in den Nachrichten sein – aber ohne es wird uns auch eine ganze Busladung von Militanten, die sich von außen hereinschleichen, nur eine weitere Illusion von unserem Fortschritt vorgauckeln.

UPDATE: Ursprünglich hatte ich behauptet, dass die Gewerkschaft der Filmvorführer:innen nicht mehr existiert, aber ich war angenehm überrascht zu erfahren, dass die Gewerkschaft heute noch aktiv ist.

MK Lees ist Organizer bei den IWW in Los Angeles und Redakteur bei organizing.work.

Den Originalartikel findet ihr hier.

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4 Kommentare zu «Salz: die Würze, nicht die Suppe»

  1. Sehr guter Artikel, der sich mit meinen eigenen Organizing-Erfahrungen absolut deckt. Nur unterstreichen kann mensch das angesprochene Problem der „Tourist:innen“ und der schlechten Aufgabenverteilung in Betriebsgruppen. Danke für die Übersetzung!

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