„Sich weigern, Angst zu haben“

Vom 08. bis 10. November fand die jährliche Branchenkonferenz der SAC (Sveriges Arbetarens Centralorganisation) statt. Mit dem zeitgleich stattfindenden Arbeiterfilmfestival wurde es zu einem lebhaften Wochenende mit Treffen, Diskussionen und einem Austausch über Erfolge und Visionen für die Zukunft der Arbeiterbewegung. Volodya Vagner von der SAC-Zeitung Arbetaren sprach mit Teilnehmenden der Konferenz. Gewerkschafter*innen, Filmfans und Aktivist*innen aus der ganzen Welt versammelten sich am zweiten Novemberwochenende in Malmö. Die Besucher strömten zwischen dem Haus des Arbeiter-Bildungs-Verbandes (ABF) und dem Programmkino Panora. Ziel der von der SAC organisierten Konferenz war es, Gedanken darüber auszutauschen, was Gewerkschaften tun können, um erfolgreich zu sein. Hintergrund war die sogenannte Mobilisierungsstudie, die die SAC im vergangenen Jahr erstellt hatte.

„Wir haben viele Interviews mit Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern geführt. Dann wurde die Idee geboren, alle zu versammeln, um Erfahrungen auszutauschen, voneinander zu lernen und Impulse zu geben“,

sagt Frederick Batzler, Gewerkschaftskoordinator und Organisator der Konferenz. Unter den fast 100 Teilnehmer*innen der SAC-Konferenz sprachen unter anderem Gäste aus den USA, Deutschland und Großbritannien über Arbeitskämpfe in ihren Ländern.

Hoffnungsvoller als je zuvor

Eine der Konferenzgäste war Ellen David Friedman, ehemalige Vizepräsidentin der Vermont Progressive Party, der auch Bernie Sanders entstammt, und Veteranin der Gewerkschaftsarbeit. Sie sei hoffnungsvoller als je zuvor in Bezug auf die Zukunft der amerikanischen Arbeiterbewegung. Besonders in den Lehrergewerkschaften, in denen eine neue Generation radikaler Gewerkschafter*innen eine Reihe erfolgreicher Streiks durchführte, spürte sie einen neuen Kampfgeist.

Sie sagt, dass eine neue Generation Aktiver in die Gewerkschaften gekommen ist. Dies sind jüngere Menschen, die sich, den sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten des Neoliberalismus ausgesetzt, an die Gewerkschaften wenden, um Unterstützung zu erhalten.

„Wenn sie dann von den Gewerkschaften hören, dass man nichts dagegen tun kann, dass sie machtlos sind, dann weigern sie sich das zu akzeptieren und organisieren sich“, sagt Ellen David Friedman.

Nach amerikanischem Recht kann es nur eine anerkannte Gewerkschaft in einem Betrieb geben. Daher funktioniert es nicht, unabhängige, radikale Gewerkschaften zu gründen. Stattdessen, sagt Ellen David Friedman, gründet die neue Generation sogenannte Fraktionen, also innergewerkschaftliche Zusammenschlüsse. Mit Hilfe dieser Fraktionen setzen sich die Aktivist*innen für einen Wandel innerhalb der bestehenden Gewerkschaften ein.

„Bei den Streiks ging es nicht nur um die Gehälter der Lehrer*innen, sondern auch um umfassendere gesellschaftspolitische Fragen, für die eigentlich nicht gestreikt werden dürfte.“ Ellen David Friedman

Ellen David Friedman weist darauf hin, dass die Entwicklung einen ähnlichen Trend in der Demokratischen Partei widerspiegelt, wo sich lokale Basisaktivist*innen vor einiger Zeit formierten und fortschrittliche Kräfte wie die Politikerin und Aktivistin Alexandria Ocasio-Cortez wählten. Mit diesen radikalen Fraktionen an der Spitze der Lehrergewerkschaften haben die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren eine der größten Streikwellen seit Jahrzehnten erlebt.

„In Chicago, Los Angeles, Oakland und Seattle, in denen große Lehrer*innenstreiks stattfanden, hatten Aktivist*innen dieser Fraktionen die Führung der Lehrergewerkschaften übernommen. Bei den Streiks ging es nicht nur um die Gehälter der Lehrer*innen, sondern auch um umfassendere gesellschaftspolitische Fragen, für die eigentlich nicht gestreikt werden dürfte“ sagt Ellen David Friedman.

Sie setzten sich unter anderem gegen freie Schulen (Charter Schools) ein, die die Rassentrennung unter den Schülern verschärfen, und forderten ein stärkeres kommunales Engagement gegen die Obdachlosigkeit, die viele Schüler*innen betrifft.

„Es ist eine fantastische Entwicklung, die das neue Selbstbewusstsein der Lehrer*innen hervorhebt“, sagt sie.

Selbst in einigen traditionell konservativen Staaten wie West Virginia, Arizona, Oklahoma und Kentucky haben in den letzten Jahren Hunderttausende Lehrer*innen gestreikt – trotz der nach Angaben von Ellen David Friedman gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung in diesen Staaten.

„In West Virginia lehnten die streikenden Lehrer*innen im vergangenen Jahr eine Vereinbarung zwischen dem Gouverneur und den Gewerkschaftsführungen dieses Bundesstaats ab und streikten weiter, bis sie eine fünfprozentige Lohnerhöhung für sich selbst sowie für alle nicht gewerkschaftlich organisierten Beamt*innen (state employees) erhielten“, sagt sie.

Laut Ellen David Friedman war der Schlüssel zum Erfolg der radikaldemokratische Geist in der neuen Gewerkschaftsbewegung.

Direkte Unterstützung ist wichtig

Am Wochenende war auch die in den 1970er Jahren in Westdeutschland gegründete FAU anwesend. Lange Zeit beschäftigte sich die FAU hauptsächlich mit der Verbreitung von Informationen, aber vor etwa zehn Jahren begann die Organisation zu wachsen, so dass sie heute als Gewerkschaft aktionsfähig ist.

„2008 haben wir viel Aufmerksamkeit erhalten, als wir in einem kleinen linken Kino in Berlin ein erfolgreichen Arbeitskampf führten“,

sagt Hansi Oostinga von der FAU-Delegation. Er erzählt, dass dort viele zum ersten Mal von der FAU gehört hätten. 2008 zählte die FAU weniger als 300 Mitglieder, heute sind es rund 1200. Zurzeit ist die FAU unter anderem in einen Konflikt um ausbleibende Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen beim Bau eines Kaufhauses in Berlin verwickelt.

„Über Subunternehmer wurden Bauarbeiter aus Osteuropa eingestellt. Sie mussten auf der Baustelle in Containern leben“,

sagt Thomas Möller, Internationaler Sekretär der FAU. Sein Kollege Aaron erklärt, wie der Kontakt zu den Arbeitern zustande kam:

„Einer unserer Freunde hatte ein Banner gesehen, das die Bauarbeiter aufgehängt hatten, also sind wir dorthin gegangen, um mit ihnen zu sprechen. Danach wurde konkrete Unterstützung organisiert, zum Beispiel die Sammlung von Decken“, sagt Aaron.

Er sagt, dass sich mehr Menschen dafür entscheiden, der FAU beizutreten, weil sie das Gefühl haben, dort direkte Unterstützung zu erhalten.

„Einige neue Mitglieder sind Linke, die keine Lust mehr auf unstrukturierte Gruppen haben und die FAU als eine vernünftigere Möglichkeit ansehen, sich zu organisieren“, sagt Aaron.

Nach Ansicht von Thomas Möller ist es vor allem der Wille und die Fähigkeit, sich dort zu engagieren, wo die großen Gewerkschaften es nicht tun, wie zuletzt in der Gig-Economy, die zu einem Wachstum der FAU führten.

„Man wächst nur, wenn man Kämpfe führt“.

„Wir weigern uns Angst zu haben“

Die internationalen Gäste, die – nach der Reaktion des Publikums geurteilt – die meiste Begeisterung erweckten, waren die Mitglieder von United Voices of the World (UVW). Diese Gewerkschaft wurde vor fünf Jahren in London gegründet und bestand ursprünglich hauptsächlich aus Reinigungskräften mit lateinamerikanischem Hintergrund.

„Die drei Gründer sprachen Spanisch. Leute mit lateinamerikanischem Hintergrund, die einen großen Teil der Londoner Reinigungskräfte ausmachen, sind dorthin gegangen, weil sie ihre Sprache sprechen“,

sagt Claudia Turbet-Delof, eine Aktivistin der Organisation, die selbst aus Bolivien stammt und fährt fort:

„Wir sind eine sehr inklusive Gewerkschaft und sprechen bei unseren Treffen immer Spanisch, Portugiesisch und Englisch. Daher können sie sich auch manchmal unendlich hinziehen.“

Heute zählt die Organisation rund 3000 Mitglieder, von denen die meisten als Reinigungskräfte und Sicherheitskräfte arbeiten. Aber auch Architekt*innen und Anwält*innen haben sich angeschlossen. Die Gewerkschaft ist an mehreren Orten in Großbritannien aktiv und hat ihren Hauptsitz in London. Rund 40 Prozent der Mitglieder sprechen Spanisch, die meisten davon haben einen lateinamerikanischen Hintergrund. Zu diesen zählt Flor Andrade, die ursprünglich aus Ecuador stammt und vor eineinhalb Jahren nach London gezogen ist. Sie ist bei Bayleaf Cleaning angestellt und putzt Geschäfte des Modekonzerns Chanel.

„Es ist das leidenschaftliche Engagement von Funktionär*innen und Mitgliedern, das die Menschen anzieht.“ Flor Andrade, in der UVW organisierte Reinigungskraft

Anfang dieses Jahres nahm sie an einer Kampagne mit dem Slogan „Wir sind nicht der Dreck, den wir wegputzen“ teil. Mit dem Streik gelang es, Chanel abzuringen, dem Reinigungspersonal ausreichende Löhne zu garantieren.

„Das gibt einem das Gefühl, tatsächlich gewinnen zu können“, sagt Flor Andrade.

Alexandra Plazas zufolge, einer Mitarbeiterin von UVW mit kolumbianischem Hintergrund, ist es ein Problem, dass viele Migrant*innen sich ihrer Rechte nicht bewusst sind und daher Angst haben, zu streiken – obwohl sie ordnungsgemäße Papiere haben.

„Deshalb leisten wir viel Bildungsarbeit und erklären den Menschen, welche Rechte sie tatsächlich haben“,

sagt sie. Sie erklärt weiter, dass es auch Angst vor Einkommensverlusten gibt – was verheerend wäre, da viele von ihnen Verwandte haben, die finanziell von ihrer Arbeit abhängig sind.

Ein Schlüsselfaktor, sagt Claudia Turbet-Delof, ist die Weigerung der Gewerkschaft, sich einschüchtern zu lassen: „Wir weigern uns, Angst zu haben. Wir haben keine Angst auf die Straße zu gehen, uns der Polizei entgegenzustellen oder den Laden dicht zu machen“ sagt sie.


Der Artikel erschien zuerst auf Arbetaren.se und wurde durch das Internationale Komitee der FAU aus dem schwedischen übersetzt.

Titelbild: Konferenzteilnehmer*innen © SAC

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