Gemein und nützlich

Solidarisches Wirtschaften im Kapitalismus

Das Konsumieren, aber auch das Verkaufen von Produkten sind im Kapitalismus kaum solidarisch machbar, aber unumgänglich. Dennoch versuchen sich einige Kollektive an der Aufgabe, solidarisch zu wirtschaften und keine Profite auf Kosten anderer Arbeiter:innen zu machen. So auch das Gemein & Nützlich Vertriebskollektiv. Wir haben ihnen einige Fragen gestellt, um hinter die Kulissen zu schauen und uns die ganz normalen Widersprüche erklären zu lassen.

DA: Vor Kurzem hat der Dr. Pogo Veganladen die Vertriebsstrukturen des union coop // shops übernommen und das Gemein & Nützlich Vertriebskollektiv gegründet. Wie kam es dazu?

GN: Gemein & Nützlich bzw. der ex-union coop // shop wird seit Mitte Dezember 2018 vom Dr. Pogo Veganladen in Berlin betrieben. Wir, Dr. Pogo, sind Gründungsmitglied der union coop // föderation gewerkschaftlich organisierter Kollektivbetriebe, bei deren Treffen die Idee für das Vertriebskollektiv entwickelt wurde. Ein Kollektivmitglied von Pogo war von Anfang an Teil des ehemaligen Union Coop Shops, gleichzeitig haben wir einige Produkte im Laden verkauft.

Als die Frage aufkam, ob der Shop weiter betrieben oder abgegeben werden soll, haben wir uns entschieden, den Vertrieb zu übernehmen. Seit der Übergabe an Dr. Pogo heißt der Shop Gemein & Nützlich Vertriebskollektiv. Unser ultimatives, wenn auch hehres Ziel ist es, nicht nur einen nach kollektiven Prinzipien geführten Laden zu haben, sondern zum Aufbau einer Produktions- und Lieferkette in Selbstverwaltung beizutragen und in unserer Arbeit nicht von der Ausbeutung anderer Arbeiter:innen zu profitieren.

DA: Wie viele seid ihr? Sind alle Dr. Pogo-Kollektivmitglieder in die Gemein & Nützlich-Arbeit eingebunden?

GN: Wir sind aktuell noch 5 Kollektivista, die sich neben ihrer Beteiligung im Laden um alles rund um Gemein & Nützlich bemühen. Zum Jahreswechsel werden 3 Leute die Gemein & Nützlich-Tätigkeiten schmeißen. Das Dr. Pogo Veganladenkollektiv trägt als Ganzes den Shop finanziell und mit allen Risiken mit. Langfristige Entscheidungen und Entscheidungen mit großer finanzieller Tragweite für das ganze Kollektiv treffen wir gemeinsam.

DA: Wie sind die Kollektivmitglieder in die Strukturen der FAU Berlin eingebunden?

Logo der union coop

GN: Dr. Pogo und Gemein & Nützlich sind Teil der Union Coop. Allen Kollektivista wird außerdem die Mitgliedschaft in der FAU nahe gelegt, somit ist fast das ganze Kollektiv in der FAU. Auch wenn die Gewerkschaft als Kontroll- und Unterstützungsinstanz tief in unserem Statut und der ideellen Ausrichtung des Kollektivs verwurzelt ist, beschränkt sich die aktive Teilhabe an der FAU auf einige wenige Kollektivmitglieder. Dr. Pogo ist mit Einzelvertreter:innen aus dem Kollektiv allerdings von Anfang an und stetig in Treffen der Union Coop vertreten.

Bei Gemein & Nützlich bekommen Syndikate außerdem Sonderkonditionen mit der Idee, dass die lokalen FAU-Strukturen als Verteilpunkte von Produkten aus selbstverwalteten Betrieben fungieren könnten.

DA: Wie wichtig sind Überlegungen zur Gesellschaftsform im Kollektiv gewesen? Für welche habt ihr euch entschieden?

GN: Die Frage nach der Gesellschaftsform nahm anfangs viel Raum ein. Eine Gesellschaftsform, die den Ideen eines Kollektivbetriebes entspricht, existiert nicht. Auch wenn wir uns bemühen, das bürgerliche Recht nicht über unsere Struktur bestimmen zu lassen, sondern sie als notwendiges Übel und Werkzeug anzusehen, sind Fragen rund um Haftung, Teilhabe und Verantwortungsübernahme strukturelle Folgen und z. B. im Verhältnis zum Finanzamt natürlich gründlich zu bedenken. Wir regeln diese Fragen in einem Binnenvertrag. Er gibt der Handhabung der Belange der Kollektivista untereinander unabhängig von der Rechtsform eine verbindliche Form.

Aktuell sind wir als Verein organisiert, in dem alle Kollektivista auch Mitglied sind. Der Vereinsvorstand hat seit der Gründung anfangs mehrfach, inzwischen aber schon länger nicht mehr gewechselt. Die Idee einer Rotation an dieser Stelle wurde verworfen, da dies jedes Mal Aufwand bedeutet, Geld kostet und de facto die Auswirkungen der Vereinsvorstandschaft sehr gering ausfallen. Für die nahe Zukunft informieren wir uns zur Gründung einer Genossenschaft, alternativ könnte eine GmbH zur Wahl stehen.

DA: Ihr vertreibt Produkte aus der Solidar- und Arbeiter:innen-Ökonomie. Wie schwer ist es, neue Netzwerke zu knüpfen? Wie sucht und findet ihr Kooperativen, deren Produkte ihr vertreiben möchtet?

GN: Solidarischen Strukturen und selbstverwalteten Betrieben und Fabriken fehlt es häufig an Zeit, neben ihren Alltags-, Arbeits- und Strukturkämpfen neue Netzwerke und Kooperationen aufzubauen. Wenn wir über Empfehlung, aus Zufall, über gezielte Recherche oder bestehende Netzwerke auf Produkte aufmerksam werden, beginnt ein langer und zeitintensiver Prozess des Kennenlernens. Viele unserer Produkte kommen aus Südeuropa. Über eine große geografische und auch sprachliche Entfernung Fragen zu inhaltlicher Ausrichtung und Arbeitsbedingungen zu klären, ist die eine Seite.

Hinzu kommt, dass wir versuchen, Strukturen aufzubauen, für die es keine Vorlagen zu Abläufen oder Vertriebswegen gibt. Lieferwege, Verpackung, Produktinformationen, mögliche Produktions-, aber auch Abnahmemengen, Preisgestaltung, Etikette – Bedarfe und Bedingungen auf Produzent:innenseite mit unseren zu vereinbaren, kostet Zeit. Unser Sortiment wächst langsam. Zum einen, weil es entweder wenige Produzent:innen gibt, die unseren Ansprüchen standhalten, wir von ihnen nicht erfahren oder weil sich die Betriebe auf regionalen Handel konzentrieren. Da wir außerdem wirtschaftlich bleiben wollen, ergibt der Vertrieb über große Strecken erst ab einer bestimmten Menge Sinn. Hier scheitert es teilweise entweder an den Produktionskapazitäten, den Lieferpreisen oder aber unserer beschränkten Lagerkapazität. Ganz wichtig sind mit Sicherheit die konkreten Hinweise, die uns Genoss:innen geben.

DA: Wie sieht die Landschaft der Solidar- und Arbeiter:innen-Ökonomie aktuell aus?

GN: Ohne auf Statistiken zurückgreifen zu können, nimmt die Zahl der Fabrikeroberungen durch Arbeiter:innen und Neugründung von Kollektivbetrieben zu. Eine ebenso schlecht belegte These: Die Gründung von kooperativen und kollektiven Strukturen scheint dabei entweder aus Notlagen oder privilegierterer Position und politischer Motivation heraus zu passieren. Ein Grund, warum wir von Anfang an die Union Coop unterstützt haben: Vernetzung, Beratung, irgendwann auch ökonomische Solidarität, aber eben auch wegen festgelegter Standards, um „kollektiv“ nicht zu einer Worthülse der ‚Social Start Up‘-Szene werden zu lassen. Die Grundlage fast all unserer Produkte ist die Landwirtschaft. Auch hier gibt es bereits kollektiv organisierte Betriebe, aber zu großen Teilen arbeiten auf den Feldern und in Gewächshäusern vor allem Migrant:innen unter meist widrigsten Bedingungen. Hier Selbstorganisation und -ermächtigung außerhalb städtischer Ballungsräume im ruralen und europäischen Grenzraum zu unterstützen, ist uns ein wichtiges Anliegen.

Der Spargelstreik in Bornheim hat gezeigt – gewerkschaftliche Organisierung kann vieles bewegen. Und dennoch fehlen die landwirtschaftlichen Produktionsbetriebe in migrantischer Selbstverwaltung. Betriebe wie SfruttaZero, deren Tomatenprodukte wir vertreiben, versuchen hier neue Wege zu gehen. Weitere Betriebe, die sich an Selbstverwaltung versuchen, sind z. B. zu finden auf union-coop.org, kollektivbetriebe.org und kollektivliste.org, wobei die Union Coop die mit Abstand weitreichendsten Standards an die kollektive Organisierung anlegt.

DA: Wie ist die Struktur im Vertriebskollektiv? Gibt es Leute, die von der Arbeit im Kollektiv leben bzw. in welchen Arbeitsverhältnissen seid ihr im Projekt überhaupt eingespannt?

GN: Das Vertriebskollektiv ist eingebettet in die Struktur des Dr. Pogo Veganladenkollektivs. Dr. Pogo wiederum hat sich nach extrem prekären Jahren gegenüber vielen Kollektiven das Privileg erwirtschaften können, einen Einheitslohn zu zahlen, von dem sich (irgendwo im Bereich des Existenzminimum und je nach Lebensverhältnissen und anderen Abhängigkeiten) leben lässt. Alle Stunden für den Vertrieb können über unsere Stellen bei Dr. Pogo entlohnt werden. Wir sind alle sozialversicherungspflichtig angestellt. Einige im Kollektiv sind parallel von anderen Strukturen wie dem Jobcenter abhängig oder gehen weiteren Jobs in unterschiedlichsten Betrieben nach.

DA: Vertrieb verführt ja zwangsweise zu Konsum bzw. steht in direktem Zusammenhang mit diesem und so ein Wein mit Revolutionsromantik auf dem Etikett schmeckt ja auch gleich viel besser. Welchen Widersprüchen begegnet ihr bei eurer täglichen Arbeit?

GN: Wir sind Teil des Kapitalismus. Daran lässt sich nichts schön reden. Wir möchten von unserer Arbeit leben können, sind aber ein Kleinbetrieb, bei dem nicht alles durchrationalisiert und industrialisiert ist. Damit müssen wir bestimmte Preise abrufen. Gleichzeitig wollen wir einen Vertrieb, der den Zugang zu unseren Produkten auch mit kleinem Geldbeutel ermöglicht. Solidarische Ökonomie heißt außerdem, den Produzent:innen mit unseren Einkaufspreisen eine faire Entlohnung, Unterstützung ihrer Kämpfe UND vielleicht sogar noch ökologisches Wirtschaften zu ermöglichen.

Bisher funktioniert Gemein & Nützlich, weil Dr. Pogo den Vertrieb durch die eigenen Umsätze stützt. Noch nicht auflösen konnten wir außerdem das Problem, dass wir über Berlins Grenzen hinaus und auch innerhalb der Stadt für den Versand mit Unternehmen zusammenarbeiten, die so ziemlich allen unseren Ansprüchen gegen den Strich gehen. Sammelbestellungen, Selbstabholung, Kollektivversand – vieles scheitert an der Zeit, den vorhandenen Strukturen oder dem Preisargument.

Effizienz ist ein weiterer Punkt. Wenn wir alle fair entlohnen wollen, müssen wir effizienter arbeiten. Das Anbahnen und Aufrechterhalten solidarischer Handelsketten bedarf allerdings einer Menge Zeit. Und auch wir wollen kein Arbeiten unter akutem Zeitdruck aus ökonomischen Gründen. Das alte Lied von Revolution und Selbstausbeutung – auch wir stecken hier immer wieder fest im System. Vom Anfang bis zum Ende der Lieferkette: Letztendlich ist es schwieriger zu rechtfertigen, dass wir als Kollektiv unser Geld mit der Ausbeutung anderer Arbeiter:innen weiter unten in der Kette verdienen, als dass wir höhere Preise für deutsche Verbraucher rechtfertigen.

DA: Gibt es Dinge, die ihr aus Überlegungen heraus nicht vertreibt?

GN: Mit Klamotten sind wir eher vorsichtig, weil für jedes Motiv dann gleich mehrere Größen und Schnitte vorgehalten werden müssen und dadurch schnell viel Kapital und Lagerfläche gebunden ist. Kühl- und Frischwaren sind außerdem im Moment ebenfalls ausgeschlossen oder werden bei Dr. Pogo verkauft.

DA: Sucht ihr zur Zeit neue Kollektivmitglieder?

GN: Ja, wir werden in nächster Zeit neue Mitglieder suchen müssen, da mehrere Kollektivmitglieder ihren Ausstieg angekündigt haben. Die aktuelle Ausschreibung sieht vor, dass wir gerne jemanden mit Buchhaltungserfahrung einstellen würden. Auch für Menschen, die diese nicht vorweisen können, jedoch für solidarischen Handel brennen und sich vorstellen können, ihr Geld mit Einzelhandel zu verdienen, wird bei uns der ein oder andere Platz frei.

 

Wir danken euch für eure Antworten.

Das Interview führte Jay Parker für die Direkte Aktion.

Beitragsbild © Gemein & Nützlich Vertriebskolletktiv

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