In den letzten Monaten wurden in mehreren direkten Aktionen vor allem Stadtautobahnen in Berlin, Stuttgart, Freiburg, Frankfurt und Hamburg durch Sitzblockaden von der Gruppe Aufstand der Letzten Generation blockiert. Damit soll den Demonstrationen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und für eine adäquate Klimapolitik mehr Wirksamkeit verliehen werden. Nach unzähligen Demonstrationen vor Regierungssitzen und Institutionen und nach einem wochenlangen Hungerstreik im Regierungsviertel wollen die Aktivista mit dieser Form des zivilen Ungehorsams Wege finden, um dem Klimanotstand und dem Stillstand in der Politik ein Ende zu setzen. Dabei sind die Forderungen eher Selbstverständlichkeiten, für die schon lange Lösungen hätten gefunden werden müssen und auch gefunden wurden, jedoch bisher an einer politischen Umsetzung scheiterten.
Wir blockieren, bis die Politik handelt
Unter dem #EssenRettenLebenRetten wird der zivile Widerstand auf die Straße getragen. Die Aktionen sind gut geplant und nicht gerade ungefährlich. Denn sich auf deutschen Straßen einfach so hinzusetzen oder sich gar festzukleben und damit den Verkehr zu behindern, kommt im sogenannten Berufsverkehr einer Todsünde gleich, die starke Emotionen bei den Betroffenen und ihren medialen Rezipient*innen hervorruft. Ob dies an der stereotypisch unterstellten Pünktlichkeit, dem vorauseilenden Gehorsam oder tatsächlicher Existenzangst oder doch nur an der leisen Ahnung liegt, Teil des Problems zu sein, ist fraglich. Ein Angriff auf einige Autofahrende scheint aber ein Angriff auf alle zu sein. Für den Aktivismus eigentlich eine gute Nachricht. Es muss in Zukunft viel mehr Raum besetzt, blockiert und angeeignet werden, der bisher eher für klimaschädliche Handlungen zur Verfügung steht. Denn, dass wir das 1,5 Grad-Ziel, welches im Pariser Abkommen beschlossen wurde, nicht erreichen werden, ist kein großes Geheimnis. Und es zeigt sich, dass es gar nicht viel braucht, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken. Eine grüne Ampelphase, ein paar Banner, wärmende Utensilien, etwas Kleber und viel Mut von einer Hand voll Personen und schon gerät das Autoland in Aufregung.
Gewaltfrei aber konsequent
Das Ziel der Gruppe Aufstand der letzten Generation ist es, mit gewaltfreien Aktionen in den Verkehr einzugreifen. Diese Aktionen werden gefilmt und veröffentlicht, um so den Druck auf die Politik zu erhöhen. Auch die mögliche Inhaftierung wird in Kauf genommen, um den öffentlichen Druck zu erhöhen. So konnten sehr wenige Menschen für eine Blockade und damit einen riesen Stau z. B. auf der Berliner Stadtautobahn sorgen. Dabei stößt die Gruppe nicht nur bei den von der Aktion betroffenen Menschen häufig auf Unverständnis, sondern auch bei einigen Medien. Dennoch erzielen die Aktionen eine öffentliche Schlagkraft und einen Diskurs um die Dringlichkeit mit der umweltpolitische Forderungen immer wieder zur Diskussion gestellt werden müssen, um umgesetzt zu werden und reihen sich ein in eine Reihe von Aktionen innerhalb der Umweltbewegung. Sich auf Stadtautobahnen zu setzen und damit das geliebte Status-Symbol Auto anzugreifen, ist aber offenbar im Stande einen größeren Druck aufzubauen als manch andere Aktion. Dabei steht gar nicht so sehr die Mobilitätswende im Vordergrund, als vielmehr die Sichtbarmachung der Verschwendung von Ressourcen, vor allem von Lebensmitteln. Würden wir dafür sorgen, dass noch verwertbare Lebensmittel nicht in so großer Zahl auf dem Müll landen, wäre ein großer Schritt zur Einsparung der CO2-Emmission getan. Das politisch zu verankern, ist keine große Sache und daher eines der Hauptziele der Gruppe Aufstand der letzten Generation. Damit entspricht diese Forderung auch dem mehrheitlichen Denken hier lebender Menschen, die in der Verschwendung der Lebensmittel einen Fehler sehen. Um die Bundesregierung weiterhin daran zu erinnern, dass diese nur ein Essen-Retten-Gesetz verabschieden muss, um diesem unakzeptablen Zustand der sinnlosen Produktion entgegenzuwirken, wird in einer aktuellen Aktion einfach selbst Essen von der Letzten Generation angebaut und zwar direkt vor dem Regierungssitz des Bundeskanzlers, damit dieser, so die Gruppe, sehe, wie schwer die Arbeit ist, das eigene Essen selbst anzubauen und wie unwürdig es ist, wenn dann ein Drittel dieser angebauten Produkte auf dem Müll landen, statt umverteilt zu werden. Wer will schon für die Tonne arbeiten?
Klimastreik = Hungerstreik
Einige der Aktivista gingen für diese Forderungen in einem ersten Schritt in den Hungerstreik. Unter dem Motto „Wir hungern, weil die Klimakrise tötet“ wurde der Hungerstreik der letzten Generation im August 2021 im Spreebogenpark in Berlin begonnen. [1]https://hungerstreik2021.de/ Hungerstreiks werden meist dazu verwendet, um politische und soziale Veränderungen voranzutreiben. Die Forderungen nach mehr Klimagerechtigkeit und damit drastischen Mitteln zur Einsparung von Emissionen schnellstmöglich, das heißt in den kommenden zwei, drei Jahren umzusetzen und so entscheidende Veränderungen in der Klimapolitik voran zu bringen, standen dabei im Vordergrund. Denn während sich die Aktivista freiwillig in den Hungerstreik begeben, sterben in anderen Teilen der Welt Menschen täglich unfreiwillig durch Hungersnöte und Ernteausfälle, durch Dürren und Extremwetterlagen. Um auf unsere Verantwortung dieser ungleich verteilten Klimafolgen aufmerksam zu machen und diese Verantwortung in die eigene Hand zu nehmen, sind die Aktivista bereit, nicht nur drastische Schäden ihrer Körper in Kauf zu nehmen, sondern im schlimmsten Fall auch ihr Leben zu riskieren. Die einfache Forderung nach einem ehrlichen Gespräch mit den Verantwortlichen der neuen Regierung über die Klimakipppunkte sollte im letzten Jahr das Ende des Hungerstreiks bedeuten. Nach mehreren Wochen des Schweigens reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz dann endlich und lud zwei der Hungerstreikenden zu einem öffentlichen Gespräch ein, damit diese ihren Hungerstreik beenden.
Essen-Retten-Gesetz
Aus dem Gespräch im November des vergangenen Jahres gingen für die Gruppe zwei Forderungen hervor. Die erste Forderung ist die, noch in diesem Jahr ein Essen-Retten-Gesetz zu verabschieden, das Supermärkte dazu verpflichtet, die Lebensmittel, die eigentlich weggeworfen werden, aber noch genießbar sind, entweder zu spenden oder zu verschenken (Unser Essen retten). Die zweite Forderung bezieht sich auf die Rettung von Leben (Unser Leben retten). In dieser Forderung wird auf Maßnahmen abgezielt, die die Agrarwende bis 2030 begleiten. Diese Forderung ergibt sich aus den Empfehlungen des Bürgerrats Klima 2021 im Bereich Ernährung. Diese klimapolitischen Empfehlungen sind die Voraussetzung dafür, dass auch in Zukunft ein Leben möglich ist, welches die Grundbedingungen für ein Überleben weiterer Generationen sichern kann. Da das Thema Ernährung eines der Grundbedürfnisse innerhalb der Frage des Überlebens darstellt, muss diese auch für zukünftige Generationen gesichert sein. Da die Dringlichkeit der Lösungen dieser Probleme immer weiter voranschreitet, ist eine Beharrlichkeit gefordert, die von unten kommen muss und jetzt einer politischen Umsetzung bedarf. Dafür steht sinnbildlich ein Zitat aus der aktuellen Pressemitteilung der Letzten Generation, in welchem aus dem Climate-Reality-Check 2021 passend zitiert wird: „Die Menschen kloppen sich um Klopapier – können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn 30 % der Ernten ausfallen und gleichzeitig die Weltbevölkerung steigt?“.
Ob die Forderungen aber auch tatsächlich schnell umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Abwarten können wir am besten eben auf der Stadtautobahn oder an anderer störender Stelle. In Relation zu den Folgen der Klimaerwärmung ist das vorübergehende Im-Stau-Stehen der Betroffenen ein Witz, oder verglichen mit den Auswirkungen des Klimawandelns, denen zum Beispiel Inselstaaten entgegenblicken, wenn es um den Anstieg des Meeresspiegels geht oder die extremen Dürren, die unweigerlich zu einer Nahrungsmittelknappheit führen werden und auch heute schon führen, wie aktuell in Somalia. Die Empörung über solche Art Störungen zeigt jedoch die Wirkmächtigkeit des Eingreifens in den Verkehr und ist damit ein Mittel des Protestes, dem sich viel mehr Menschen bedienen sollten, um umweltpolitischen Forderungen Ausdruck zu verleihen und endlich zu handeln.
Weitere Informationen zur Gruppe finden sich hier.
Die Ergebnisse und Maßnahmen des Bürgerrates Klima 2021 findet ihr hier.
Einen Eindruck und die Forderungen der Gruppe Aufstand der letzten Generation gibt es hier.
Eine Kritik zum Artikel findet sich auf anarchismus.de