Selbst die widrigsten Umständen vermochte der Kapitalismus stets zu nutzen, um seinem Leitmotiv zu folgen: die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. So wurde im Schoße seiner andauernden Rentabilitätskrise eine Reihe sozialer Mutationen hervorgerufen, deren Auswirkungen noch immer schwer abzuschätzen sind. Auch die schwere Finanzkrise der vergangenen Jahre diente als Vorwand, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Nachteil der Arbeiterklasse umzugestalten. Gleichzeitig wurden die Kontroll- und Ausbeutungsmechanismen zugunsten der herrschenden Klasse ausgebaut. Dieser Entwicklung liegt das Modell einer dezentralisierten Produktion zugrunde, das sich etwa in Subunternehmertum, Produktionsverlagerungen, Ausgliederungen und flexibilisierten Lohnsystemen ausdrückt. Eng damit verbunden ist die Verleihung von ArbeiterInnen durch eigens zu diesem Zweck geschaffenen Unternehmen: die Zeitarbeitsfirmen.
Expansion der Leihbuden
Obwohl die „Überlassung“ von Arbeitskraft lange verboten gewesen war, hat sie sich mit der Prekarisierung im Postfordismus rasend ausgebreitet. Im Jahr 2010 soll sie knapp 15% aller Arbeitsplätze in der EU ausgemacht haben. An der Spitze steht Polen mit 28%, gefolgt von Spanien mit 25%. Der Grad, zu dem die Industriesektoren mittlerweile durch Zeitarbeit durchdrungen sind, beträgt in der BRD mittlerweile rund 30%, in Spanien sind es gar 77%. In allen Sektoren nimmt der Anteil der Zeitarbeit zu, wie bspw. in Spanien durch die jüngste Arbeitsmarktreform, mit der den Zeitarbeitsfirmen etwa die Baubranche geöffnet wurde, die ihnen augrund der Gefährlichkeit der dortigen Arbeit zunächst verschlossen war. Die Ausbreitung reicht sogar in den Öffentlichen Dienst hinein; die auf diese Weise erzielten Gewinne sind freilich privat.
Eine Zeitarbeitsfirma, die jüngst in den Blickpunkt rückte, ist OTTO Workforce, einer der größten Leiharbeitskonzerne Europas, der sich auf den osteuropäischen Arbeitsmarkt spezialisiert hat. Momentan beschäftigt das Unternehmen Zehntausende polnische, tschechische und slowakische ArbeiterInnen in Großbritannien und den Niederlanden, aber auch in Deutschland, wo OTTO im Jahr 2010 die Zeitarbeitsfirma Olympia erworben hat. Dieser Schritt ist Teil einer strategischen Expansion auf Märkten mit einer großen Anzahl osteuropäischer ArbeiterInnen. Auch wenn OTTO sich bezüglich seines Managements kaum von anderen Zeitarbeitsfirmen unterscheidet, liefert das Firmenmodell doch ein klares Beispiel für extreme Prekarität und Rechtlosigkeit.
Sklavenhandel bei OTTO
Im Februar begannen mehrere in der polnischen ZSP und der slowakischen PA organisierte ArbeiterInnen eine Kampagne gegen OTTO, um Lohnvorenthaltungen und der Kündigung von GewerkschafterInnen ein Ende zu setzen (weiteres dazu in der Randspalte; siehe auch DA Nr. 204). Die angeheuerten ArbeiterInnen finden sich dort in einer Situation totaler Kontrolle wieder, in der jede Form des Protests sofort bestraft wird. Gestrandet in einem fremden Land, verfügen sie kaum über Möglichkeiten, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Dabei führen die ArbeiterInnen häufig andere Arbeiten aus als die in den Arbeitsangeboten beschriebenen. Obwohl ihnen 40-Wochenstunden versprochen werden, haben sie manchmal tage- oder sogar monatelang gar keine Arbeit. Gibt es sie doch, wird in Elf- oder Zwölfstundenschichten gearbeitet. Außerdem ist die Verschleppung von Lohnzahlungen üblich, und es gibt keine bezahlten Urlaubstage oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Eine „gute Unterkunft“, wie es OTTO bezeichnet, besteht in Form von heruntergekommenen Arbeiterbaracken, wobei jeder Arbeiter die Miete einer Zweizimmerwohnung bezahlt. Der Arbeitsvertrag „verpflichtet die Beschäftigten zum Gebrauch der Unterkünfte des Unternehmens“. OTTO verschweigt dabei, dass viele der Unterkünfte kaum bewohnbar sind.
Der Konzern verfügt über ein System finanzieller Sanktionen: In den Arbeitsverträgen sind Klauseln enthalten, die u.a. folgende Geldstrafen vorsehen: 1.000 Euro für die „Nichteinhaltung der Bedingungen des Arbeitsvertrages“, ebenfalls 1.000 Euro für Verstöße gegen die „Vertraulichkeit“ und 500 Euro für die Beendigung der Arbeit vor Vertragsende. Auch Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit genügt als Anlass für eine Strafe, wenn nicht sogar für eine Kündigung. Das, was OTTO „soziale Unterstützung“ nennt, ist wiederum nichts anderes als eine Subvention der niederländischen Regierung und der EU für die sog. „OTTO Academy“, die manchen ArbeiterInnen das Erlernen der niederländischen Sprache erlaubt. Obwohl diese Subventionen eigentlich Anreize für die ArbeiterInnen zum Besuch der Sprachkurse sein sollen, zahlt OTTO ihnen nichts davon aus.
Die Situation der migrantischen ArbeiterInnen in Holland ist öffentlich bekannt und wurde sogar von den Medien angeprangert. Dennoch stellt sich ihre Realität dort nicht anders dar als in anderen „entwickelten Ländern“. Der rechtliche Rahmen macht sie zur leichten Beute, zu modernen Sklaven, die den Regeln der Untertänigkeit unterworfen sind. Die Zeitarbeitsfirmen wissen das genau und erfüllen pflichtgetreu ihre Funktion bei der Dezentralisierung der Produktion, was zur gewaltsamen Spaltung des Proletariats führt. Denn hinter den Zeitarbeitsfirmen steckt die Absicht der Zerschlagung solidarischer Verbindungen unter den Arbeitskräften, die zu isolierten Wesen geformt werden sollen.