Mit der Kampagne erobern wir die Straße

Am 29. Januar und 19. März stellte die CNT in Lyon beeindruckende Demonstrationsblöcke. Trägt die lokale „Kampagne 2009“ bereits Früchte? Was macht ihr da genau: Welche Ziele habt ihr euch gesteckt und wie wollt ihr sie erreichen?

Delphine: Der zentrale Punkt unserer Kampagne ist die Losung „Eure Krise zahlen wir nicht!“ Mit der Kampagne gelingt es uns seit Jahresbeginn, durch verschiedene Aktionen den Kapitalismus und die Bosse bloß zustellen. Geplant und vorangetrieben wird sie von der Kommission „Kämpfe“ der CNT-Bezirksföderation der Rhône. Wir organisieren Aktionen jenseits der gewerkschaftlichen Demo-Rituale. Die großen landesweiten Mobilisierungen verschaffen uns zwar Aufmerksamkeit auf der Demonstration, aber kaum darüber hinaus – die Medien befassen sich lieber mit den Chefs der „großen“ Gewerkschaften. Dennoch finden wir immer wieder Beachtung, nicht zuletzt aufgrund unseres engagierten und kompromisslosen Diskurses. Obwohl einige Gewerkschaften zum Generalstreik aufrufen, so haben sie doch nicht die Absicht, ihn wirklich umzusetzen. Nichts als Folklore! Wir hingegen meinen es ernst! Und wir sind realistisch: Wir wissen, dass der Kampf ein langer und tagtäglicher ist. Aber es ist gerade wegen diesen konstanten Engagements, dass sich die aufmüpfigen SchülerInnen oder Gruppen kämpfender ArbeiterInnen in den Demo-Block der CNT einreihen.

Ausgangspunkt unserer Kampagne war folgender: Wir fanden es notwendig, dass die CNT-Syndikate in den Straßen präsenter sind, dass wir die Unterschiede zwischen der CNT und den Zentralgewerkschaften klar machen, die oftmals mit den Unternehmern zusammenarbeiten. Mit der Kampagne erobern wir die Straße: Unsere Demonstrationen gehen, anders als übliche Gewerkschaftsumzüge, durch die Wohnviertel. Samstags organisieren wir Versammlungen und Redebeiträge in Einkaufszentren. Hinzu kommen Flugblatt-Aktionen an den Metro-Stationen und massive Plakat-Kampagnen. Die Finanzkrise bietet uns Gelegenheit, die Notwendigkeit des Klassenkampfes noch stärker zu betonen. Und mit der Wandzeitung „Jusqu’à quand?“ („Wie lange noch?“) verbreiten wir, einmal monatlich, unsere Positionen. Das Ganze wird durch einen Blog im Internet begleitet und dokumentiert.1

Wie wird die CNT Lyon gesehen, von den KollegInnen im besonderen und den ArbeiterInnen im allgemeinen? Was unterscheidet sie von den übrigen, zahlreichen Gewerkschaften?

Delphine: Die CNT ist ganz klar bekannt als die Gewerkschaft, die das Ko-Management ablehnt, als eine Gewerkschaft ohne Bosse und ohne Funktionäre, in der jeder seinen Platz finden und sich einbringen kann.2 Wenn wir auch immer noch als „kleine“ Gewerkschaft wahrgenommen werden, so kommen die SympathisantInnen und die anderen Gewerkschaften doch nicht umhin, unsere große interne Mobilisierungkraft und die direkte Solidarität anzuerkennen.

Freilich dient die Kampagne 2009 auch als Organizing-Kampagne, um die Strukturen der CNT im öffentlichen wie im privaten Sektor zu entwickeln. Dazu gehört auch zuerst einmal der Hinweis, dass die CNT in zahlreichen Unternehmen präsent ist und dass es wirklich ein starkes Netzwerk unter den Mitgliedern gibt. Aufgrund der juristischen Lage, dass die CNT nicht per se als „repräsentativ“ anerkannt ist, müssen wir um die Anerkennung und grundlegenden Rechte jeder einzelnen Betriebsgruppe kämpfen. Zwar kann kein Chef verhindern, dass ein CNT-Mitglied im Kreise der KollegInnen für die Gewerkschaft wirbt. Doch sobald es um formelle und öffentliche Aktivitäten geht, hagelt es Schläge: in Form von Entlassungen, Abmahnungen usw. Daher sind wir immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, in Kontakt mit ArbeiterInnen zu kommen.

Eine unserer wichtigsten Botschaften ist: Ja, wir können gegen die Bosse gewinnen! …aber nur der kollektive und branchenübergreifende Kampf macht sich bezahlt. Derzeit betrifft die Krise dutzende und aberdutzende Unternehmen in ganz Frankreich, dennoch bereiten die Gewerkschaftszentralen keine allgemeine Aktion vor. In den Firmen herrscht derweil der Individualismus, alle versuchen, zunächst die eigene Haut zu retten. Wir denken, dass man die ArbeiterInnen wieder um Klassenfragen mobilisieren muss, um endlich gemeinsam zu handeln. Die Kampagne 2009 hat es der CNT Lyon ermöglicht, das Herzstück der gesamten CNT neu hervorzuheben: die Verteidigung von ArbeiterInnen durch kollektiven Kampf und direkte Solidarität.

Wie siehst du die Zukunft der CNT? Was steht auf dem Spiel, was steht im Weg?

Delphine: Die neuen Arbeitsgesetze zur Repräsentativität [d.h. Anerkennung] der Gewerkschaften gelten für alle Gewerkschaften in Frankreich: Ab 2012 müssen alle ihren Vertretungsanspruch untermauern können. Die CNT wird mehr denn je öffentlich auftreten müssen, um ihre Besonderheiten klar zumachen: Kein Zentralbüro, keine Hierarchie, kein Ko-Management in den Betrieben. Dafür Unabhängigkeit ihrer Gewerkschaften3, eine klar antikapitalistische Ausrichtung und der Wille, die Gesellschaft zu verändern.

Wir wissen, dass unsere Lebensweise und unser Konsumverhalten Auswirkungen auf andere ArbeiterInnen hat, sei es nun in Frankreich oder anderswo. Dieses Bewusstsein begleitet uns in all unseren Kämpfen. Die Globalisierung der Wirtschaft und der Unternehmen muss uns dahin führen, „global zu denken, und lokal zu handeln“. Deshalb haben wir den Kampf auf Guadeloupe und Martinique unterstützt. Ihr Kampf ist der unsere!

In Lyon selbst blüht derzeit vor allem das Bildungssyndikat auf. Aber auch die Gründung und Entwicklung eines Bausyndikats hält für uns in Zukunft sicher einige Kämpfe bereit – gewerkschaftliche Verankerung ist in dieser Branche besonders schwierig.

Die CNT wächst weiterhin, sowohl an Mitgliedern als auch an Gewerkschaften. Dieses Wachstum verpflichtet uns, alle und alle zusammen zu ihrer Entfaltung beizutragen. In der letzten Zeit wurden zahlreiche CNT-Syndikate in eher ländlich geprägten Departements gegründet – die GenossInnen dort leisten Beachtliches. Und es funktioniert! Es schließen sich auch enttäuschte Mitglieder der Zentralgewerkschaften an. Denn in der CNT entscheidet die Basis – das ist es, was die ArbeiterInnen anzieht.

Vielen Dank für das Interview!

Interview und Übersetzung: André Eisenstein (STICS13 – CNT), Marseille

Anmerkungen:

[1] www.cnt69.org

[2] Die CNT der Rhône (Département 69) besteht aus folgenden Gewerkschaften: das Allgemeine Syndikat CNT interco, das Bildungssyndikat CNT SUTE, das Bau-Syndikat CNT SUB, Post- und Telekommunikationssyndikat CNT PTT, sowie Pflege- und Sozialsyndikat CNT santé-social.

[3] Die CNT erhält keinerlei Subventionen und finanziert sich allein durch Mitgliedsbeiträge, Solidaritätskassen und Spenden.

 

Schreibe einen Kommentar