Warum in die Ferne schweifen?

Alle im Land wissen es: Hunderttausende PraktikantInnen werden systematisch als billiger Ersatz für reguläre Arbeitskräfte missbraucht. Selbst Bundesarbeitsminister Scholz erkannte zuletzt die Schwere dieses Dilemmas an. Und dennoch geschieht nichts, was daran etwas ändern würde – weder seitens der Politik, noch seitens der DGB-Gewerkschaften. Im Gegenteil, die Versuche der letzteren erweisen sich sogar zunehmend als hilflos, abhängig vom Wohlwollen der Politik. So ambitioniert die Verlautbarungen der Akteure auf diesem Feld, insbesondere der DGB-Jugend und des ihr nahe stehenden Fairwork-Vereins klingen, einen druckvollen Hebel hatten sie noch nie in der Hand; stattdessen setzen sie allein auf gesetzliche Neuregelungen.

Symptomatisch für diese Ausrichtung ist eine zum Thema veranstaltete Podiumsdiskussion, die Ende März in Berlin stattfand. Die Initiatoren stellen dort die Frage, ob gesetzliche Neuregelungen einen „Fluch oder Segen“ darstellen würden. Wer glaubt, diese Frage zielte darauf ab, die eigene gesetzesfixierte Strategie kritisch zu reflektieren, weit gefehlt. Denn gemeint war vielmehr, ob eine bessere Gesetzesregelung von Praktika nicht den Ausbildungsstandort Deutschland in Gefahr bringen würde. Eben dies ist nämlich das zentrale Argument der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), die scheinheilig behauptet, Unternehmer würden von den Praktika nicht profitieren. Mit strengeren Praktikumsgesetzen würde die Zukunft Deutschlands verspielt werden, in die man so selbstlos investiere. Vor allem in Unions-Kreisen folgt man dieser Argumentation, was im letzten Dezember dazu führte, dass eine wesentlich vom DGB angeregte Gesetzesinitiative scheiterte (siehe DA Nr. 187 & 191).

Nur ein verlängerter Arm der Politik

Vertreter der DGB-Jugend waren sich tatsächlich nicht zu schade, um ernsthaft u.a. mit BDA-Fachpapst Roland Wolf über diese Frage zu diskutieren. Als ob es nur ein paar guter Argumente bedürfe, um die Profiteure des Praktikumsunwesens zur Vernunft zu bringen. Nicht nur unterschätzt man damit die handfesten materiellen Interessen, die hinter dem derzeitigen Missstand stehen. Allein sich auf solch eine Ebene des Diskurses einzulassen, zeugt nicht gerade von gewerkschaftlichem Selbstbewusstsein. Festgestellt werden muss diesbezüglich nämlich zweierlei:

Zum einen machen die wirtschaftliche Interessenlage und die bestehende Machtkonstellation gesetzliche Neuregelung für geraume Zeit zu einem aussichtslosen Unterfangen. Da helfen auch keine guten Argumente oder moralischen Appelle gegenüber der Politik. Zum anderen zeigt sich hierin eine gewisse Hilflosigkeit und zunehmende Schwäche. Vor Jahren noch undenkbar, Probleme zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Seite nicht autonom zu regeln, setzt der DGB immer öfters auf eine politisch-gesetzliche Protektion (wie z.B. auch in der Mindestlohn-Debatte zu sehen). Mit dem eigentlichen Projekt einer Gewerkschaft hat das nicht mehr viel zu tun. So reduziert man sich immer mehr auf einen verlängerten Arm der Politik.

Aus eigener Kraft

Es macht momentan noch nicht mal den Anschein, als ob die DGB-AktivistInnen an der Praktikumsfront in Erwägung ziehen würden, der Praktikumsausbeutung mit gewerkschaftlichen Mitteln entgegenzutreten – was für eine Gewerkschaft eigentlich das nahe liegendste sein sollte. Das allein zeigt schon, dass das A und O der Gewerkschaftsarbeit verlernt wurde: das Verständnis für die möglichen Kampfmethoden zur Durchsetzung eigener Interessen. Die FAU-Kampagne „Keine Arbeit ohne Lohn!“ hat dagegen schon mehrfach betont, dass dem Problem nur mit eigener Durchsetzungskraft begegnet werden kann. Das Standbein einer Offensive gegen Praktikumsausbeutung darf keine Petitions- und Lobbyarbeit, sondern muss das Vorgehen in den Betrieben selbst sein.

Sicherlich besteht das Problem, dass die strukturelle Macht von PraktikantInnen, die nur temporär eingesetzt werden und extrem austauschbar sind, äußerst begrenzt ist. Daraus dürfen aber keine falschen Schlüsse gezogen werden. Wesentlich für eine Praktika-Offensive muss die Erkenntnis sein, dass es nicht nur um die Betroffenheit der PraktikantInnen selbst geht. Die Praktikumsverhältnisse sind ein Prekarisierungsfaktor, der alle Lohnabhängigen betrifft. Eine Strategie muss deshalb von vorneherein auf den Einbezug der Stammbelegschaften abzielen. Dadurch entsteht die organisatorische Macht, dem Praktikumsspuk in den Betrieben direkt ein Ende zu bereiten.

Auch die Ausweitung der Kampfzone muss in Betracht gezogen werden. In Branchen, in denen der Praktikumsmissbrauch besonders hoch ist (z.B. im Kita-Bereich), könnte das Thema zum Gegenstand von Tarifauseinandersetzungen gemacht und so klare Vereinbarungen und Kontrollen erkämpft werden. So würden Exempel statuiert werden, die Ausstrahlung auch auf andere Branchen gewinnen. Und auch der Druck auf die Gesetzgeber würde dadurch – im Gegensatz zum Abfassen von fruchtlosen Petitionen – real werden, wenn nicht sogar gänzlich überflüssig werden.

Wie solch eine Strategie konkret taktisch umgesetzt und durch welche öffentlichen Maßnahmen dies flankiert werden könnte, ist zu diskutieren. Die Kampagne „Keine Arbeit ohne Lohn!“ kündigt jetzt schon mal an, in der nächsten Zeit ein umfassendes Strategiepapier zu veröffentlichen, das mit Vorschlägen nicht geizen wird.

Holger Marcks

Weiteres siehe auf: www.keine-arbeit-ohne-lohn.de

 

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