Nescolombia

Nescafé, Nesquik, Maggi oder Thomy – all diese Marken gehören zu dem größten Nahrungsmittelkonzern der Welt: dem Schweizer Unternehmen Nestlé. Dass dieser Konzern international aufgrund zahlreicher sozialer und ökologischer Skandale in Kritik steht, ist dabei den wenigsten KonsumentInnen bekannt. Neben aggressiver Vermarktung von Säuglingsnahrung in Afrika, die das Leben der Babys gefährdet, problematischem Engagement im internationalen Wassergeschäft und Genmanipulation, wird vor allem auch das Unternehmensmanagement und der Umgang mit den ArbeiterInnen in Kolumbien beklagt. In dem für GewerkschafterInnen weltweit gefährlichsten Land, dessen Bevölkerung Opfer eines der längsten Bürgerkriege ist, pflegt der Schweizer Konzern einen strategischen Umgang mit den unternehmerisch günstigen Bedingungen unter der ultrarechten und neoliberalen Regierung des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez.

Ein Wandbild zur Erinnerung an ermordete Nestlé-Gewerkschafter. Quelle: babymilkaction.org

Seit Anfang April verhandelt die kolumbianische Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal mit Nestlé Kolumbien in der westkolumbianischen Stadt Buga neue Arbeitskonditionen. Entgegen zuvor veröffentlichter Statements, wo von steigender Produktion und höheren Verkaufsraten die Rede war, leidet das Unternehmen nach eigener Auskunft plötzlich unter Absatzproblemen. Die Gewerkschaft nennt dies einen „magischen Wechsel“.

Die Gewerkschaft verlangt eine Gleichbehandlung der ArbeiterInnen, die vor, und derer, die nach dem 1. Juni 2004 eingestellt wurden. Dies wurde allerdings mit folgenden Argumenten von Nestlé abgewiesen: Die ArbeiterInnen hätten in jedem Falle bessere Konditionen als jene anderer, kolumbianischer Unternehmen. Daneben dass sich hier die Frage stellt, ob Würde relativ sein kann, ist diese Information der Gewerkschaft zufolge falsch.

Doch die Verhandlungen werden auch von Ereignissen anderer Art überschattet: Am 3. April erhielt der kolumbianische Gewerkschaftsdachverband Central Unitaria de Trabajadores (CUT) eine Morddrohung, die sich namentlich auf Gewerkschaftsaktivisten der CUT, von Sinaltrainal und weiteren Gewerkschaften beziehen. In Kolumbien ist dies keine Seltenheit. Eine Seltenheit ist hingegen eine strikte Strafverfolgung mit dem Ziel der Aufklärung der Urheber der meist von paramilitärischen Gruppierungen stammenden Drohungen. Betitelt war die Drohung mit der sogenannten „sozialen Säuberung“, die in diesen Tagen zeitgleich von verschiedenen paramilitärischen Gruppen angekündigt und im ganzen Land durchgeführt wurde: Zahlreiche Morde an Prostituierten, Behinderten oder Heimatlosen waren die Folge. In der für diese Drohungen typisch vulgären Sprache werden die Gewerkschafter als „verdammte Guerrilleros“ und „Hurensöhne“ bezeichnet und alle Oppositionellen mitsamt ihrer Familien zu militärischen Zielen erklärt.

Bereits zuvor, am 13. März, wurde auf einer Toilette in der Nestlé-Fabrik in Bugalagrande ein Graffiti entdeckt: unterschrieben von den „águilas negras“ (schwarze Adler), einer paramilitärischen Gruppierung, werden die Gewerkschaft Sinaltrainal und drei ihrer Gewerkschaftsführer namentlich als Guerilleros bezeichnet. Das Etikett „Guerillero“ ist für die Paramilitärs gleich bedeutend mit „zum Tode verurteilt“.

Auf der Anklagebank

Der größte Schweizer Konzern wird schon seit langem von verschiedenen Organisationen, wie der Gewerkschaft Sinaltrainal oder auch der Schweizer NGO Multiwatch, genau beobachtet. Aufgrund zahlreicher Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte fanden zwischen den Jahren 2006 und 2008 sechs Tagungen des „Ständigen Tribunals der Völker“ zu transnationalen Unternehmen in Kolumbien statt. Im Lebensmittelbereich befasste es sich neben Coca Cola und Chiquita Brands auch mit dem Verhalten von Nestlé. Der Konzern besteht in Kolumbien seit 1945 und kontrolliert fast den gesamten Markt für Milchprodukte. Das Unternehmen wurde für drei Verbrechen angeklagt: 1. Die Mitverantwortung bei Menschenrechtsverletzungen, unter anderem zweier Morde in den Jahren 1986 und 2005; ebenso der Unterlassung in Bezug auf den Schutz der physischen Integrität der Gewerkschafter von Sinaltrainal. 2. Umpacken und Umetikettieren von abgelaufener Milch: 2002 wurden insgesamt 9500 Großpackungen sowie 5800 Kilopackungen abgelaufener Milch aus anderen lateinamerikanischen Ländern in Lagern von Nestlé gefunden, die als Milchpulver in Kolumbien verkauft werden sollten. 3. Verfolgung der Gewerkschaft, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Verletzung des Arbeitsrechts, unter anderem Entlassungen aufgrund der Organisation von Streiks, Outsourcing von Arbeitskräften und Prekarisierung. Inzwischen stellen die Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen die Mehrheit der Belegschaft und verdienen nur 35 Prozent des Lohnes der Arbeiter und Arbeiterinnen mit unbefristeten Verträgen. Außerdem kam es zu Hausdurchsuchungen bei GewerkschafterInnen und deren Verfolgung durch staatliche Sicherheitskräfte.

Aufgrund des gewalttätigen sozialen Konflikts, der sich in Kolumbien in einem der längsten Bürgerkriege unserer Welt ausdrückt, ist das Verhalten Nestlés für viele Gewerkschafter gefährlich und unter Umständen tödlich. Dieses Verhalten ist in einem Land, in dem die Paramilitärs getrieben von ihrer faschistischen Ideologie auch vor Morden an GewerkschafterInnen nicht zurückschrecken, unverantwortlich und kriminell. Nestlé hat sich nie offiziell von den Bedrohungen distanziert. Nicht nur Gewerkschafter, sondern auch MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen finden sich regelmäßig in der Schusslinie wieder. Eine mögliche Form des Widerstandes ist der Boykott. Dass ein solcher Auswirkungen haben kann, hat die ebenfalls von Sinaltrainal initiierte Killer-Coke-Kampagne gegen den Coca-Cola-Konzern gezeigt, die in vielen Ländern Unterstützung erfahren hat.

Alexandra T.

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