Das Militär arbeitet weiter an ihrer Jugend-Offensive: Im Dezember 2009 unterschrieb Baden-Württembergs Kultusminister Rau einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr, durch den Schulen und Jugendoffiziere enger zusammenarbeiten sollen. Während das Kultusministerium „politische Bildung“ als Ziel angibt, bezeichnet Generalmajor Wessels dieses Abkommen als „konsequenten Schritt“, da Baden-Württemberg sich seit jeher für sein gutes Neben- und Miteinander von Zivilem und Militärischem auszeichne.
Während die öffentliche Wahrnehmung der Bundeswehr im Auslandseinsatz seit der Kundus-Affäre kritischer wird – 70% sprachen sich nach Infratest Dimap im April für einen schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan aus – bleibt sie bei die Bundeswehr im Inneren, insbesondere an Schulen und Arbeitsämtern, verhaltener. Lediglich in Berlin gelangte die Auseinandersetzung in die öffentliche Debatte und sogar in den Senat.
Stille Etablierung
In den letzten Jahren intensivierten sich die Werbefeldzüge an den Schulen. Dabei stehen nicht mehr nur Berufsschulen im Fokus der „Bürger in Uniform“, gerade an Gymnasien wird gerne mit Karriere- und Studienchancen bei der Bundeswehr geworben. Dabei fängt es klein an: Mit „Spenden“ wie Bundeswehr-Mousepads oder Kugelschreibern wird versucht, die Präsenz im Alltag der SchülerInnen auszubauen.
Für den direkten Kontakt zu den SchülerInnen sind „Jugendoffiziere“ zuständig. Ziele der Bundeswehr werden meist durch pädagogisch harmlose Begriffe wie Konfliktvermeidung und Krisenbewältigung umschrieben, mit denen dann den SchülerInnen „Chancen und Risiken unserer Sicherheit“ schmackhaft gemacht werden. Sie stellen die Bundeswehr als moderne „Kriseninterventionstruppe“ dar, bei der es darum ginge, einen Job zu erledigen wie jeden anderen auch. In sogenannten POL&IS-Veranstaltungen (Politik und Internationale Sicherheit) wird versucht, die Einsätze der Bundeswehr „wertfrei“ und die Erfordernisse der Einsätze als objektiv zu verkaufen. Danach können Wehrbeauftragte auf Berufstagen oder ähnlichen Events von den Karrierechancen bei der Truppe berichten. Offiziell dürfen Jugendoffiziere nämlich nur über Außen- und Sicherheitspolitik referieren, werben dürfen nur die sogenannten Wehrbeauftragten. Im Jahr 2009 erreichten die Jugendoffiziere ca. 114.000 SchülerInnen, die Wehrbeauftragten ca. 290.000 SchülerInnen. Allein in Berlin fanden 200 Informationsveranstaltungen an Schulen statt.
Im „Weißbuch“ der Bundeswehr werden ihre eigentlichen Ziele klar dargestellt: die Sicherung und Kontrolle von Ressourcen und globaler Stabilität zugunsten westlicher Wirtschaftsexpansion. Ebensowenig helfen die smart lächelnden SoldatInnen, wo Wehrmachtstraditionen und Männlichkeitsrituale (wie zuletzt der Skandal um die Gebirgsjäger in Mittenwald) gang und gäbe sind. Das Abbild der Bundeswehr ist ein instabiles Mosaik der verschiedenen ökonomischen, militärisch-militaristischen und reaktionär-patriarchalen Kräfte, die in und an ihr zerren.
Die rechtliche Lage hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages derweil ausgelotet. Er stellt fest, dass der Einsatz der Bundeswehr an Schulen „einen möglichen Grundrechtseingriff in die Rechte der Eltern und der Schüler“ darstellen könnte, da er in das Erziehungsrecht der Eltern eingreift. Zur Rechtfertigung bietet der Dienst allerdings das Erziehungsrecht des Staates auf. Um sich einer Klageflut zu entziehen, empfiehlt er den Schulen aber „Neutralität“ in der Vermittlung von Sicherheitspolitik, z.B. indem MilitärkritikerInnen ebenfalls eingeladen werden. Da dies der Realität kaum gerecht wird und der Schule selbst überlassen bleibt, wie sie diese Neutralität ausfüllt – so reicht lediglich das Bekunden der Neutralität, es gibt keine Nachweispflicht geschweige Kriterien dafür – bleibt dies einer der gewohnten Winkelzüge, GegnerInnen auflaufen zu lassen.
Antimilitaristische Gegenbewegungen
Doch nicht nur an Schulen, auch im universitären Bereich ringt die Bundeswehr um wissenschaftliches Terrain. In einer kreativen Aktion verteilten AntimilitaristInnen in Hannover einen Flyer im cooperate design der Leibniz-Universität, in dem die Einführung der „Military Studies“ angepriesen und auf die bereits bestehende vorbildliche Kooperation mit der Bundeswehr in Forschungsbereichen hingewiesen wurde, wie der durch das Verteidigungsministerium mit mehreren zehntausend Euro im Jahr geförderten Lasertechnik.
Was in Hannover kreativ überspitzt wurde, ist in Potsdam seit 2007 Realität: Die „Military Studies – Militärgeschichte und Militärsoziologie“ finden klare Worte: „Qualifizierte Studierende können im Laufe von vier Semestern die Themenfelder Militär, Krieg und organisierte Gewalt studieren.“ Gerade in Forschungsbereichen, die militärisch von Bedeutung sind, besteht die Gefahr, dass diese mehr und mehr von Geldern des Verteidigungsministeriums abhängig werden.
Da die Debatte über die Bundeswehr an den Schulen in Berlin mittlerweile den Berliner Senat erreicht hat, ist auch der Protest gegen den „Wehrkundeunterricht“ auf einem richtigen Weg. Zuletzt bildeten sich mehrere SchülerInnen-Komitees, die gezielt versuchen, die Veranstaltungen schon vorher durch Proteste zu verhindern, indem sie auch LehrerInnen und Eltern einbinden. Ein erfolgreiches und öffentlichkeitswirksames Beispiel war die Verhinderung eines Auftritts eines Jugendoffiziers am Hans- und Hilde-Coppi Gymnasium in Berlin-Karlshorst. Auf Seiten wie kehrt-marsch.de machen AntimilitaristInnen bundesweit auf Infoveranstaltungen aufmerksam, betreiben Recherche und dokumentieren örtlichen Widerstand. Im Zuge des allgemeinen Ansteigens antimilitaristischer Aktionen wird es nach Jahren der Stille zunehmend enger für die Bundeswehr, die wo sie auftritt mit Protest rechnen muss. Die Schulen bilden oft letzte Räume, um den SoldatInnen unter dem Schutz der Schulpflicht Möglichkeiten zu geben, störungsfrei zu werben. Es ist daher wichtig, den Widerstand auch weiterhin auszubauen.