Nach der atomaren Havarie in Fukushima gibt es nun ein stärkeres Bewusstsein für die Gefahren der Atomenergie. Während Beschäftigte im Auftrag der Betreiberfirma Tepco versuchen, die schmelzenden Brennstäbe notdürftig zu kühlen, kamen in einigen Berichten auch deren Arbeitsbedingungen zur Sprache. „Das Arbeitsumfeld ist sehr hart“, wurde Ende März Kazuma Yokata von der Atomsicherheitsbehörde Nisa in der japanischen Presse zitiert. Er berichtete über eine zweite Katastrophe im AKW: Den GAU beim Arbeitsschutz für die etwa 450 Beschäftigten von Tepco und seinen Subunternehmen. Diese schlafen in einem Nebengebäude der Reaktorblöcke, notdürftig mit bleihaltigen Matten vor der Strahlung abgeschirmt. Das Essen besteht aus etwas Reis, Dosenfleisch und Keksen, selbst das Trinkwasser ist knapp. Yokata berichtete von anstrengenden Arbeitstagen, von 6 bis 20 Uhr. Nach einer durchgearbeiteten Woche würden die Arbeiter ausgewechselt.
Von der Straße ins Kraftwerk
Berichtet wird auch, dass sich Arbeiter Sorgen wegen der hohen Strahlenbelastung machen. Immer wieder gibt es Kontaminierungen durch radioaktiv verseuchtes Wasser, das nahezu überall in den Reaktoren steht. „Es gibt nur sehr wenige Arbeitskräfte mit entsprechender Erfahrung“, erklärte ein Mitarbeiter des Kraftwerksbauers Hitachi der Presse. Diese schreibt, Zeitarbeiter würden für einen Arbeitstag in Fukushima max. 20.000 Yen (ca. 174 Euro) erhalten. Interesse an der gefährlichen Arbeit haben viele – v.a. aus der Umgebung –, die durch den Tsunami ihre Wohnung, aber auch ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Mitte Mai kollabierte ein Leiharbeiter im Reaktor. Tepco behauptete dreist, die Todesursache sei „unbekannt“. Er hätte auch erst einen Tag im AKW gearbeitet, Radioaktivität sei an ihm nicht festgestellt worden. Woanders in der Presse war dagegen zu lesen, es würde nicht auf die Vorschriften zur Arbeitssicherheit geachtet. „Sowohl Tepco als auch unser Unternehmen scheinen zu denken, dass es nur natürlich ist, wenn wir radioaktiv verstrahlt werden“, wird ein Leiharbeiter zitiert.
Das ist nicht erst seit der Havarie so. Der Einsatz von Leiharbeitern im hochverstrahlten Bereich von AKWs gehört für Japans Atomindustrie schon länger zum profitablen Geschäft. Für die Reinigung der Atomanlagen stellt sie etwa Obdachlose und andere sozial Marginalisierte ein. Bereits im Jahr 2003 schrieb David Jiménez darüber in der spanischen Zeitung El Mundo: „Matsushita schlief gerade in den vier Kartons, die in einem Park in Tokio sein Zuhause geworden waren, als sich zwei Männer näherten, um ihm einen Job in Fukushima anzubieten. Keine besonderen Fähigkeiten wären erforderlich, sie würden ihm das Doppelte von seinem letzten Job als Hilfsarbeiter zahlen, und er wäre in 48 Stunden wieder zurück.“ Matsushita wurde so Reinigungsarbeiter im Reaktor 1. „Wenn wir die Arbeit nicht rechtzeitig beendeten, würden sie uns nichts zahlen“, so Matsushita.
Unterwürfige Gewerkschaften
Seit nun 30 Jahren ist die Anwerbung von Armen zur Ausführung der risikoreichsten Arbeiten Routine. Zwischen 700 und 1.000 Obdachlose sind daran gestorben und weitere 1.000 in dieser Zeit an Krebs erkrankt. Das ergaben Untersuchungen Yuko Fujitas, Physikprofessor an der renommierten Universität Keio. Kenji Higuchi, ein japanischer Reporter, dokumentierte das Drama der verstrahlten japanischen Bettler: „Im Lauf von mehr als 30 Jahren hat Kenji Higuchi Dutzende von Opfern der Arbeit in Atomkraftwerken interviewt, ihre Erkrankungen dokumentiert und gesehen, wie viele von ihnen geschwächt in ihren Betten dahinsiechten“, schreibt Jiménez. Insgesamt arbeiten über 70.000 Menschen in 17 AKWs mit 52 Reaktoren. Neben einer Kernbelegschaft aus TechnikerInnen und IngenieurInnen bestehen die Belegschaften zu über 80% aus ArbeiterInnen ohne Ausbildung, meist rechtlosen und ungeschützten Zeitarbeitern. „Sie werden für die risikoreichsten Aufgaben eingesetzt“, so Jiménez, „angefangen bei der Reinigung von Reaktoren bis hin zur Dekontamination im Falle von Lecks, oder Reparaturarbeiten an Orten, an die sich ein Ingenieur niemals wagen würde“.
Die Gewerkschaftsföderation Rengo, die sich offiziell für den Bau der Nuklearfabriken eingesetzt hatte, erklärte angesichts der Katastrophe in Fukushima: „Wir zeigen Respekt und Dankbarkeit für die schnelle und passende Antwort der Regierung“. Und weiter: „Wir sind bereit, uns bei Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen einzubringen, um die nationale Krise zu bestehen“. Denryoku-soren, die Konföderation der Gewerkschaften in der Elektrizitätsindustrie, möchte wiederum eine Zusammenarbeit mit Tepco bei Stromunterbrechungen. „Sie unterwirft sich dem Kapital“, urteilt darüber Doro Chiba, eine oppositionelle Eisenbahnergewerkschaft: „die gehorsamen, systemfreundlichen Arbeiterführer haben keine Absicht, die Ursache der gegenwärtigen Katastrophe herauszustellen oder die dafür verantwortliche herrschende Macht zu verurteilen.“
Japan ist nur ein Beispiel dafür, wie die Atomindustrie für ihre Profite Sicherheitsvorschriften missachtet und Risiken auf nahezu rechtlose und ungeschützte Leiharbeitskräfte abwälzt. Ähnliche Zustände sind auch in der europäischen Atomindustrie festzustellen. Eine Antiatombewegung, die konsequent sein will, darf die Arbeitsbedingungen in der Atomindustrie nicht länger unbeachtet lassen.
Teil II über die Arbeitsbedingungen in europäischen AKWs in der nächsten Ausgabe.