In Spanien beziehen sich gleich drei namhafte Gewerkschaften in ihrem Selbstverständnis auf den Anarchosyndikalismus. Dass diese im Verlauf des Sommers Delegierte zu gemeinsamen Treffen entsandten, um die Perspektive eines alternativen Generalstreiks zu erörtern, mag dennoch überraschen. Denn die Beziehungen zwischen den spanischen SyndikalistInnen waren in den letzten Jahrzehnten eher schwierig. Während die CGT 1979 aus einer Abspaltung der CNT hervorging, handelt es sich bei der Solidaridad Obrera (SO) um eine Organisation, die sich wiederum 1990 von der CGT abtrennte. Vorausgegangen waren diesen Spaltungen jeweils unschön geführte Streitigkeiten in ideologischen Fragen. Praktisch kulminierten diese etwa in dem Problem, ob man sich als Gewerkschaft an den Wahlen für die Betriebskomitees beteiligt und die damit verbundenen Subventionen durch den Staat in Anspruch nimmt. Die CNT lehnt dies rundum ab, während sich die CGT vollständig und die SO teilweise (d.h. unter Verweigerung der Subventionsannahme) an dem System beteiligen.
Nun scheint sich unter den zerstrittenen Geschwistern zunehmend die Erkenntnis durchzusetzen, dass Koalitionen gebildet werden müssen, wenn man den aktuellen Angriffen auf die Rechte und die Lebensstandards der ArbeiterInnen etwas entgegensetzen möchte. Denn schon seit einigen Jahren schnürt die sozialistische Regierung im Rahmen des sog. „Sozialpaktes“ – gemeinsam mit den Staatsgewerkschaften CCOO und UGT sowie den Arbeitgeberverbänden – ein Gesetzespaket nach dem anderen. Reformiert wurden zwischenzeitlich schon mehrfach der Arbeitsmarkt und das Rentensystem (siehe DA Nr. 201: Mit der Lanze von Don Quijote). Als nächstes soll das Gewerkschaftsrecht eingeschränkt werden. Gemeinsam ist diesen Reformen, dass mit ihnen die Regierung den Druck nach unten weitergibt, den sie selbst im Zuge der Wirtschaftskrise von Seiten der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommt.
Die Plaza ersetzt keine Wohnung
Perspektivlosigkeit und die ständigen Verschlechterungen der Lebensbedingungen führten auch jenseits der Gewerkschaften zu einer Welle der Empörung. Seit Mitte Mai bricht sich diese in Form der „Indignados“, der Bewegung der „Empörten“, Bahn. Nachdem öffentliche Plätze in ganz Spanien besetzt worden waren, begannen die Menschen, sich dort in Versammlungen zu artikulieren (siehe DA Nr. 206: Spanische Revolution?). Im Juni beschloss die Versammlung von Madrid, die zentrale Platzbesetzung in ihrer Stadt zu beenden und stattdessen Versammlungen in den Stadtteilen ins Leben zu rufen. Damit sollte auch eine Konkretisierung der Themen und Aktionsformen ermöglicht werden. Verschiedene Initiativen bekamen nun die Möglichkeit, ihre Anliegen in die Versammlungen zu tragen und damit ihre Handlungsmöglichkeiten vor Ort zu erweitern.
Den stärksten Auftrieb bekam dabei vermutlich die Initiative gegen Wohnungsräumungen. Die Zahl der Menschen, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können und durch die Banken auf die Straße gesetzt werden, ist nach drei Jahren Wirtschaftskrise steil ansteigend. Alleine in Madrid wurden dieses Jahr tausende Wohnungen geräumt. Eine perfide spanische Besonderheit dabei ist, dass die Leute nach der Räumung nicht nur auf der Straße, sondern nach wie vor auf ihren Schulden sitzen. Dieses Problem, welches viele Menschen in allen Teilen der Gesellschaft betrifft, birgt Tonnen von sozialem Sprengstoff. Mittlerweile wird im ganzen Land immer öfter versucht, die Räumung der Wohnungen durch Blockaden zu verhindern. Der Staat antwortet darauf mit der polizeilichen Besetzung von ganzen Vierteln. Gewaltexzesse versuchte die Polizei bislang zu vermeiden, denn die Bewegung hat sehr viele Sympathien in der Bevölkerung. Auch der Innenminister möchte es sich nicht verscherzen, denn er ist der Kandidat der Sozialisten für die Parlamentswahlen im November.
Warten auf die Synthese
Während also die Straßen und Plätze zunehmend von Protesten in Beschlag genommen werden, herrscht in den Betrieben noch relative Ruhe. Die beiden großen Gewerkschaften paktieren mit dem Staat und die vielen kleineren Gewerkschaften sind noch zu sehr in einer Kultur der gegenseitigen Abgrenzung verfangen. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch der regionale Nationalismus, der sich u.a. in starken Regionalgewerkschaften äußert – nicht nur im Baskenland. Es bleibt deshalb abzuwarten, inwieweit die betrieblichen und öffentlichen Kämpfe miteinander verknüpft werden können. Aufgrund der dramatischen sozialen Situation vieler Menschen ist jedenfalls die dringende Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktionsbasis offensichtlich. Und auch wenn die Indignados nach wie vor Wert darauf legen, dass sich keine externen Organisationen (wie Parteien und Gewerkschaften) in ihren Reihen profilieren können, so ist doch erkennbar, dass die Strukturen der syndikalistischen Gewerkschaften mit denen der sich formierenden sozialen Basisbewegung kompatibel sind.
In diesem Sinne einigten sich die Delegierten der drei syndikalistischen Organisationen, zusammen mit der klassenkämpferischen CSC, Ende Juli darauf, im September mit weiteren Gewerkschaften eine öffentliche Debatte über die Perspektiven eines unabhängig von CCOO und UGT organisierten Generalstreiks zu führen. Für Oktober ist eine erste Welle von Demonstrationen geplant. Sollte es gelingen, einen solchen Generalstreik durchzuführen, wäre dies ein Meilenstein in der Entwicklung der sozialen Bewegungen in Spanien nach 1939.