Fehlfarben widerlegen überzeugend das gängige Vorurteil, wie Jan Müller von Tocotronic im Promtext zu Xenophonie schreibt, „das Vorurteil, dass Bands zwangsläufig mit andauerndem Fortbestehen langweiliger zu werden haben“. Ja, das neue Fehlfarben-Album ist nach Glücksmaschinen wieder ein großer musikalisch wie inhaltlicher Wurf, sozusagen der noch radikalere Soundtrack zur sich weiter verschärfenden Krise. Daher war meine erste Frage an Peter Hein, den ich vor zwei Jahren das erste Mal getroffen hatte, wie sich denn seitdem seine Befindlichkeit verändert hat. „Es ist alles noch beschissener geworden. Wir werden immer ärmer und dabei irgendwie immer lustiger und alberner. Ich sag mir immer, es ist eben alles scheiße, also was soll’s. Zugleich ist nicht alles, was versucht wird gegen die Scheiße zu tun, deswegen nicht auch beschissen. Letztlich wird es wahrscheinlich so sein: irgendwas ist immer und gegen irgendetwas kann man dann auch wieder sein. Wenn man da nur drüber nachdenkt, würde man wahrscheinlich rammdösig und depressiv, würde die Fenster verhüllen und nicht mehr rausgehen. Darauf habe ich keine Lust und denke mir, dann lass uns doch irgendwie über manche Sachen lustig machen. Aber nicht zotig oder comedymäßig.“
Es kommt zum Glück keine Nostalgie auf
Wenn Peter Hein über die Entwicklung in der Arbeitswelt singt und redet, schwingt immer die eigene Betroffenheit mit. Daraus ergibt sich die spürbare Glaubwürdigkeit seiner deutlichen Aussagen. Ins Agitatorische rutscht er jedenfalls nicht ab. Lange Zeit hat er selbst vom Kopieren als Angestellter von Rank Xerox gut leben können. „Zum einen zehre ich noch immer von meinen Erfahrungen. Der Typus des BWL-Absolventen und des Marktgläubigen hat sich ja in all den Jahren nicht wesentlich geändert. Aber die Schweine haben mich ja entsorgt, auch wenn ich der Zeit nicht nachtrauere. Ich hätte schon gerne da weitergemacht. Ich wäre vielleicht nicht so prekär dran. Aber vielleicht müsste ich heute noch Geld mitbringen, um überhaupt meinen Job machen zu können.“ Und die Existenz als Musiker, der wieder CDs produziert und auf Tournee geht, ist für ihn keine zumindest ökonomisch befriedigende Alternative bzw. Perspektive. „Das reicht nicht, das nützt nichts. Das Anfangsinteresse von 2002 lässt sich nicht alle zwei, drei Jahre wieder aufbauen. Die Leute heute sind ja keine Fans mehr, sie sind vielmehr Käufer von Platten. Die Leute, die sich für uns interessieren, und die sich vor zehn Jahren zurückversetzt fühlten, wollen sich heute nicht mehr zurückversetzt fühlen. Die Menschen, die jetzt zu unseren Konzerten kommen, haben keine Erinnerung an uns. Die sind so um die 30, das finde ich wunderbar, denn das war zu unserer Anfangszeit ja auch nicht anders. Es kommt also zum Glück keine Nostalgie auf.“
Alle Songs auf Xenophonie strahlen eine unbedingt-zwingende lakonische Bissigkeit und Wut aus. Das war schon auf dem Erstlingswerk Monarchie und Alltag der Fall. Darauf ist Peter Hein noch immer stolz, wenn er im spaßigen Tonfall des Rheinländers bekennt: „Ja, gelernt ist gelernt, wir hatten gute Vorbilder, das waren die Straßenkämpfer von damals, denen wir die Unterhaltungsmusik geliefert haben.“ Peter Hein gibt sich nicht der Illusion hin, als gäbe es eine glaubwürdige realistische Alternative zum Leben in der kapitalistischen Welt. Eher geht es ihm um die Radikalisierung des eigenen kritischen Bewusstseins. So heißt es programmatisch im Song „Richtig in Falsch“: „Der Widerspruch tut jedem Leben gut / Im Widerspruch, da lebt es sich noch mal so gut.“ Diese Aussage reflektiert die Erkenntnis, dass auch in der Revolte viel Falsches passiert und passieren kann. „Schau mal, in einigen Gegenden, wie in Griechenland oder England sägen sich die aufbegehrenden Leute auch noch ihre eigenen Äste ab, zerstören ihre Communities. Nun bin ich schon älter und sehe die Konsequenzen solchen Tuns deutlicher als vielleicht ein 17-jähriger, der eh alles beschissen findet und der sich über die Folgen seines Handelns keine Gedanken macht.“ Sich selbst sieht Peter Hein, so im Songtext von „Bundesagentur“ als einen „Anarchisten, den die Welt vergisst“ und der mit einem gewissen Fatalismus der Wirklichkeit ins Auge sieht, um dann zu schlussfolgern: „Ich bin Anti-Anti-Ist, ich bin ein Ich-Ist, dem nicht zu helfen ist.“ Im Mai sind Fehlfarben auf Tournee in Berlin (24.5.), Hamburg (25.5.) und Köln (26.5.).